Die Favoriten der Woche:So selbstoptimieren Sie besser

Lesezeit: 4 min

Ein genialer Podcast, eine wohltuende Ost-Doku, Brahms-Comics und Theater von Stefanie Sargnagel: Die Empfehlungen der Woche aus dem SZ-Feuilleton.

Von SZ-Autorinnen und Autoren

ZDF-Doku: Junge Ostdeutsche gibt's ja wirklich

Julia Voigt bringt mit dem Kulturzentrum Weltecho beharrlich Leben in die nicht immer lebendige Stadt Chemnitz. (Foto: Lars Seefeldt/ZDF und Lars Seefeldt)

Die teils gewaltigen Probleme des Ostens sind notwendigerweise gut dokumentiert - dieser Film gehört jenen, die vor ihnen nicht weglaufen. "Wir bleiben!", heißt folgerichtig die Dokumentation von Mathias Kubitza und Lars Seefeldt, die zum Tag der Deutschen Einheit im ZDF lief und weiterhin in der Mediathek zu sehen ist. Das klingt zwar zunächst verdächtig nach Standortmarketing, es wird aber in den 45 Minuten vor allem erbaulich. Der Film porträtiert ausnahmslose junge Menschen, die im Osten für etwas einstehen. Die Kamera folgt Julia Voigt, die mit dem Kulturzentrum Weltecho beharrlich Leben in die nicht immer lebendige Stadt Chemnitz bringt. Sie folgt ein paar Schrauberfreunden in ihren wundersamen DDR-Fuhrpark in der Altmark und sie folgt auch der Pfarrerin Jadwiga Mahling, die in Schleife in der gerne endzeitlichen Lausitz an Neuanfängen arbeitet. Das alles zu sehen: tut auch mal gut. Cornelius Pollmer

Theater in Wien: "Heil - Eine energetische Reinigung"

Sind wir nicht alle Indigene? Diesen und weiteren bewusstseinserweiternden Fragen geht Sargnagels Stück nach. (Foto: Pertamer / Rabenhof)

Das Rabenhof-Theater, benannt nach dem riesigen Gemeindebau, in dem es sich befindet, ist in Wien die führende Adresse für satirische Dramatik. Größen wie Stermann und Grissemann oder das Duo Maschek haben hier ihre Homebase; und selbstverständlich war der Rabenhof auch das erste Theater, das Texte von Stefanie Sargnagel auf die Bühne brachte ("Ja, eh!"). Fünf Jahre nach dem Debüt wurde dort nun ihr neues Stück uraufgeführt. In "Heil - Eine energetische Reinigung" begibt sich die Autorin in die seltsame Welt der Esoterikerinnen und Corona-Leugner, Auraversteherinnen und Verschwörungsgläubigen.

Im "Zentrum für spirituelle Weiterentwicklung" treffen vier einschlägige Charaktere aufeinander. Gundula, eine ganzheitliche Allgemeinmedizinerin, die selbst eine Heilpraxis betreibt ("Ich orientiere mich ja generell am Asiatischen"); Udo, den die Familie wegen seiner politischen Radikalisierung ("Man kann sich auch zu Tode wählen!") aus der Whatsapp-Gruppe geschmissen hat; die junge Waldorf-Lehrerin Lena ("Kinder sind das Wertvollste auf der Welt!") und der Pongauer Schamane Harry, der davon überzeugt ist, dass wir im Grunde alle Indigene sind. "Daher kommt auch der Name - weil wir haben es in die Gene." In der entspannten Inszenierung von Sargnagel-Spezialistin Christina Tscharyiski ziehen Räucherstäbchen-Rauchschwaden über eine Bühne, auf der vier Schauspielerinnen und Schauspieler gemeinsam meditieren, einander die Aura lesen oder ein indianisches Totem aufstellen. Die Rauchpausen werden von der Wiener Band Buntspecht mit druckvollem Folk-Pop gefüllt.

Wenn ein Corona-Leugner sich im Stück den Judenstern ansteckt oder aus Demokratie der "Dämon Kratie" wird, kommt einem ein Satz von Karl Kraus in den Sinn: "Die grellsten Erfindungen sind Zitate." Tatsächlich hat auch eine virtuose Spötterin wie Stefanie Sargnagel Mühe, den Irrsinn noch satirisch zu überhöhen. Aber natürlich gelingt es ihr dann doch immer wieder: "Es gibt keine Viren, es gibt keinen Schmerz, der Tod ist eine Verschwörung der Bestattungsindustrie", heißt es etwa. Oder, um es auf den Punkt zu bringen: "Die Wahrheit ist größer als die Wirklichkeit." Wolfgang Kralicek

Musik im Bild: Brahms-Comics

Acht Zeichnerinnen und Zeichner haben den Comic gestaltet. (Foto: Ja Ja Verlag)

In Heide, Schleswig-Holstein, kann man das Stammhaus der Familie Brahms besuchen; deren berühmtester Spross, Johannes Brahms, ist 1833 in Hamburg geboren und 1897 in Wien gestorben. Im Haus (und überall sonst, wo man Bücher kaufen kann) gibt es einen Comic, von acht Zeichnerinnen und Zeichnern unterschiedlichster "Strichart" gestaltet (Jaja-Verlag, Berlin). Der Bilderbogen spannt sich vom jungen Strahlemann, der Robert Schumann imponiert und dessen Gattin Clara gefällt, bis zum misanthropisch-rauschebärtigen Junggesellen Brahms, der zwar berühmt, aber einsam ist. Am interessantesten ist der Comic immer dann, wenn Musik ins Bild gesetzt wird: etwa witzig-scheinnaiv die Uraufführung des Deutschen Requiem (Vera Gereke) oder pathetisch-glorios die Aufführung der 4. Symphonie im Wiener Musikvereinssaal in Brahms' Todesjahr (Tim Eckhorst). Harald Eggebrecht

Klassik-CD: "A House of Call" von Heiner Goebbels

"A House of Call", das Komponist Heiner Goebbels mit dem Ensemble Modern aufgenommen hat. (Foto: ECM Records)

"Stein, Schere, Papier. Stein schleift Schere, Schere schneidet Papier, Papier schlägt Stein." Bäng, Bäng, Orchesterakkorde wie Schläge. Heiner Müller auf der Baustelle. "Immer den gleichen Stein den immer gleichen Berg hinaufwälzen." Rumms. "Das Gewicht des Steins zunehmend, die Arbeitskraft abnehmend mit der Steigung. Patt vor dem Gipfel." Die Musik geht spazieren, gleißt, glimmert. "Wettlauf mit dem Stein, der vielmal schneller den Berg herabrollt, als der Arbeitende ihn den Berg hinaufgewälzt hat." Leere. Der Klang steht still. "Das Gewicht des Steins relativ zunehmend, die Arbeitskraft relativ abnehmend mit der Steigung. Das Gewicht des Steins absolut abnehmend mit jeder Bergaufbewegung." Tohuwabohu. Eine Verneigung vor Pierre Boulez und dessen Stück "Répons".

Das ist nur ein winziges Exzerpt aus einem Kosmos, den sich der Komponist Heiner Goebbels zusammen mit dem Ensemble Modern selbst zum 70. Geburtstag schenkt. "A House of Call" (ECM) kann man mühelos als Kondensat seines disparaten Gesamtwerks begreifen, eine Sammlung von Klangeindrücken, die der stets wache Goebbels auf Reisen, Recherchen und in Begegnungen gesammelt hat. Der Titel lehnt sich an James Joyces "Finnegans Wake" an; das ist sozusagen die intellektuelle Folie, vor der sich das Sammelsurium ausbreitet. Darin enthalten: eben Heiner Müller, Eichendorff, die kasachische Sängerin Amre Kashaubayez, der persische Sufi-Dichter Jalaluddin Rumi, der armenische Komponist Komitas, Lieder georgischer Gefangener aus dem Ersten Weltkrieg, Rituale, Gedichte aus Namibia, Beckett.

Es geht durch Zeiten und Regionen, eine bestimmende Klangfarbe unter vielen ist die Anverwandlung des chamäleonhaften Ensemble Modern an die Art-Rock-Gruppe Cassiber, deren Mitglied Goebbels zehn Jahre lang war, und von dort weiter in Richtung ausformulierter Jazzrock. Goebbels, nie zimperlich, was die Fülle seiner Inspiration angeht, adelt die Fundstücke in seinen Überschreibungen, erhöht ihre Intensität, überlagert sie mit überbordender Raffinesse im Klang, mit rhythmischen Aberwitzigkeiten, Rätseln. Im Grunde sind diese zwei Stunden wie ein Hörfilm voller aufgekratzter Erlebnisse, voller Widersprüche und deshalb irrsinnig modern. Egbert Tholl

Alpha Bro in schlau: Der Podcast "Huberman Lab"

Sieht aus wie ein Alpha Bro, ist aber Professor für Neurowissenschaften in Stanford: Andrew Huberman. (Foto: N/A)

Irgendwie muss das doch alles besser gehen. Einschlafen muss besser gehen und aufwachen. Eine Fremdsprache muss man lernen können, schließlich gibt es Leute, die zwölf Sprachen sprechen, und die sind auch nicht schlauer. Sport geht besser. Sex geht besser. Stimmung geht besser. Wenn man so denkt - und wer tut das bei aller berechtigten Neoliberalismuskritik nicht manchmal - landet man schnell bei testosterongeplagten Männern, die einem im Internet erklären, warum Alphas ihr Bett schon vor dem Aufstehen machen. Oder man landet beim Podcast Huberman Lab. Andrew Huberman sieht aus wie ein Alpha Bro, ist aber Professor für Neurowissenschaften in Stanford. In circa 90-minütigen Folgen fragt er, was Selbstoptimierer so fragen, beantwortet es aber nicht mit Machismo, sondern mit Wissenschaft. Die macht vieles besser - und natürlich alles komplizierter. Nele Pollatschek

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