Süddeutsche Zeitung

Plattenkabinett WM-Song Spezial:Wenn Raabstein auf Shakira trifft

Stefan Raab macht auf Rammstein, das neue "Waka Waka" heißt "Lalala" und hinter den Vengaboys verstecken sich: nackte Brüste. WM-Songs gehören zum Turnier wie Panini-Bildchen und Deutschland-Fahnen. Zeit für einen Überblick.

Von Thierry Backes

Vielleicht sollte der DFB die WM-Teilnahme in Brasilien einfach absagen. Es kann ja nur peinlich werden. Mit einer halben Halbinvalidentruppe (Neuer, Lahm, Schweinsteiger, Khedira), einem Trainer ohne Führerschein und einem Dortmunder, der für jede Hotellobby eher eine größere Gefahr darstellt als für den gegnerischen Tormann. Und hat nicht schon der 1:0-Sieg (!) gegen Chile in der Vorbereitung gezeigt, dass Deutschland 2014 nicht konkurrenzfähig ist?

Okay, wir übertreiben. Aber nur ein wenig. Diskussionen über die Qualität des Kaders gehören zu jedem Fußballturnier, sie sind Folklore, ein Ritual wie das Sammeln von Panini-Bildchen, das Einhängen von schwarz-rot-goldenen Fähnchen in die Fensterscheiben des tiefergelegten VW Scirocco. Oder das Lästern über WM-Songs.

Doch wagen wir an dieser Stelle eine Prognose: Bis zum Anpfiff des Eröffnungsspiels am 12. Juni wird jeder Radiosender von Hintertupfing bis Pusemuckel seinen "WM-Hit" haben. 2014 soll es besonders viele Fußball-Songs geben, heißt es von der Musikindustrie. Warum sollte es auch anders sein? Mit dem richtigen Song zur richtigen Zeit lässt sich sehr schnell sehr viel Geld verdienen. Die Sportfreunde Stiller können davon ein Lied singen, Shakira auch: Ihr "Waka Waka (This Time For Africa)" landete im Juni 2010 weltweit an der Spitze der Charts, und wenn man dieser Liste glaubt, ist das dazugehörige Video, das mit über 660 Millionen Aufrufen bis dato sechstmeistgeklickte auf Youtube.

Das weiß natürlich auch der Gelddruckverein, den sie Fifa nennen, und der verdient mit, wenn es zur WM in Südamerika ein "Official 2014 Fifa World Cup Album" gibt, auf dem sich natürlich auch ein "Official 2014 Fifa World Cup Song" findet. Und damit starten wir in unsere WM-Song-Kategorisierung.

Der offizielle WM-Song

Kommt diesmal von US-Rapper Pitbull feat. Jennifer Lopez & Claudia Leitte und heißt "We Are One (Ole Ola)". Das "Ole Ola" ist dabei nicht zufällig Teil des Titels, es sorgt schon auf dem Papier für Stadionatmosphäre und signalisiert selbst dem tanzfaulsten Brummbären im Deutschland-Trikot, dass er gerne mitwippen, zumindest aber mitgrölen darf. Entsprechend simpel sind Refrain und Melodie gehalten, das war schon bei "Waka Waka" so oder bei Ricky Martins 1998er WM-Song "The Cup Of Life".

"Força força come and sing with me/ Hey hey hey/ Ole Ola come shout it out with me/ Hey hey hey",

singt J.Lo diesmal, der Rest ist gute Laune, Flaggen, Feuerwerk. So richtig grooven tut das merkwürdigerweise nicht. "We Are One" fühlt sich eher an wie einer von diesen sinnfreien Beiträgen im ZDF-Sportstudio für die Initiative "Deutschland bewegt sich!" Der aktuelle Tipp: Powackeln.

Interessanter ist da schon die Debatte um Claudia Leitte, die als brasilianische Popsängerin einen knapp 15 Sekunden langen Gastauftritt in "We Are One" hat. Dass sie überhaupt mitmachen darf, ist Kalkül, doch was die Einheimischen freuen sollte, ärgert sie. Warum, fragen sie, darf keiner von uns den offiziellen WM-Song singen? Auf Twitter protestieren die Brasilianer nun unter dem Hashtag #VoltaWakaWaka, was nicht ganz ironiefrei ist, fordern sie damit doch ein neues "Waka Waka". Shakira aber ist Kolumbianerin.

Kristallisiert sich erst im Laufe des Turniers heraus und ist meist nicht das offizielle WM-Lied. Beispiel 2006: Herbert Grönemeyer steuerte mit "Zeit, dass sich was dreht" zwar einen ganz passablen Song zum Sommermärchen bei, auf den Fanmeilen aber röhrten ständig die Sportfreunde Stiller ("54, 74, 90, 2006") aus den Boxen. Oder "Love Generation" von Bob Sinclair, der Goleo-Song.

Doch zurück zu Shakira. Sie hat auf die #VoltaWakaWaka-Brasilianer gehört und versucht es nach 2006 ("Hips Don't Lie") und 2010 erneut mit einem WM-Hit. Dafür hat sie aus ihrem Song "Dare (La La La)" eine Fußball-Version destilliert und gerade unter "La La La (Brazil 2014)" neu veröffentlicht - zusammen übrigens mit dem brasilianischen Musiker Carlinhos Brown. Sie erkennen ein Muster? Ach.

Der Song kommt in einem etwas moderneren Gewand daher, ist letzten Endes aber ebenso austauschbar wie "We Are One" - sprich: ein heißer Kandidat für den Titel "WM-Hit". Das Beste, was man darüber noch schreiben kann, ist, dass er auch nach einer 0:5-Niederlange im Achtelfinale mitgeschmettert werden kann, also dann, wenn das mit dem "Ole Ola" schon zu kompliziert wird.

Für diesen (höchstunwahrscheinlichen) Fall empfehlen wir allerdings einen zweiten Song von der offiziellen Compilation, dessen Text der Kollege Philipp Köster von 11 Freunde schon auswendig gelernt hat:

Der Marketing-Song

Erinnert irgendwie an Krake Paul. Der agierte 2010 vordergründig als "Tentakel-Orakel", machte an erster Stelle aber Werbung für ein Aquarium in Oberhausen. So verhält es sich nun auch mit Mr. Santos, der "Das dicke, dicke Ding" nach Deutschland holen will, am liebsten in einem Mercedes. Der Hauptsponsor des DFB fährt für diesen 3:18 Minuten langen, launigen Werbeclip ein A-Promi-Aufgebot auf, über das sich selbst die Veranstalter der Bambi-Verleihung freuen würden: Franz Beckenbauer, Uschi Glas, Nico Rosberg, Sara Nuru, Max Herre, Fernanda Brandao, Joko Winterscheidt, Cro, Palina Rojinski, Cassandra Steen. Und, und, und...

Das ist, mit Verlaub, unverschämt geschicktes Marketing aus Stuttgart: "Das dicke, dicke Ding" wird als ernstzunehmendes Musikstück wahrgenommen und nicht als das erkannt, was es ist: Werbung. Erste Radiosender küren den Titel schon jetzt zum "WM-Song 2014!" Nun könnte man zum Boykott aufrufen, es wäre wohl sinnlos. Geld schießt eben doch Tore.

Kommt diesmal gleich in dreifacher Ausführung. Weil es 2014 so viele WM-Songs gebe, "hab ich mir gedacht, ich mach' jetzt nicht auch noch einen, sondern gleich drei", wird Stefan Raab von seiner Plattenfirma zitiert. "Die musikalische Bandbreite der Titel ist so groß, dass jedem mit Sicherheit mindestens ein Song überhaupt nicht gefällt." Das lassen wir mal so stehen - und freuen uns abermals über die spitzbübische Kreativität des Kölners, der "Wir kommen, um ihn zu holen" einmal in einer massentauglichen Zwergenrock-Version, einmal in einer "Raabinho Samba Version" und einmal in einer "Raabstein-Version" veröffentlicht hat. Muss man sehen:

Für den fließenden Übergang zur nächsten Kategorie gebührt dem Comedian Matze Knop Dank. Er hat so etwas wie die Schinkenstraßen-Version eines WM-Songs produziert, wenn "Goldene Generation" wirklich so klingt wie das, was er den tz-Kollegen "a cappella" vorgesungen hat":

"Wir sind die goldene Generation/ Die schwarz-rot-goldene Generation/ Die Zeit ist reif, denn wir sind stark wie nie/ Let's go Germany."

Der C-Promi-Song

Ist der, über den am liebsten gelästert wird. Das Opfer diesmal: Dschungelcamp-Königin Melanie Müller. Bei "Deutschland schießt ein Tor!" kommt alles, aber wirklich alles zusammen, was einen schlechten WM-Song ausmacht: halbnackte Frauen, die in ihrem Leben noch kein Instrument angefasst haben, Deutschland-Trikots, ein Ball, ein Rasen, jubelnde Fans - auf der trostlosen Tribüne des SV Scholz Grödig. Wir empfehlen daher die feine musikalische Analyse von Felix van Eltz:

Verarzten müssen wir hier noch den Sportreporter Manni Breuckmann, der mit den Haudegen von Franz K. und "So einfach" einen der eingängigeren WM-Songs produziert hat. Breuckmann singt immerhin nicht selbst, er jubelt und kommentiert: "Die Straße zum Titel, die ist frei!" oder "Ein Tor wie ein Kunstwerk!". Ein wenig peinlich darf ihm das sein, aber es läuft halt nicht mehr so mit der Karriere...

Der Amateur-Song

Hat hier nichts verloren. Aber wenn Ihnen zum Lachen zumute ist: Klicken Sie hier, hier, hier oder hier.

Der Geheimfavorit

Kommt diesmal von den Vengaboys, heißt "2 Brazil!", zielt vornehmlich auf ein, äh, heterosexuelles männliches Publikum ab und gilt als nsfw, not safe for work. Musik soll es in dem folgenden Clip auch geben, es hat bloß keiner so genau hingehört. Merkwürdig...

Unser Liebling

Ist mit Abstand der trashigste Song in dieser Reihe. Das Schlagerprinzesschen Annemarie Eilfeld hat den Helene-Fischer-Stil in die Fußballwelt übertragen und mit einem alten Text von Wencke Myhre verwoben, und man kommt nicht umhin, das für das ehrlichste, tiefgründigste Lied in dieser Reihe zu halten. "Er steht im Tor", heißt es und geht so:

"Ich hab mich im Leben nie für Fußball interessiert/ Aber im April, da ist es passiert/ Da hat mich im Mondenschein ein junger Mann geküsst/ Und nun weiß ich was sein Hobby ist.

Ich hab mir im Leben nie aus Fußball was gemacht/ Aber er hat mir alles beigebracht/ Ich kenn alle Fußballregeln und bin obendrein/ Heute das Maskottchen vom Verein."

Wenn Sie diesen Song nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Der Protestsong

Wird ganz bestimmt nicht WM-Hit, obwohl wir ihn hiermit ausdrücklich empfehlen. Es ist ein Protest-Song gegen die Fifa und diese WM, die so viele Menschen in Brasilien unglücklich macht, und beginnt mit den Worten:

"Tut mir leid, Neymar, aber ich werde nicht für dich jubeln bei dieser WM."

Linktipp: Die Kollegen von Buzzfeed haben den Text übersetzt.

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