Plattenkabinett:Weinen mit dem Weichei

Robin Thicke "Forever Love" Los Angeles

Heulen, Jammern, Flehen: Robin perfektioniert sein Leiden auf "Paula".

(Foto: REUTERS)

Robin Thicke jammert über die Trennung von seiner Frau - und will doch nur selbst im Mittelpunkt stehen. Sein Album "Paula" ist zwar musikalisch interessant, textlich aber so kreativ wie die Schwalben eines niederländischen Kickers. Neue Alben in der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Thierry Backes

Ziemlich scheiße, so eine Trennung. Robin Thicke trauert, nein, er leidet. Und weil er das Ende seiner Ehe nicht nur auf seiner privaten Facebook-Seite beweint, kommen wir nicht umhin, Ihnen eine Geschichte zu erzählen, die Sie vermutlich schon mal im Radio gehört haben: Thicke, der Mann, der mit "Blurred Lines" 2013 einen Welthit landete, und die Schauspielerin Paula Patton haben sich nach neun Jahren Ehe getrennt. Das alles würde hier nicht stehen, hätte Thicke aus seinem Schmerz nicht ein Album gebastelt, das, so seine Interpretation, einzig und allein dem Zweck dienen soll, sie zurückzuerobern.

Nun wissen wir nicht, ob Patton, die Sie aus "Mission: Impossible - Phantom Protokoll" (=Teil IV) kennen könnten, ihn wegen der nackten Models in dem Video zu "Blurred Lines" verlassen hat, wegen der Sache mit Miley Cyrus oder einfach, weil er seine Socken überall herumliegen lässt. Es interessiert uns auch nicht. Aber was er uns glauben machen will, das wissen wir: Der Mann meint das ernst.

Vor gut einer Woche ist Robin Thicke bei den BET-Awards in Los Angeles aufgetreten. Er saß am Klavier und widmete Paula, die nicht mehr seine Paula sein will, den Song "Forever Love". Es muss ein hyperemotionaler Moment für Thicke gewesen sein, er stockte nicht einmal, sondern zweimal, und natürlich flossen Tränen. Für die Zeit-Gesellschaftskritik war es eine Szene, "deren Kitschfaktor selbst auf der nach oben offenen Rosamunde-Pilcher-Skala wohl nicht mehr messbar wäre".

Das gilt nicht nur für den Auftritt, sondern auch für "Paula", das neue Album, das nicht Paula ziert, sondern Robin - in cooler Pose, versteht sich. Sieht man von den Texten ab, über die gleich zu reden sein wird, zeigt Thicke (wieder einmal), dass er über eine beachtliche Stimme verfügt und es versteht, zwischen den Tonlagen und Genres - R'n'B, Funk und Soul zum Beispiel - hin und her zu wechseln. Die Platte ist ziemlich smooth produziert, abwechslungsreich, sie besteht auch, aber nicht nur aus traurigen Piano-Balladen.

Doch wer sich wie Thicke vor allem über eine Geschichte verkauft, muss auch damit leben, dass jemand sie liest. 14 Songs lang heult er herum, jammert, klagt, hadert, fleht, will es besser machen, wenn Paula ihm doch bloß eine zweite Chance geben würde. In "Lock The Door" singt er:

"Don't leave me out here in the cold/ Ooh turn the porch light on/ At least open the doggy door/ Throw a friend a juicy bone."

In "Too Little Too Late" versucht er es mit den alten Tricks: "I should've bought you roses good and plenty and rubbed your toes." Viel mehr fällt Thicke, der seine Lieder in großen Teilen selbst schreibt und produziert, trotz immensem Herzschmerz offenbar nicht ein. In "Get Her Back", einem musikalisch gelungenen, minimalistischen R'n'B-Stück, hört sich das dann so an:

"All I wanna do/ Is keep her like/ Keep her like/ Keep her satisfied. All I wanna do/ Is make it right/ Make it right/ Is make you smile tonight."

Warum aber kehrt Paula Patton nicht zu Robin Thicke zurück? Vielleicht, weil das weinerliche Gesülze ein pain in the ass für sie ist. Oder wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihr Ex-Partner Ihre Trennung bei jeder Gelegenheit öffentlich zur Schau stellt, etwa auf seinem Twitter-Account? Richtig: Sie würden ihn vermutlich anzeigen.

Wenn dieses Album bei der WM wäre, wäre es: Arjen Robben.

Wenn dieses Album ein Auto wäre, wäre es: eine Hummer-Strechlimousine.

Dieser Track muss auf mein nächstes Mixtape: "Living In New York City".

Falls Sie die Playlist nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Poliça - Raw Exit

Die Musikindustrie verabschiedet sich so langsam in die Sommerpause, das ist immer auch ein guter Zeitpunkt, sich nach Neuem umzusehen oder Altes aufzuarbeiten, etwa auf einem der großen Festivals. Womit wir gleich bei Channy Leaneagh und Ryan Olsson von Poliça wären, die unter anderem auf dem Hurricane und dem Southside gespielt haben. Ihr zweites Album "Shulamith" erschien 2013.

Poliça

Eine Nuance, nicht mehr: Poliça.

(Foto: Verstärker/Polica)

Vor ein paar Wochen hat die Indie-Band aus Minneapolis eine "Expanded Version" von "Shulamith" veröffentlicht mit vier neuen Tracks, die es nun unter dem Titel "Raw Exit" auch als EP zu kaufen und hier zu hören gibt. Kenner werden in dem titelgebenden Song einen alten erkennen, den Poliça seit Jahren auf der Bühne spielen. Neu sind eigentlich nur "Baby Blue" und "Great Regret".

Die Songs sind, wenn man so will, Bonustracks zu dem erst zwei Alben zählenden Werk und fügen ihm lediglich eine Nuance hinzu, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und es ist bei Poliça ja schon ein wenig so wie bei Arcade Fire: Jeder einzelne neue Track wird (und gehört) gefeiert.

Wenn dieses Album bei der WM wäre, wäre es: der kanadische Linienrichter Joe Fletcher. Warum? Darum.

Wenn dieses Album ein Auto wäre, wäre es: ein mit Bier beladener Anhänger.

Dieser Track muss auf mein nächstes Mixtape: "Raw Exit".

Falls Sie die Playlist nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Phoria - Display

Wer häufiger auf Konzerte geht, der macht irgendwann nicht mehr den Fehler, um 20 Uhr zu kommen, wenn "Beginn: 20 Uhr" auf der Eintrittskarte steht. Er checkt erst um 21.30 Uhr ein, wenn die Schlange an der Garderobe sich aufgelöst und die Vorband die Bühne wieder verlassen hat. Aber manchmal verpasst der Hörer so einen Moment für die Ewigkeit. Ein Bekannter erzählt heute noch davon, wie The Kills im November 2004 die Münchner Tonhalle nicht angeheizt, sondern gleich abgebrannt haben, so dass kaum einer den lahmen Schotten von Franz Ferdinand bis zum Ende zuhören wollte.

Phoria

Großes aus Brighton: Phoria.

(Foto: Humming Records)

Das ist der erste Gedanke, wenn Phoria zum ersten Mal ins Ohr dringen. "Oh Gott", denkt man, "hoffentlich habe ich die nicht irgendwo verpasst." Phoria, das sind Seryn Burden, Tim Douglas, Jeb Hardwick, Trewin Howard und Ed Sanderson, fünf Jungs aus Brighton, die nach Metal aussehen, aber nicht für verzerrte Gitarren stehen, sondern für eine höchst filigrane, zerbrechliche, elektronische Musik. Und schon hagelt es - zumindest im britischen Ausland - Vergleiche mit James Blake, Sigur Rós, Radiohead gar; Bands also, die Schülerkombos aus Straubing gerne als Referenz angeben, an die sie freilich nie heranreichen. Doch in Brighton entsteht gerade Großes.

"Display" heißt also die neue EP, es ist erstaunlicherweise schon die dritte. Sie startet ganz intim und akustisch mit "Emanate", doch schon nach drei Minuten entsteht eine bedeutungsschwere sphärische Klangwelt. "Atomic" verfährt nach dem gleichen Prinzip: langsamer, fast analoger Aufbau, der in einer breiten Synthiemauer mündet, die einem mit Wucht den Bierbecher aus der Hand bläst. Aber nur, wenn man die Band nicht aus Dummheit (und Arroganz) verpasst - oder, wahrscheinlicher, Phoria bald als Hauptact durch Deutschland touren.

Wenn dieses Album bei der WM wäre, wäre es: James Rodriguez.

Wenn dieses Album ein Auto wäre, wäre es: ein Tesla Roadster.

Dieser Track muss auf mein nächstes Mixtape: "Atomic".

Hier finden Sie Platten, die in dieser Rubrik kürzlich besprochen wurden.

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