Süddeutsche Zeitung

Plattenkabinett:Vom Club zur postkoitalen Traurigkeit

Kele vertont die Verheißungen der Nacht. Nur den Höhepunkt lässt er aus. Für den müssen die Zuhörer schon selbst sorgen. Neue Alben im Plattenkabinett, der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Kathleen Hildebrand und Sebastian Gierke

Kelechukwu Rowland Okereke, genannt Kele, ist viel in Clubs unterwegs gewesen in den vergangenen Jahren. Seine Band Bloc Party, die vor etwas mehr als zehn Jahren dem Britrock Melancholie beigebracht hat und seit einigen Jahren immer wieder kurz vor der Auflösung steht, macht Pause. Und Frontman Kele besucht Wochenende für Wochenende als DJ die Feierstätten dieser Welt.

Die Stimmung dort, die versucht der Mann aus Liverpool jetzt auf sein aktuelles, sein zweites Soloalbum "Trick" zu bannen. Nicht die Stimmung am Höhepunkt der Nacht. Nicht die Ekstase. Kele macht die Musik vor allem für die Stunden danach, die Afterhour. Dann, wenn auf der Tanzfläche eine Begegnung möglich ist, wenn sich Blicke treffen, ineinander verlieren. Kele hat in den Clubs viel gesehen. Und was er beobachtet hat, das übersetzt er in Musik.

"First impressions", "Coasting", "Doubt", "Closer", "Like we used to", "Humour me", "Year zero", "My hotel room", "Silver and gold", "Stay the night". So heißen die zehn Lieder. Und schon anhand der Titel lässt sich die schrittweise Annährung zweier Menschen im Bann der Nacht nachvollziehen. Es geht um das Begehren und die Einsamkeit. Es geht um Annährung in einem Raum, der dem Alltag enthoben ist, eine Zeit voller Möglichkeiten, im Rausch, die ersten Blicke, die Unsicherheit, der Zweifel, der Humor, die Sinnlichkeit. Ein Abend, der im Hotel enden kann, alleine, oder der die zwei Menschen, die sich vor wenigen Stunden noch nicht kannten, in Lust zusammenbringt. "It's an album for lovers", sagt Kele.

Gitarren sind hier keine mehr zu hören, Kele produziert diesen deepen Sound am Laptop. Dubstep, House. Soul, New Wave, R&B. Seine Stimme klingt warm, elegant, sinnlich und manchmal intim. Aber immer auch zurückhaltend. Nie ist bei dieser Musik völlig klar, ob die zwei, die auf der Tanzfläche diese Anziehung und Geilheit spüren, zusammenfinden.

Die Musik besitzt Entwicklungsspannung, die Kele oft absichtlich ins Leere laufen lässt, Freiheit verspricht. Hier ist alles Erregung. Aber kaum Erfüllung. Kein Höhepunkt. Nicht in der Musik. Für den müssen die Zuhörer selbst sorgen. Und danach? Während der postkoitalen Traurigkeit und Angst, am Morgen? Auch für die Zeit nach dem Rausch ist "Trick" der passende Soundtrack. (segi)

Wenn das Album eine Serie wäre, dann wäre es O.C. California.

Wenn das Album eine Sprache außer Englisch könnte, wäre es Französisch.

Wenn das Album ein Baumaterial wäre, dann wäre es Chrom.

Wenn Sie dieses Album nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Eskapismus hörbar machen, das schaffen A Winges Vicory For The Sullen. Der italophile kalifornische Pianist und Komponist Dustin O'Halloran und Adam Wiltzie wollen einem nichts über die Welt lernen mit ihrem Album "Atomos". Diese Musik ist - stattdessen - geeignet, um die Welt, ihre Kurzlebigkeit, ihre ökonomischen Verwertungszwänge, ihre Oberflächenbanalität zu vergessen.

Die Platte wird von dem tollen Londoner Label Erased Tapes veröffentlicht, das im Bereich der Neuen Musik immer wieder herausragende Minimal- und Elektronik-Künstler herausbringt. O'Halloran, vor allem für seinen Soundtrack zu Sofia Coppolas Film Marie Antoinette bekannt, und der New Yorker Wiltzie spielen nicht Musik, sie lassen sie entstehen.

Piano, Orgel, Streicher, Fagott. Sehr langsam, sehr bedächtig, meditativ, manchmal fast passiv. Und so wie Filmbilder durch die Zeitlupe oft eine unwirkliche Nähe und Spannung erhalten, so bekommt auch die Musik durch die Verlangsamung eine unwirkliche Nähe und Spannung. Das ist Musik der langsamen Neugier. Nur beim ersten Hören mögen die elegischen Streicher in Moll, die dröhnenden Ambient-Flächen, die hingetupften Klavierakkorde schwermütig klingen. Dabei sind sie, weil sie nicht zum Ende kommen, keines haben, eine Verlängerung, eine Steigerung des Glücks. Des Glücks außerhalb der Welt (segi).

Wenn das Album eine Serie wäre, wäre es Twin Peaks.

Wenn das Album eine Sprache außer Englisch könnte, wäre es Isländisch.

Wenn das Album ein Baumaterial wäre, dann wäre es geöltes Holz.

Wenn Sie dieses Album nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Wenn es eine Band schafft, die ewige Sprachbarriere zu überwinden, die den französischen Pop vom Pop der Restwelt trennt, dann sind es Yelle. Ihr fröhlicher French-House mit Melodien, so "catchy", dass sie auch nach Jahren noch wie frisch gehört im inneren Ohr klingeln, war schon bei ihrem MySpace-Erfolg "Je veux te voir" von 2006 auf umwerfend moderne Art unbekümmert. Auf ihrem zweiten Album "Safari Disco Club" von 2011 hatten Yelle dann zu einem entschlackten, sehr eigenen Sound gefunden.

Nachdem Yelle einen Song von Katy Perry geremixt hatten, kam der amerikanische Star-Produzent Dr. Luke auf die Band zu. Er hat nichts am leicht schrillen Spaß-Charme von Yelle geändert, aber ihrer Musik vielleicht den einen kleinen Schubs in Richtung Mainstream gegeben, der ihr den Erfolg verschaffen könnte, den man ihr wünscht.

Die Songs beginnen mit sehr basalen Computerspiel-Tonfolgen wie im Titelsong "Complètement fou" oder mit klaren, trockenen Beats, zu denen sich flächigere Europop-Synthie-Sounds mischen. Yelle vermischen die Genres, vor allem Disco, Rap und Funk zu einem bonbonbunt leuchtenden Elektro-Pop-Bouquet.

Doch die dadaistische Fröhlichkeit ihrer Lieder ist nicht alles - und das liegt an der klaren Mädchenstimme von Julie Budet, die immer so klingt, als wisse sie in jeder Sekunde der Clubnächte, über und für die sie singt, ein bisschen mehr als alle anderen.

Yelle, ihr Künstlername, ist ein feminisiertes Akronym der Worte "You enjoy life": Du also - nicht ich. Das ist genau die kleine Distanznahme, die es braucht, um in einem Partysong wie "Coca sans bulles" ("Cola ohne Sprudel") zwischendurch einfach mal die gefährlichste aller Fragen zu stellen, die man sich auf dem Dancefloor so fragen kann: "Est-ce que je m'amuse?" Amüsiere ich mich überhaupt? Oder tu ich nur so?

Die Antwort aber ist eindeutig "Ja" - und sie stimmt für jedes der Lieder auf diesem charmanten, verrückten und grell glücklich machenden Album: "Oui, je m'amuse!" (khil)

Wenn das Album eine Serie wäre, wäre es Der Prinz von Bel-Air.

Wenn das Album eine Sprache außer Französisch könnte, wäre es trotzdem auf Französisch.

Wenn das Album ein Baumaterial wäre, dann wäre es sonnengelber Hochglanzlack.

Wenn Sie dieses Album nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Hier finden Sie Platten, die in dieser Rubrik kürzlich besprochen wurden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2171117
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/tgl/lala
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.