Süddeutsche Zeitung

Plattenkabinett:Spaziergänge in späten Stunden

Meister David Crosby hat ein geerdetes Album produziert, das sich jedem Etikett entzieht. "After the Disco" von den Broken Bells ehrt die magische Stunde, wenn die Party vorbei ist. Der Bremer Soul-Sänger Flo Mega hält dagegen nicht mit seinen großen Vorbildern mit. Neue Alben im "Plattenkabinett", der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Gökalp Babayiğit

David Crosby - Croz

Jeder Mann hat sein Päckchen zu tragen. 72 Jahre ist er jetzt, der alte Meister, und er hat eigentlich genug Schlachten geschlagen. David Crosby wie in Crosby, Stills & Nash, unsterbliche Folk-Götter ihres Zeichens. Ja ja, Phrasenalarm bei den Göttern, schon klar, aber es sind verflixt nochmal Crosby. Stills. Und Nash.

David Crosby also, der mit den Drogengeschichten in den 70ern, und den Konflikten mit der Staatsgewalt, und nochmal mit den Drogengeschichten. Crosby, bei dem weisere Musikfreunde - Eltern, Lehrer, Vorgesetzte - wenn nicht feuchte Augen, so doch bessere Laune kriegen.

20 Jahre ließ der Kalifornier verstreichen, ehe er wieder ein Solo-Album aufgenommen hat. Längst ist er clean und hat diesen in sich ruhenden Zustand erreicht, den nur unsterbliche Götter vergangener Epochen erreichen können. Was ist also von "Croz" zu erwarten? Crosby selbst tut sich schon schwer, dem Album ein Label zu verpassen. Es sei so schwierig wie die Beschreibung von Sex, sagte er in einem Interview. "It's warm and wet, you go in and out and it really feels good."

Helfen wir dem alten Meister: Nein, erotische Gedanken ruft das Album nicht zwingend hervor. Aber das, was Crosby seit 40 Jahren ausmacht, das findet sich auch auf "Croz" wieder. Er ist immer noch der Herr der Harmonien (was er zuvor nicht nur für CSN, sondern auch schon für die Byrds war), seine Stimme ist noch etwas weicher geworden, und seine Texte sind immer noch speziell. Mir ist jedenfalls kein Song bekannt, in dem die "cognitive dissonance" Erwähnung findet. In "Time I Have" bringt Crosby dieses Kunststück fertig, ein Lied, das die Grundstimmung für das Album vorgibt:

"People do so many things that make me mad but Angry isn't how I want to spend what time I have"

Nein, ein Angry Old Man will Crosby nicht sein. Dafür ist das Album zu geerdet, mit seinen kuscheligen Arrangements, seinen Jazz-Elementen, seinen gemütlich trödelnden Gitarren. "Croz" wirkt eher wie einer dieser Spaziergänger, über die man sich, vom Stress getrieben, im Vorbeigehen wundert - und die man ein wenig beneidet.

Der Spaziergänger, der es nicht eilig hat, der immer wieder stehenbleibt, der auch kein Ziel zu haben scheint, und der mit alledem recht zufrieden ist.

Klar, jeder hat ein Päckchen zu tragen. Auch der Spaziergänger. Glücklich schätzen darf sich aber, wer es mit solcher Würde zu tragen weiß.

Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wäre es ... ein Spazierstock, Erbstück natürlich.

Wenn das Album ein Aphorismus wäre, dann dieser ... Auf einen Weisen kommen tausend Narren.

Wenn das Album eine Reise wäre, dann ... wäre der Weg (zu Fuß!) das Ziel.

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Diese Stunde tief in der Nacht, wenn die Party ihre letzten Atemzüge tut, wenn ihr Siedepunkt nur noch eine dunkle Erinnerung aus einer anderen Zeit ist. Wenn auf leergefegter Tanzfläche einzelne Mädchen wie Feen im Licht der Discokugel tanzen. Wenn die Jungs sie endlich in Ruhe lassen und lieber ihren Kumpels auf Barhockern ewige Freundschaft schwören. Oder natürlich andersrum. Wenn dieses ewige Spiel, dieses anstrengende Rumgebalze jedenfalls vorüber ist. Eine magische Stunde in der Disco, die so entsetzlich unterschätzt und missachtet wird. Und für die die hochtalentierte Zwei-Mann-Supergroup Broken Bells nun ein Album veröffentlicht: "After the Disco".

Broken Bells, das ist zum einen Produzent Brian Burton, auch bekannt als Danger Mouse. Der Mann also, der sich mit Cee-Lo Green zu "Gnarls Barkley" vereinte und zwei verrückt gute Alben aufnahm und der auch schon mit Norah Jones und den Black Keys arbeitete. Und das ist zum anderen James Mercer, Shins-Frontmann mit Falsetto-fähiger Stimme, die mal freundlich, mal fordernd, aber fast immer herrlich melancholisch klingt.

Burton hat einen Hiphop-Hintergrund, Mercer ist ein Indie-Mann - zusammen ergibt das einen Pop, wie er klingen muss in diesem noch jungen Jahr 2014. Ja, richtig geraten, wir haben es bereits im Januar mit einem der besten Alben des Jahres zu tun. Wenn man sich das titelgebende "After the Disco" anhört, versteht man sofort: Hier ist ein Kleinod, das man noch öfter als Daft Punks "Get Lucky" anhören kann und wird, weil einem die Melancholie einfach näher ist als das naive Glücksgefühl, das einem bei dem Lied des Jahres 2013 irgendwie schon suspekt war.

In "Holding on for Life" nickt Mercer respektvoll den Bee Gees zu, während er einer jungen, verlorenen Prostituierten in Paris gut zuspricht. "The Changing Lights" hat einen Refrain, den man innerlich ab dem zweiten Mal Hören mitflüstert, so schön ist er. Und der Schlusstrack "The Remains of Rock & Roll" ist der perfekte Rausschmeißer, wenn das Licht angeht.

Dem Heimweg wird immer etwas Ernüchterndes anhaften. Doch mit "After the Disco" im Ohr lässt sich die magische Stunde noch ein wenig verlängern.

Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, wäre es ... ein Disco-Outfit von Tom Ford oder Donnatella Versace

Wenn das Album ein Aphorismus wäre, dann dieser ... Es ist ein melancholisches Lied, das Lied von der Heimkehr (Theodor Storm).

Wenn das Album eine Reise wäre, dann ginge sie ... nach Hause, in der Morgendämmerung.

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Flo Mega ist gewiss ein mutiger Mann. Nicht nur, dass er sich nach Burnout und Absturz zurückgearbeitet und ein zweites Album aufgenommen hat. Nein, er hat sich dafür auch noch auf ein hierzulande wenig beachtetes Terrain gewagt und ein Genre ausgewählt, das zwischen Flensburg und Garmisch wohl für immer ein kümmerliches Dasein fristen wird.

"Mann über Bord" ist ein Soul-Album, das hie und da in den Funk abkippt. Gleich zu Beginn, in "Soul II Soul", schreit der Bremer förmlich heraus: "Seht her, ich kenne meinen James Brown wirklich gut." In Wahrheit aber legt er eine falsche Fährte. Seine Inspiration aus Amerika, dem Heimatland des Soul, beschränkt sich nicht auf den sogenannten "Godfather of Soul".

In seinem irgendwie sympathischen Depressions- und Krisenaufarbeitungssong "Hinter dem Burnout" (mit der gelungenen Zeile "Vor meiner Tür blüht eine Wiese aus Mittelfingern, doch ich lach mir in die Faust und lasse endlich wieder Licht ins Zimmer") will Flo Mega wie eine Mischung aus einem gutgelaunten Marvin Gaye und Edwin Starr klingen. In "Hello und Goodbye" hört man, wie die Meters mit Sly and the Family Stone gekreuzt werden. Doch als Vorbild für die etwas ruhigeren, die gefühligeren Nummern wie "Du fehlst" oder "Weltempfänger" dient ein anderer: Das Spiel der Backing-Band The Ruffcats und der Gesang Flo Megas schmecken in beiden Stücken ganz stark nach Al Green.

Und wie macht sich der Bremer Soul-Sänger, über den irgendwo im Internet steht, er klinge wie Grönemeyer? Ein Vergleich seiner Stimme, seines Ausdrucks, seines Gefühls mit jenen der US-Größen, nun, so ein Vergleich verbietet sich. Aber es wäre auch zu billig. Wessen Stimme kann schon mit Marvin Gaye mithalten? Wer hat mehr Gefühl als Al Green?

Nein, ein anderer wichtiger Unterschied ist dieser hier: Egal wie up-tempo die Songs waren - nie klang James Brown davon gehetzt. Stets war er der Herr über die Musik, nach ihm richtete sich die Band. Und egal wie viel Gefühl die langsameren Nummern erforderten, nie wirkte Al Green damit überfordert. Stets haftete ihm dabei etwas Selbstverständliches, Natürliches an, als ob es das Einfachste auf der Welt wäre, Gefühl in seine Stimme zu legen. Bei Flo Mega fehlen diese Eindrücke.

Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wäre es ... ein James-Brown-Umhang made in China.

Wenn das Album ein Aphorismus wäre, dann dieser ... Jeder Gesell will lieber Meister sein.

Wenn das Album eine Reise wäre, dann ... ginge der Roadtrip über die Stationen Detroit, Philadelphia, Memphis - nach Bremen.

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