Plattenkabinett:Spaß auf der Stadtautobahn

Echo 2014 - Verleihung

Vier Jungs, die noch irgendwohin müssen mit ihrer Energie: die Fantas beim Echo 2014.

(Foto: dpa)

Selbstironie statt Allüren: Die Fantastischen Vier schenken sich und ihren Fans zur Silberhochzeit ein fröhliches Album ohne Pathos. Na ja, fast ohne Pathos. Neue Alben im Plattenkabinett.

Von Kathleen Hildebrand

Dass man selbst nicht mehr blutjung ist, merkt man daran, dass Bands ihre "Silberhochzeit" feiern, deren Durchbruch man selbst noch bewusst miterlebt hat. Die Fantastischen Vier sind eine der großen Konstanten in der deutschen Popmusik, seit sie damals in diesen sehr bunten und sehr merkwürdigen Klamotten "Die da!" sangen. Ihr Jubiläum feiern sie jetzt mit dem neuen, neunten Album "Rekord".

Ähnliche Gedanken hatten die Vier natürlich auch und deshalb singen sie gleich im Eröffnungssong "25" Zeilen wie diese hier: "Fantastisch, nicht mehr ganz frisch", benutzen tatsächlich das total unhiphoppige Wort "Silberhochzeit", um es auf "immer noch breit" zu reimen. Dann vermuten sie gönnerhaft, dass die Beatles vielleicht auch so weit gekommen wären wie sie, hätten die sich nicht so früh getrennt.

Dieser Selbstironie haben es die Fanta 4 zu verdanken, dass sie auch nach 25 Jahren immer noch nicht so richtig nerven. Man denkt auch beim Hören ihrer neuen Platte: Mensch, nett, das sind vier Jungs, die mittlerweile Familienväter sind, aber immer noch irgendwohin müssen mit ihrer Energie. Und dann rufen sie eben ziemlich lustigen Quatsch in ihre Mikros oder machen einen halben Track lang Uuu-Uuu wie in "Heute", und "Gegen jede Vernunft".

Auch "Rekord" ist wieder wunderbar frei von der Gravitas, die den Hip Hop sonst beschwert. (Seinen Hang zum Pathos lagert Thomas D ja sonst in seine Solo-Projekte aus - irgendwie hat er es aber geschafft, seine Vaterschaftshymne "Gott ist mein Zeuge" auf die neue Platte zu schummeln.) Das Schöne an den Fantas ist und war schon immer, dass sie nie so getan haben, als hätte ihre Art Hip Hop irgendwas mit jenem "CNN des Ghettos" zu tun, als das Chuck D von Public Enemy sein Genre einmal bezeichnet hat. Wie bescheuert wäre das denn auch, wenn vier Mittelschicht-Schwaben plötzlich über Drogen und Schießereien rappen würden.

Selbst wenn es kurz klingt, als würden sie klassische Hip-Hop-Topoi zitieren wie in "Und los": "Wir wolln ne Revolution - oder ne schnelle Million" - selbst dann klingt das eher nach Freitagabend-Euphorie auf der Stuttgarter Stadtautobahn. Auf "Rekord" zeigen die Fantastischen Vier, wie man aus dem Wohlstand heraus unpeinliche Musik macht - indem sie eben nicht nach der Stelle suchen, an der der Schuh dann doch ein bisschen drückt. Sie wissen auf fröhlich demütige Weise, dass ihr größtes Problem dieses ist: "Ich möchte nie wieder Single sein."

Wo hört man das Album am besten? Auf der Fahrt zurück ins Einfamilienhaus im Speckgürtel

Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wäre es:ein liebevoll gepflegter Basketballschuh aus den frühen Neunzigern.

Wenn diese Platte einen Wunsch erfüllen könnte, dann den: ohne allzu großen Frust durch die Midlife-Crisis zu kommen.

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Schlammpeitziger: What's Fruit?

Es gibt Platten, an die muss man sich nicht gewöhnen: Sie geben Gefühlslagen und Kindheitsstimmungen einen Klang, die man immer schon mit sich herumgetragen hat. Ein Wiedererkennen ist das dann, als fände man in einer Kiste den Kuschelaffen wieder, der früher jeden Abend mit ins Bett musste.

So sanft verwundert, wie man sich beim Kuschelaffen-Wiederfinden fühlt, beginnt das neue Album von Schlammpeitziger, einem Star der Kölner Elektromusikszene der frühen Neunzigerjahre. Da wummert eine runde, dicke Computertrommel so warm und weich wie ein angerührtes Herz - bevor eine schräge Synthie-Linie ihr dazwischen furzt und ein müder Dada-Text erklingt: "Are you linear, triangle or loop? What's fruit?"

Beantwortet wird das nicht. Aber die Klangstrukturen blubbern so selbstvergessen weiter, dass man die Frage bald wieder vergessen hat. Linien, Dreiecke, Kreise: Alles da - und bei aller Niedlichkeit doch auch ziemlich perfekt und schlau verwoben. Sogar langsam tanzen könnte man zu diesen Beats, die meistens klingen, als sei eine Balkan-Band in einer Science-Fiction-Welt gelandet: Wenn gerade nichts furzt, piepen kosmische Sounds von irgendwo her.

Man kann nicht anders, als tiefe Sympathie zu empfinden für diese prustenden, trötenden und wie die freundliche Lokomotive von Jim Knopf voran ratternden Klänge. Das ist Musik für die einsame Stunde, in der der Morgen graut.

Wo hört man das Album am besten: beim Aufräumen nach der Party

Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wäre es eine neongrüne Grobstrickjacke.

Wenn diese Platte einen Wunsch erfüllen könnte, dann den: nie mehr angestrengt cool sein müssen.

Wenn Sie dieses Album nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

The Ting Tings: Super Critical

Als The Ting Tings 2008 mit "Shut Up and Let Me Go" den Soundtrack für einen Apple-Werbespot lieferten, wurde das Newcomer-Duo zur großen Hoffnung der britischen Popmusik. Mit ihrem Debütalbum "We started Nothing" und der wunderbar trockenen, harmonische Haken schlagenden Single "That's Not My Name" erfüllten das frühere Riot Grrrl Katie White und Jules de Martino alle Erwartungen - um sie dann vier Jahre später mit ihrem zweiten, unentschlossen zwischen den Stilen hin- und herspringenden Album "Sounds from Nowheresville" zu enttäuschen.

"Super Critical" sollte man sich nun auch dessen Nachfolger nicht nähern - auch wenn der Titelsong gleich richtig gut loslegt mit genau der rohen Percussion, mit der sie bekannt geworden sind und zum Tanzen zwingenden Bläsern. Auch "Daughter" funktioniert noch als energetischer Funk-Disco-Track mit zickig verzerrten Beats. Und bei "Do It Again" erreicht die Platte ihren ganz charmanten Höhepunkt in Achtzigerjahrehaftigkeit - man meint wirklich, die frühe Madonna zu hören.

Mitten in diesem Song aber schmiert die Platte erstmal ab, die Beats sind mit einem Mal nicht mehr konsequent monoton, sondern einfach einfallslos und das Liebeslied "Wabi Sabi" mit seinen säuselnden Hintergrundchören ist ein Totalausfall. Zum Ende hin kann man zwar wieder hinhören, aber mehr als Gute-Laune-Disco kommt nicht mehr.

Es ist, als sänge Katie White in "Wrong Club" ihre eigene Diagnose: "I'm in the wrong club / someone get me out of it!" The Ting Tings haben sich verlaufen: Offenbar wollen sie weg von ihrer frühen rohen Rotzigkeit. "Super Critical" ist aber im besten Fall eine Zwischenstation auf dem Weg zu einer neuen musikalischen Identität.

Wo hört man das Album am besten: bei der Hausarbeit

Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wäre es eine grell gemusterte Glanz-Leggings.

Wenn diese Platte einen Wunsch erfüllen könnte, dann den: zurück in die Achtziger zu reisen.

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