Plattenkabinett:So lässig geht es auch

Gianna Nannini

Klingt nicht zeitgenössisch, aber kräftig: Gianna Nannini.

(Foto: Jean Baptiste Mondino)

Weihnachtszeit ist Cover-Platten-Zeit. Gianna Nannini krächzt italienischen Superhits neues Leben ein und erinnert daran, wie schön Italien vor Berlusconi war. Neue Alben im Plattenkabinett.

Von Kathleen Hildebrand

Wenn Gianna Nannini sich vornimmt, die großen Klassiker der italienischen Popgeschichte nachzusingen, dann ist eines klar: Im Mondschein an der Mandoline gezupft wird da nicht und die "musica dolce" von "Volare" wird ganz so süß nicht sein.

Für ihr neues Album "Hitalia" hat Nannini 17 populäre Lieder gecovert. Nicht alle sind so kaputtgeliebt wie "Volare" oder so harmlos wie "O sole mio". Das Eingangsstück "Dio è morto" ist eine Hymne gegen den Konformismus, von der Band Nomadi in den friedensbewegten Sechzigerjahren bekannt gemacht. Die Verbeugung vor der italienischen Musik soll bei Nannini keine unkritische Angelegenheit sein: Auch wenn eine Platte mit Greatest-Hits-Konzept wie diese unmissverständlich auf das Weihnachtsgeschäft hin kalkuliert ist.

Raue Klassiker

Musikalisch strotzt "Hitalia" nicht gerade vor Originalität. Da sind die erwartbaren E-Gitarren, ein paar pathetische Streicher und, ganz gewagt, ein kurzer Kirchenchor-Auftritt in "Dio è morto". Richtig zeitgenössisch klingt das nicht. Kraft hat es trotzdem. Denn Nannini eignet sich die Klassiker an, raut sie ordentlich auf und gleitet nie ins Süßlich-Nostalgische ab.

Mit ihrer berühmten krächzenden Stimme steht Gianna Nannini ja gerade für etwas, das verschüttet ist, und das man gern zurück hätte: für das raue, rebellische Italien, nicht das liebliche Urlaubsland. Und für etwas lebensfroh Widerständiges, das über all den Bildern von leichtbekleideten Fernsehmoderatorinnen und Berlusconi-Gespielinnen in Vergessenheit geraten ist.

Wenn man Gianna Nanninis Stimme röhren hört, dieses leidenschaftliche Ansingen gegen die Schlechtigkeit der Welt, dann weiß man wieder: So lässig kann man sein als Frau im Popgeschäft. So egal kann es sein, ob man dem glatten, niedlichen, dem ungefährlichen Ideal entspricht. Berlusconi ist gerade nicht Ministerpräsident. Auf nach Italien.

  • Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wäre es: eine etwas zu große Lederjacke.
  • Wenn das Album eine Software wäre, dann wäre es: eine zum Rückgängigmachen von Photoshop-Bearbeitungen.
  • Dieses Album ist genau das Gegenteil von: einer Victoria's-Secret-Show.

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She and Him: "Classics"

Weihnachten ist die Zeit der gepflegten Nostalgie. Wann, wenn nicht jetzt hört man so gern Altbekanntes, wann ist die Freude an der Wiederholung größer? Das dachten sich wohl Zooey Deschanel und M. Ward, als sie ihre Lieblings-"Classics" aus den Dreißigern bis Siebzigern für ein Cover-Album zusammensuchten.

Schauspielerin Deschanel trägt nicht nur ihr Haar ähnlich hoch toupiert, sondern singt auch wie Dusty Springfield und Nancy Sinatra. Sie macht das sehr entspannt mit ihrer tiefen, warmen Stimme und klingt glaubhaft verliebt in jene unironischeren Zeiten, aus denen "Stars Fell on Alabama" und "Stay Awhile" stammen. Die Brechung der reinen Nostalgie besteht hier nur noch in der ausdruckslosen Genauigkeit, mit der den alten Klängen nachgespürt wird. Der ewige Tränentreiber "She" hat nie so undramatisch geklungen.

Die "Classics" von She and Him hören sich an, als seien die beiden froh, dass andere die ganz großen Gefühle schon durchlitten und besungen haben: Ein bisschen schüchtern, ein bisschen verschlafen, aber niemals kitschig. Wer sich grundsätzlich über Nostalgieseligkeit zu Weihnachten aufregen möchte, soll das tun. Allen anderen bietet dieses Album wenig Grund, genervt zu sein.

  • Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wäre es: ein Ringelshirt.
  • Wenn das Album eine Software wäre, dann wäre es: der Schwarzweiß-Filter von Instagram.
  • Dieses Album ist genau das Gegenteil von: "Do they know it's Christmas".

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Golden Diskó Ship: "Invisible Bonfire"

"Invisible Bonfire" von Golden Diskó Ship zeigt, was Popmusik sein kann, wenn sie sich nicht an falsche Sicherheiten klammert. Ein wildes, organisches Klanggebiet voller Witz und Tiefe. Musik, die nicht vor der Elektronik zurückschreckt, die aber auch nicht in lähmender Begeisterung vor ihr erstarrt und jeden Ton beiseite wischt, der nicht perfekt integriert werden kann.

In Stein gemeißelt wirkt nichts an diesem Album. Die experimentellen, um die sechs Minuten langen Tracks von "Invisible Bonfire" scheinen vielmehr erst beim Hören zu entstehen und klingen, als könnten sie sich beim nächsten Drücken der Playtaste schon ganz anders anhören.

Die Berliner Musikerin und Video-Künstlerin Theresa Stroetges entwickelt auf ihrem zweiten Album ihre Lieder aus Rauschen und Piepsen, aus weit entferntem, kaum verständlichem, mal gehauchtem, mal gemurmeltem Gesang und fröhlichen Folk-Reminiszenzen.

In die vielfältigen Klangschichten aus Vogelgezwitscher, Gitarrenzupfen und elektronischen Effekten begibt man sich als Hörer wie in einen Zauberwald, in dem die Grenzen zwischen Natur und Maschinerie sich aufgelöst haben.

  • Wenn das Album ein Kleidungsstück wäre, dann wäre es: ein dunkelgrünes Glitzercape.
  • Wenn das Album eine Software wäre, dann wäre es: eine Pflanzenerkennungs-App.
  • Wenn dieses Album ein Tier wäre, dann wäre es: ein Cyborg-Uhu.

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