Plattenkabinett:Nur einmal rächen

Marcus Wiebusch

Marcus Wiebusch debütiert mit "Konfetti" als Solomusiker.

(Foto: Indigo)

Planschen am Beckenrand des Lebens: vorbei. Marcus Wiebusch verabschiedet sich ohne Kettcar von der Tyrannei der Intimität. Auf seinem Soloalbum "Konfetti" ist er wieder Punk, kämpft gegen Arschlochlehrer, echte Männer, Bibel-Zitierer - und erklärt, warum ein gutes cooles Leben die beste Rache sein kann.

Von Sebastian Gierke

Marcus Wiebusch - Konfetti

Marcus Wiebusch, das wissen einige seiner Fans vielleicht gar nicht, der war mal Punk. Seine Band hieß ...But Alive, es gab sie von 1991 bis 1999 und gesungen hat Wiebusch damals zum Beispiel diese großartigen Zeilen:

Pete Townshend ist heute alt und will längst schon nicht mehr sterben. Und alle um mich herum wollen nur in Würde älter werden. Ich sagte es gestern, sag' es morgen: Macht euch um mich doch keine Sorgen Und kümmert euch zuerst um euch und fickt euch.

Danach kamen Kettcar. Kettcar, das war nicht mehr Punk. Das war Befindlichkeits-Indie-Pop. Mit einigen guten Momenten. Es ging um gebrochene Herzen, es ging um Gefühle, es ging um das richtige Leben im falschen. Doch auf Dauer war das nicht genug. Und dann das vorerst letzte Album "Zwischen den Runden": bräsig, privat, langweilig. Die Tyrannei der Intimität. Schlager.

Jetzt nehmen sich Kettcar eine Auszeit und Wiebusch veröffentlich sein erstes Soloalbum: "Konfetti". Es beginnt mit einem Trick: Das melancholische "Off" mit dem Tori-Amos-Piano zu Beginn klingt schon sehr nach Kettcar. Och ne, hab ich gedacht. Und mich gar nicht mehr auf das gefreut, was da noch kommen mag. Abschalten wäre ein Fehler gewesen.

"Der Tag wird kommen." So heißt der nächste Song. Dicker Beat. Sprechgesang, fast Hip-Hop. Kein Gitarrengeschrammel, kein Indie. Klingt nach Pop-Mainstream. Aber Pop-Mainstream, der was von einem will. Wiebusch kämpft wieder. Die Introspektive, das Gejammere über das ständige Planschen am Beckenrand des Lebens: vorbei. Es ist wieder die Draufsicht gefragt. Das große Ganze. Der politische Blick:

All ihr homophoben Vollidioten, all ihr dummen Hater

All ihr Forums-Vollschreiber, all ihr Schreibtischtäter

All ihr miesen Kleingeister mit Wachstumsschmerzen,

All ihr Bibel-Zitierer mit eurem Hass im Herzen

All ihr Funktionäre mit dem gemeinsamen Nenner

All ihr harten Herdentiere, all ihr echten Männer

Kommt zusammen und bildet eine Front

Und dann seht zu, was kommt

Wiebusch rappt in "Der Tag wird kommen" über einen homosexuellen Fußballer. Sieben Minuten dauert der Song. Mit vielen guten Beobachtungen, mit viel Einfühlungsvermögen. Das sind die Stärken des 45-jährigen Hamburgers. Immer gewesen. Am Ende steht eine Hymne, die über ihr wichtiges Thema noch hinausweist: eine Feier der Freiheit.

Nächster Song: "Nur einmal rächen". Auch eine Hymne. Auf die Computer-Nerds. Diejenigen, die in der Schule keiner ernst genommen hat. Die aber schon seit einiger Zeit drauf und dran sind, die Macht zu übernehmen. Mit ihrer Kreativität, mit ihrem Wissen, ihrem Durchhaltevermögen. "Eure Welt programmieren, meine leichteste Sache, ein gutes cooles Leben ist die beste Rache."

Wiebusch beschreibt nicht mehr einfach das Leben. Und dessen Stumpfsinn, die täglichen illusionären Selbsttäuschungen. Es gibt Alternativen! Das ist es, was er sagt. Und zwar als einer, der viel gesehen hat. Daraus schöpft er Kraft und Wut, die ohne jugendliche Naivität auskommt. Er sagt: Man muss sich nicht mit allem abfinden. Nicht mit den "Arschlochlehrern", nicht mit den "Alphatieren".

Dabei stellt Wiebusch seine Forderungen nicht, um sich bestätigt zu sehen, wenn die Welt diesen Forderungen nicht genügt. Er sagt nicht: Ich hab's Euch doch gesagt, wie es so viele eigentlich Kluge tun. Wiebusch stellt Forderungen, weil er die Hoffnung hat, dass sie erfüllt werden können. Manchmal ist das vielleicht etwas zu pathetisch, es zeigt aber: Er ist immer Punk geblieben. Er ist dagegen. Gegen Internet-Trolle ("Haters gonna Hate"), gegen Selbstdarsteller, gegen die, die immer anders sein wollen ("Jede Zeit hat ihre Pest").

Doch keine Angst, liebe Kettcar-Fans, Ihr müsst Euch nicht fürchten. Trotz viel Sprechgesang, Klavier und Bläsern. Die Musik, die klingt schon noch nach Kettcar, es ist die Haltung, die an ...But Alive erinnert.

Wer würde sich über das Album freuen? Thomas Hitzlsperger.

Welche Mahlzeit passt zu dem Album? Vegetarisch und gut gewürzt.

Welcher Song muss unbedingt auf das nächste Mixtape? "Der Tag wird kommen"

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Nas - Illmatic XX

Es hat ein paar Jahre gedauert bis Nasir bin Olu Dara Jones, genannt Nas, auch in Niederbayern angekommen war. 1994 veröffentlichte er sein Debütalbum "Illmatic". Vielleicht zwei Jahre später sprangen mich dann unter dem Dach des Hauses in der kleinen Stadt aus der 80-Mark-Anlage folgende Worte an:

"And you're sitting at home doing this shit? I should be earning a medal for this Stop fucking around and be a man There ain't nothing out here for you Oh yes there is, this"

Von den Queensbridge Projects in New York hatte ich keine Ahnung. Von Gangs, Armut oder harten Drogen auch nicht. Meine Erfahrungen mit Gewalt beschränkten sich auf Schulhofschubsereien und Untergetaucht-werden im Hornung-Weiher. Als Ghetto bezeichneten meine Freunde und ich die fünf oder sechs Häuser an der Donau. Und zwar eigentlich deshalb, weil in ihnen mehr als sechs Menschen auf einmal wohnten. Von dem, was Nas' da rappte, verstand ich kaum etwas.

Und dennoch: Sein rauer, geschmeidiger, rasender Flow beeindruckte mich nachdrücklich. Die Düsternis, die Rohheit, die Poesie, der Zorn, die Zärtlichkeit. "I never sleep, 'cause sleep is the cousin of death." Nach dem Hören des Albums kamen mir jedenfalls die Straßen der kleinen Stadt tatsächlich ein kleines bisschen düsterer vor, ein bisschen gefährlicher.

"Illmatic" ist ein außergewöhnliches Album. So außergewöhnlich, dass sich seine Energie - in Teilen - auch einem behütet aufgewachsenen, ansonsten eher mit Gitarrenbands sympathisierenden Spangenträger aus Niederbayern erschloss. Sogar die retrospektiv extrem peinlichen Reifen-Quietsch-Fahrten im 3-er-BMW-Cabrio eines Freundes über den sommerlichen Stadtplatz kann ich mir heute zumindest ein bisschen erklären. Immerhin dröhnte im Kofferraum der Beat von "The World is Yours" aus dem Subwoover.

Es war eine Wohltat, ja, eine Art Erweckung, in der kleinen Stadt mit dieser Art Unbekanntem konfrontiert zu werden. Der Beat, das war der Dolmetscher eines hungrigen Teenager-Herzens. Songs wie "N.Y. State of Mind" oder "It Ain't Hard to Tell" haben mich auf eine verquere Art und Weise glauben lassen, dass es vielleicht einen Sinn gibt. Einen Sinn, den ich zwar damals wie heute nicht beschreiben kann, der sich aber doch immer wieder zeigt.

"Illmatic", das Debüt von Nas, ist ganz ohne jeden Zweifel eines der besten Rap-Alben aller Zeiten. Und eines der einflussreichsten. Ein Klassiker, ein ikonisches Album, das Nas als 20-Jähriger veröffentlichte und über das die New York Times schrieb:

"A milestone in trying to capture the 'street ghetto essence'."

Nas wurde als einer der größten Dichter Amerikas gehandelt. "Illmatic" war ein Liebesbrief an Queensbridge, an dem einige der besten Produzenten der damaligen Zeit mitgeschrieben haben: Pete Rock, Q-Tip, DJ Premier.

Und 2014? Wie ist es, das Album heute noch einmal zu hören? Kennen Sie diesen dubios-angenehmen Nervenkitzel, wie er einen beim nochmaligen Durchlesen alter Liebesbriefe befallen kann? So ungefähr. Es stellt sich aber die Frage: Braucht es für diesen Nervenkitzel eine Neuauflage? Eine weitere Neuauflage? Nach der "10 Year Aniversary Illmatic Platinum Series" erscheint nämlich jetzt "Illmatic XX". Zum 20-jährigen Jubiläum.

"Illmatic XX" besteht aus einer neu abgemischten Version der zehn Songs von "Illmatic". Ein bisschen druckvoller klingt das jetzt, ein bisschen lauter. Aber ohne die Details zu überdecken, wie beispielsweise das versehentliche Kratzen der Nadel eines Plattenspielers. Dazu gibt es eine zweite CD. Die beinhaltet bislang unveröffentlichte Demo-Tracks, Remixe und die Aufnahme eines Radio-Freestyles. Nichts davon reicht an die alten Songs heran. Einige Tracks wirken sogar ein bisschen einfallslos. Die zwei Remixe von "One Love" beispielsweise. Und die zwei von "It Ain't Hard to Tell".

Ist die Jubiläumsausgabe also nichts weiter als eine überteuerte Erinnerung an ein großes Album? Nein. Denn erstens ist der Preis vernünftig und die, die "Illmatic" noch nicht besitzen, können ohne schlechtes Gewissen zugreifen. Und zweitens muss "Illmatic XX" als Würdigung eines epochalen Kunstwerks begriffen werden. Das hier ist Rap, der lebt. Immer noch. Auch in der kleinsten Stadt.

Wer würde sich über das Album freuen? Ein 16-jähriger Provinzbewohner auf der Suche.

Welche Mahlzeit passt zu dem Album? Ein Burger. De Luxe. Mit etwas hartem Brot.

Welcher Song muss unbedingt auf das nächste Mixtape? "The World is Yours"

Falls Sie die Playlist nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Eels - The cautionary tales of Mark Oliver Everett

Marcus Wiebusch umgeht die Befindlichkeitsfalle absichtlich. Mark Oliver Everett, der sich E nennt, kann nicht anders. Zwar leuchtet er mit seiner Band Eels das eigene Leben nicht nur aus, er durchleuchtet es. Doch das hat nichts mit langweiliger Introspektion zu tun, nichts damit, einem privaten bisschen Ego, das nichts über sich selbst hinaus mitzuteilen hat, ein paar Melodien abzuringen.

Everett stellt sich vielmehr rücksichtslos aus. Auch in seinem mittlerweile elften Album "The cautionary tales of Mark Oliver Everett". Er stellt sich aus als einen Schmerzensmenschen. Als einen, dessen seelische Knochen von der Unbarmherzigkeit des Lebens zertrümmert wurden. Einer wie er leidet nicht an Befindlichkeiten. Er leidet Qualen.

Im Alter von 19 Jahren fand Everett seinen depressiven, alkoholkranken Vater, einen Physiker, tot im Haus der Familie. Seine Schwester, drogenkrank und schizophren, nahm sich in einer Nervenheilanstalt das Leben. Da war Everett 22. Zwei Jahre später verstarb seine Mutter, eine Lyrikerin, die er jahrelang gepflegt hatte, an Lungenkrebs. Eine Cousine, eine Stewardess, kam ums Leben, als die Terroristen am 11. September 2001 ihr Flugzeug in das Pentagon stürzen ließen.

Und Everett macht Musik. Musik mit Galgenhumor und manchmal überraschend positiven Melodien. Musik um zu leben. So zumindest klingt sein Kammerpop, zurückhaltend instrumentiert, mit Akustikgitarre, Klavier, manchmal mit ein paar Streichern, Flöten oder Xylophonen. Es wäre zynisch zu behaupten, dass er in der Musik das Unglück seines Lebens verarbeitet. Wie soll ein Mensch solches Unglück je verarbeiten? Everett präsentiert es deshalb.

Diese seelischen Offenbarungen haben natürlich etwas Pornographisches. Everett macht Musik über sich. Und darüber, wie er, der Depressive, die Welt sieht. Eine absurde Tragik liegt darin, dass Everett fortwährend sein Unglück thematisieren muss, weil er sich nur so vor der Verzweiflung am Leben retten kann. Er selbst hält seine zarten Songs jedenfalls für optimistisch. Und singt in dem fragilen "Parallels" tatsächlich: "I don't have any proof, but I'm sure". Es geht um ein Happy End.

Wer würde sich über das Album freuen? Jemand, der Trost braucht.

Welche Mahlzeit passt zu dem Album? Keine. Auch mit viel Rotwein bleibt es einem im Hals stecken.

Welcher Song muss unbedingt auf das nächste Mixtape? "Parallels"

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