Plattenkabinett:Mehr Größenwahn wagen

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George Ezras Debütalbum "Wanted on Voyage" werden vor allem jene interessant finden, die in den vergangenen Wochen und Monaten im Radio "Budapest" gehört haben. (Foto: Danny North; Sony Music)

George Ezra verzückt mit seinem Hit "Budapest" die Radiohörer. Aber bringt ihm sein Langspieler "Wanted on Voyage" neue Fans ein? Neue Alben im Plattenkabinett, der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Gökalp Babayiğit

Google ist das wurscht, man kann wirklich jeden Blödsinn eintippen und bekommt Ergebnisse. Wer etwa "The next Bob Dylan" sucht, erhält 106.000 Treffer. Nicht nur, dass diese Frage sinnlos ist (denn es gibt nicht nur einen Rudi Völler, sondern auch nur einen Bob Dylan). Nein, die meist aus der Luft gegriffenen Antworten in den Suchtreffern verändern sich auch regelmäßig. Derzeit ist es ein junger Brite namens Jake Bugg, der mit dieser vergänglichen Ehre leben darf. Gut möglich, dass sich nach dem Erscheinungstag von George Ezras Debütalbum "Wanted on Voyage" darunter auch ein paar neue Treffer mischen.

Dass der ebenfalls junge Brite Ezra Dylan als eine seiner Inspirationsquellen nennt, reicht manchen schon als Anhaltspunkt. Wenn doch selbst die BBC bei Ezras Stimme an den alten Großmeister denken muss!

Trotzdem ist die Frage müßig. "Wanted on Voyage" richtet sich weder an alte Dylan-Fans, noch erreichen die zwölf Stücke die lyrische Tiefe, für die der Amerikaner so gefeiert wird. Das Album werden vor allem jene interessant finden, die in den vergangenen Wochen und Monaten im Radio "Budapest" gehört haben. Und sie werden kriegen, was sie sich versprechen: mal etwas flotter wie in "Cassy O'", mal mit Falsett-Stimme wie in "Stand By Your Gun", manchmal etwas langweilig wie in "Listen to the Man", manchmal à la Nick Cave wie in "Spectacular Rival", aber immer: wenig erschütternd, nie wirklich spektakulär, kaum aufrührend.

Beinahe in allen Medienberichten über George Ezra wird der 21-Jährige als total nett beschrieben, als einer, der auf dem Boden geblieben ist. Vielleicht fehlt ihm - genauso wie seinem Debütalbum - das Quäntchen Megalomanie. Allein deshalb verbietet sich fast jeder Bob-Dylan-Vergleich.

Wann hört man das Album am besten: Wenn man eigentlich keine Zeit hat, um richtig Musik zu hören.

Wenn diese Platte ein Hashtag wäre: #guywhosangbudapest

So müsste das Album eigentlich heißen: Nobody hurts

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Für die Rapperin Nina Sonnenberg alias Fiva ist eine neue Platte nicht Pflichtprogramm oder Beweis ihres Geschäftssinns. Einen ebensolchen will man ihr nicht mal unterstellen, selbst wenn man sich vor Augen führt, was Fiva so alles macht: Sie ist nicht nur Rapperin, sondern auch Poetry-Slammerin, Autorin von Gedichtbänden und Moderatorin fürs Radio und fürs ZDF.

Fiva tut das alles aus tiefster innerer Überzeugung. Wie Dienst nach Vorschrift klingt denn "Alles leuchtet" auch nicht, es klingt nach Liebe zu ihrer Arbeit. Worum geht es? "Es geht um Alltag, es geht um Beziehungen, es geht um Politik und Gesellschaft. Es geht um Themen, die, glaube ich, sehr viele Menschen aus meiner Generation betreffen!", sagt Fiva.

Beziehungen, Politik und Gesellschaft. Was fehlt in dieser Auflistung? Genau, irgendetwas originär Spaßbringendes fehlt. Bevor ich jetzt als Depp beschimpft werde, der Beziehungen nicht zu schätzen weiß, zitiere ich besser Fiva selbst, die in "Früher war Liebe" Folgendes rappt: "Früher war Liebe nur Lieder hören und an ihn denken, Tapedeck zu, Record gedrückt und Kassette verschenken. Liebe war Wolle, Liebe war Watte, ja nein vielleicht ankreuzen reicht, 'All I need' Method Man Mary J.Blige."

Nina Sonnenberg alias Fiva bei einem Live-Auftritt. (Foto: Marco Einfeldt)

So weit, so schön-nostalgisch. Und was ist Liebe heute? "Und jetzt heißt zu zweit 'Für Immer'. Leben für Arbeit und Kinder, reden davon was uns dran hindert, so zu werden wie wir waren. Und die Theke unsrer Bar, sehnt sich schon danach von unserm Leben zu erfahren. Doch wir sind jetzt verplant."

Soweit, so ernüchternd. Zwar versucht Fiva schon zwei Tracks weiter, in "Das Beste ist noch nicht vorbei", die Stimmung wieder etwas anzuheben, wie sie es auch in "Einen Sommer lang nur tanzen" schon probierte. Doch die Gedanken kreisen schon so sehr um die Probleme des Erwachsenseins, dass man eben nicht mehr, wie von Fiva gefordert, die Wolken wegschieben und sich eben nicht mehr bewegen kann oder will, "soweit dich deine die Füße tragen".

Im titelgebenden "Alles leuchtet", bei dem die Wiener Soulsänger von "5/8erl in Ehr'n" ihren Gastauftritt haben, wird der geliebte Partner sehr vermisst. "Wunderland" ist ein Mutmacher für die weiblichen Hörer gegen die allumfassende Diskriminierung ("Die Welt da draußen ist zu kalt für uns Feen? Mädchen lass Dir keine Märchen erzählen"). In "Kleinkunst II" gibt es Storytelling-Rap, "Du bist nicht mein Monster" ist ein Diss-Track gegen einen nicht näher definierten Menschen, der wie ein ziemlicher Vollidiot klingt und jetzt aus dem Leben Fivas geworfen wird.

Am Ende fühlt man sich wie nach einem langen, sehr langen Abend voll ernster und tiefgehender Gespräche über allerlei Probleme mit einer sehr klugen Person. Kein unschöner Abend, das nicht. Aber doch einer, an dem das Lachen womöglich ein wenig zu kurz kam. Macht ja auch nichts, das Leben ist ja nicht nur lustig. Viele Menschen werden "Alles leuchtet" deshalb sehr mögen.

Wann hört man das Album am besten: An einem Abend langer und tiefgehender Gespräche.

Wenn diese Platte ein Hashtag wäre: #imernst

So müsste das Album eigentlich heißen: Nix leuchtet, alles ist matt

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Wer mit Country nach wie vor höchstens Johnny Cash in Verbindung bringt oder - noch schlimmer - als Hillbilly-Kram abtut, sollte mal aus dem Mainstream-Quark kommen. Großartige Künstler wachsen in diesem Genre, und wachsen über das Genre hinaus.

Die Secret Sisters sind Lydia und Laura Rogers, kommen aus Alabama und könnten das Name-Dropping-Spiel spielen, wenn sie wollten: Der Über-Produzent T Bone Burnett reißt sich um das Geschwisterpaar und gründete extra ein Label, um ihr Debütalbum zu veröffentlichen. Er produzierte auch das neue Album "Put your Needle Down". Jack White von den White Stripes brachte auf seinem Label auch eine Single der Sisters heraus - und Bob Dylan schickte den beiden einen unvollendeten seiner Songs, als er hörte, dass sie an einem neuen Album tüfteln.

Doch Lydia und Laura Rogers müssen dieses Spiel nicht spielen. Auf "Put your Needle Down" beweisen sie, dass man die goldene Vergangenheit des Country sehr wohl auch in der heutigen Zeit feiern, dabei vom Staub befreien und dabei das Genre glänzend verfeinern kann.

Die Harmonien sind durchweg phantastisch. Doch das ist beinahe schon die einzige Gemeinsamkeit, die die Stücke haben. Die unter Jazz-Blues-Einflüssen stehende Dylan-Nummer "Dirty Lie", atmosphärisch Düsteres wie "Iuka", das laszive "Bad Habit", das rasend traurige "Let there be lonely" oder die stampfenden "Rattle my Bones" und "River Jordan", Opener und Schlusstrack der Platte: "Put Your Needle Down" strotzt vor Variantenreichtum. Die Secret Sisters zeigen eindrucksvoll, dass man, wenn man an Country denkt, gerne aus dem Ring of Fire heraustreten darf.

Wann hört man das Album am besten: Auf der Veranda einer Ranch

Wenn diese Platte ein Hashtag wäre: #countrysistersrule

So müsste das Album eigentlich heißen: Harmony is Queen

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