Plattenkabinett:Man nehme den Außenrist

James Blunt

James Blunt ist nunmal James Blunt. Sein neues Album heißt "Moonlanding". Es ist ein typisches James-Blunt-Album geworden.

(Foto: dpa)

James Blunt geht soldatisch seinen Weg, das norwegische Duo Mona & Maria gibt sich weltverloren und die bayerischen Debütanten Aloa Input sind sehr unverkrampft. Neue Alben im "Plattenkabinett", der Musikkolumne von SZ.de.

Von Gökalp Babayigit

Sie stehen vor einem leeren Fußballtor, wenige Zentimeter von der Torlinie entfernt ein gut aufgepumpter Fußball auf sauber getrimmtem Rasen, die Beinmuskulatur intensiv aufgewärmt, an Ihrem Fuß ein 200-Euro-Hightechfußballschuh: So einfach wie diesen Ball ins Tor zu bugsieren, so einfach wäre es, das neue Album "Moonlanding" von James Blunt zu eben jenem Erdtrabanten zu jagen, im übertragenen Sinn jetzt.

Dennoch muss man versuchen, sich diesem James-Blunt-Album unvoreingenommen zu nähern. Versuchen, nicht einzustimmen in die globale Häme für den Schnulzensänger, Schmusebarden, Soldaten mit der Gitarre oder wie sie ihn sonst so heißen. Weil man es besser machen möchte. Weil man den Millionen Menschen, die Blunts Alben kaufen und die seine Singles - so wie gegenwärtig "Bonfire Heart" - auf Platz eins schnellen lassen, keine Watschn geben möchte. Weil Musik ja etwas Persönliches ist.

Machen wir es kurz: Das alles hilft am Ende nichts. Am Ende ist "Moonlanding" ein typisches James-Blunt-Album. Die James-Blunt-Fans werden es lieben, die James-Blunt-Hasser werden es hassen. Und die Neutralen haben ein paar Gründe mehr, ihre neutrale Position zu räumen und sich ins Lager jener Geister zu begeben, die stets verneinen, was James Blunt zustande bringt.

Vierzehn Lieder lang marschiert Blunt soldatisch auf jenem Weg, den er sich selbst mit seinem ersten Album bereitet und den er seitdem nie verlassen hat.

Es geht um die Kraft der Liebe wie in "Bonfire Heart", dem Radioknaller:

"Days like these lead to, nights like this leads to love like ours, You light the spark in my bonfire heart"

Es geht um fehlende Selbstliebe wie in "Bones", die durch die Liebe einer anderen Person wettgemacht wird:

"I have never been a beautiful boy, Never liked the sound of my own voice, I wasn't cool when I was in my teens [...]Yeah you set my heart on fire"

Es geht um den Abschied von der Liebe wie in "Always Hate me":

"She will always hate me She said, "You lost me baby." No matter what I say The love is gone"

"Die Zuhörer sollen etwas fühlen. Und vor 40.000 Leuten seine innersten Ängste freizulegen, erfordert mehr Rückgrat als die meisten Menschen haben. Ich bin schwach, aber in mancher Hinsicht gilt: Ich bin mutiger als meine Kritiker", sagt Blunt im SZ.de-Interview.

Dem ist wenig hinzuzufügen: Wer sich vor Zehntausenden derlei Lieder zu singen traut, der hat das Herz eines Löwen. James Blunt hat so viel Liebe in sich. Er braucht meine Liebe nicht.

Ich nehme den Außenrist. Und schiebe den Ball über die Linie.

  • Wenn das Album ein Tier wäre, wäre es eine Diddlmaus.
  • Wenn das Album eine Reise wäre, dann führte sie auf den Knutschhügel.
  • Wer das Album hört, mag auch James Blunts "You're beautiful" zu den schönsten Liebesliedern aller Zeiten zählen.

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Mona & Maria - My Sun

"Weißt Du noch, wie schön der Sommer war? Jetzt, da uns der Herbst mit seinen dunklen Tagen und seiner Kälte heimsucht? Nein? Macht nichts. Wir singen Dir ein Lied."

So oder so ähnlich stellt man sich die Unterhaltung mit Mona Andersen, 27, und Maria Knudsen, 28, vor, wenn man ihre Platte "My Sun" hört. Die Norwegerinnen präsentieren ein ganz erstaunliches Folk-Album: auf dass diejenigen, die dem Herbst skeptisch begegnen, die Schönheit dieser Jahreszeit endlich erkennen.

Zum einen sind da die Arrangements. Die vorsichtig-bedächtigen Akustikgitarren, die getragenen Celli, das wundersame Fagott: Sämtlichen zehn Stücken auf "My Sun" verpassen die Künstler - darunter einige von Norwegens besten Musikern, die für einen Beitrag gewonnen wurden - Klangwelten, eine schöner als die andere.

Majestätisch, wenn es majestätisch sein soll - wie im titelgebenden "My Sun". Melancholisch wie in "Northern Wind", dessen Streicher man gehört haben muss. Sehnsuchtsvoll wie im beinahe lasziven "Babyflowers". Psychedelisch wie im entrückten "Venus". Oder nostalgisch wie in "Silent Summer", das einem dank der Erinnerung an die Byrds ein Lächeln aufs Gesicht zaubert.

Zum anderen sind da die Stimmen der beiden Frauen. Alleine zu singen, so ist auf der Seite der Plattenfirma zu erfahren, sei für beide ein entsetzlicher Gedanke gewesen. "Aber gemeinsam haben wir so etwas wie eine dritte Person gefunden, die uns Sicherheit gibt", sagen Mona und Maria. Tatsächlich sind es ihre zauberhaft harmonierenden Stimmen, die dem Hörer von "My Sun" bei aller vorwinterlicher Düsterkeit Hoffnung geben - oder wenigstens Trost spenden.

Diese Platte mag noch so weltverloren und introvertiert klingen, wer Mona und Maria zuhört, der fühlt: Selbst wenn diesem Herbst ein kalter Winter folgen sollte, der scheinbar endlos ist. Der nächste Frühling kommt bestimmt. Und schon ergibt der Name des Albums einen Sinn. Wo viel Schatten ist, muss auch irgendwo viel Licht sein.

  • Wenn das Album ein Tier wäre, wäre es ein Einhorn.
  • Wenn das Album eine Reise wäre, dann führte es an den norwegischen Fjord.
  • Wer das Album hört, mag auch endlich den Herbst.

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Aloa Input - Anysome

Geschichte, das wissen wir von Meister Polt, ist eine wichtige und ernste Angelegenheit. "Das ist doch ein Fach, was einen interessiert", sagte der Bayer mal Zustimmung heischend.

Ja, Geschichte muss man kennen. Und mögen in Bayern die Uhren noch so anders gehen, wie in der Restrepublik immer wieder gern behauptet wird: Geschichtsbewusstsein, das ist vorhanden.

Im vorliegenden Fall freilich ist die Rede von musikalischem Geschichtsbewusstsein. Das ist aber nicht das einzige freundliche Wort, was man über Cico Beck, Marcus Grassl und Flo Kreier und ihre Band Aloa Input verlieren muss.

Aloa Input, ein seltsamer Name, aber irgendwie auch Programm. Allerlei Einflüsse rühren die drei Bayern in ihrem Debütalbum "Anysome" zusammen. Was funktioniert. Afrikanische Trommeln trommeln, Vögel tschilpen, Gitarren verzerren, entspannte Sänger singen: "Anysome" hört sich an, wie ein guter Cocktail schmeckt, den man zum ersten Mal probiert.

Eine Vorliebe der drei für Animal Collective und The Notwist hört man den Stücken natürlich an. Wer bei "Another Green World" nicht an die Amerikaner denkt, kennt diese schlicht nicht. Wer "Clouds so Far" hört, versteht, dass Aloa Input die Weilheimer schon auf Tour begleitet haben.

Und das Geschichtsbewusstsein? Bei "Someday Morning" ließen sich die drei von "Sunday Morning" (The Velvet Underground), bei "This Must Be The Age" von "This Must Be The Place" (Talking Heads) inspirieren, was man auf eine sonderbare Weise herauszuhören glaubt. In einem Interview sagte Flo Kreier, dass die Platte "so krass naiv" sei.

Er hat damit recht. Dem Naiven wohnt das Unbekümmerte inne. "Anysome" klingt, als hätte Aloa Input sie gänzlich ohne die nagenden Fragen im Hinterkopf aufgenommen, die Künstler viel zu oft quälen: Wird gefallen, was wir hier tun? Wenn ja, wem? Und wenn nein, wieso nicht? Wie muss es klingen, damit es gefällt?

Unverkrampft nennt man das wohl. Aloa Input verzichtet auf die Pose, kennt ihre Einflüsse, kennt die Geschichte - und legt ein sehr gelungenes Debütalbum hin.

  • Wenn das Album ein Tier wäre, wäre es ein Chamäleon.
  • Wenn das Album eine Reise wäre, dann führte es vom Chiemsee bis nach New York.
  • Wer das Album hört, mag Animal Collective sehr und The Notwist sowieso.

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Unten finden Sie alle Platten, die in dieser Rubrik bisher besprochen wurden:

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