Plattenkabinett:Majestätsbeleidigung vom Feinsten

Ishamael Butler von den Shabazz Palaces

Rapper Ishamael Butler von Shabazz Palaces

(Foto: Patrick O'Brien-Smith)

Shabazz Palaces gelingt ein grandioser Angriff auf die Jay-Zs des Hip-Hop, die es sich im Mainstream gemütlich gemacht haben. Gossling lässt uns an die Liebe glauben. Und Enrique Iglesias? Kapitulation!

Von Sebastian Gierke

Der Albumtitel stammt aus dem Lateinischen (trotzdem weiterlesen, es wir noch interessanter!): Laesa maiestas. "Verletzte Majestät". Majestätsbeleidigung. Genau das tun Shabazz Palaces aus Seattle.

Der Rapper Ishamael Butler und der Produzent Tendai "Baba" Maraire starten mit ihrem neuen Album einen Angriff auf die, die auf dem Thron sitzen. Auf die Jay-Zs und Drakes dieser Hip-Hop-Welt, auf den Hip-Hop-Mainstream. Auf die, die es sich gemütlich gemacht haben und nichts mehr beitragen wollen zur Weiterentwicklung der Rap-Kultur.

Lese Majesty ist Protest. Eine einzige Verweigerung. Vieles auf dem Album bleibt Skizze, ist Zwischenspiel. Doch im Zwischenspiel liegt schon das Ganze. Alles fließt hier, geht ineinander über, bleibt fragmentarisch, klingt improvisiert. Der Sound greift nicht sofort nach einem, wabert geheimnisvoll, klingt wie unter Wasser aufgenommen. Die Songstrukturen sind virtuos, aber nicht linear.

Es geht um das Dazwischen, nicht um die hohle, die marktschreierische Erfolgsformel. Hip-Hop-Puristen werden das nicht mögen. Ein Refrain? Eine klare Punchline? Sucht ruhig weiter, Langweiler.

Der Verzicht auf alles Laute und Eindeutige verleiht der Antihaltung des Albums Kraft. Nur dadurch entgehen Shabazz Palaces dem Problem, dass so gut wie jeder unmittelbare laute Protest gegen Autoritäten heute zur Pathosformel und zum Klischee verkommt. Das haben sie gut eingerichtet, die Autoritäten.

Lese Majesty ist erratisch und unkonventionell, aber nicht verrückt um der Verrücktheit Willen. Intellektualität und Instinkt finden zusammen. Butler kennt seine Gegner, auch wenn er sie in den Texten meist nur subtil angreift. Ausnahme: "The type of MC you'd be back then is 'sucka." Lieber sind ihm exzentrische Wortspiele: "I don't eat pork like Mr. Rourke/I'm coming up like Donald Duck/I scream and yell like Samuel L."

Das Album besteht aus sieben verschiedenen Suiten, die jeweils in drei bis fünf Songs unterteilt sind. Es geht irgendwie um eine Science-Fiction-Welt, um andere Universen, um Aliens, das alte Ägypten.

Diese Musik klingt nicht nur als wäre sie von ihrer Umgebung distanziert, sie distanziert auch den Hörer von seiner Umgebung, sie nimmt ihn durch ihr surreales, futuristisches Echo mit auf einen Trip, lässt einen schwindeln. Der Beat, viele Handclaps und basslastiges, dröhnendes Wabern in den Tiefen, ist immer zugleich: schleppend und drängend, die Soundlandschaften flächig, bedrogt, außerweltlich. Das klingt fast nach Nicolas Jaar.

Eine Platte, die nicht für den Markt produziert und dort wie eine Aktie platziert wird. Diese Musik soll nicht einfach Bedürfnisse befriedigen, sondern sie wächst weit hinaus über gewöhnliches Maß. Sie richtet auf und gleichzeitig hin, trennt und verbindet gleichzeitig.

Das hier, das konfiguriert auf visionäre Art und Weise völlig neu, was Hip-Hop ist und sein kann. Es werden Grenzen verschoben. Lese Majesty ist schon jetzt eine der Platten des Jahres. Und Shabazz Palaces müssen zu den besten Hip-Hop-Gruppen der Welt gezählt werden.

Wenn das Album eine Stadt wäre, dann wäre es, nein, nicht Berlin, Tel Aviv.

Wenn das Album ein Spielzeug wäre, dann wäre es ein ziemlich grandioses, aber schwer zu bedienendes Sexspielzeug.

Schenken Sie das Album auf keinen Fall: Dem 14-jährigen Jay-Z-Fan mit der Fake-Goldkette aus der Nachbarschaft.

Falls Sie die Playlist nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Gossling

Bei Folkmusik spielt das Sentimentale und das Nostalgische eine große Rolle. Einfache Geschichten, einfache Melodien, einfache Instrumente. Das sind die Mittel, mit deren Hilfe die Künstler eine Reise in eine schlichtere Vergangenheit antreten.

Die Australierin Helen Croome aka Gossling befand sich jahrelang auf dieser Reise. Jetzt ist sie angekommen. Beim Pop. Warm instrumentiert, gut produziert. Ein bisschen Disco, ein bisschen Ambient, ein bisschen Elektronika. Synthesizer, Harfen und Farfisa-Orgel.

Die eine Hälfte der Songs melancholisch, die andere euphorisch. Die guten beides gleichzeitig. Mit denen, die ungefähr ein Drittel ihres neuen Albums ausmachen, befindet sie sich auf der Höhe der Zeit - und ist damit auch vollkommen angepasst.

Genau diese Angepasstheit ist es, die Pop auch ausmacht. Dadurch wird eine direkte Verbindung hergestellt zum Zuhörer. Es ist ein Vertrag, der für die drei Minuten, die ein Lied läuft, geschlossen wird.

Der Song muss den Hörer, der unbedingte Bereitschaft dafür aufbringt, sich nicht wehrt, während dieser drei Minuten glauben lassen, was er hört: dass nämlich die Liebe unendlich ist, dass man schaffen kann, was man will, dass man der werden kann, der man ist, dass Wut sich in Glück verwandelt.

All diese Lügen und Banalitäten der Lebenshilfe-Ratgeber sind für diese drei Minuten plötzlich keine Lügen und keine Banalitäten mehr. Das kann Popmusik. Das ist Popmusik. Aber nicht jede Popmusik.

Die von Gossling ist es in ihren guten Momenten. Mit dem Song "Harvest of Gold" zum Beispiel. Oder mit "Puls", "Vanish" und "Lover´s Spat". Sie schafft das nicht, weil sie eine so brillante Songwriterin wäre, obwohl sie das Schreiben von Liedern sehr anständig beherrscht. Sie schafft das mit ihrer Stimme, die zugleich ungewöhnlich und gewöhnlich ist.

Diese Stimme klingt in einigen Momenten klassisch schön, erinnert sogar hin und wieder an eine Shirley Bassey, ok, eine mit Erkältung. In anderen verwendet Gossling eine nasal gepresste, altersweise, idiosynkratische Kinderstimme ("Harvest of Gold", "Challenge"). Das erzeugt eine Spannung, die einen glauben lässt.

Wenn das Album eine Stadt wäre, dann wäre es Stockholm.

Wenn das Album ein Spielzeug wäre, dann wäre es Hula-Hoop-Reifen

Schenken Sie das Album auf keinen Fall: einem, der gerade aus Wacken zurück kommt.

Falls Sie das Lied "Harvest of Gold" nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Enrique Iglesias - Sex and Love

Das ist eine Kapitulation: Eigentlich sollte hier etwas stehen über Enrique Iglesias. Und sein neues Album "Love and Sex". Darüber, dass es im Jahr 2014 einigen Mut braucht, einem Album so einen Titel zu geben. Der so banal ist. Aber es nicht sein muss.

Darüber, dass sich alle verdammten Kugelschreiber dieser Welt mit Klugem über diesen beiden Themen leer schreiben ließen. Darüber, dass wir hier im Plattenkabinett auch den Anspruch haben, dem Mainstream Platz zu bieten, darüber, dass im Pop das Interessante oft an der Oberfläche versteckt ist, dass man sich die gerade erfolgreiche Popmusik anhören muss, um etwas zu lernen über die Zeit, in der wir leben.

Ich habe es versucht. Wirklich. Aber über diese Platte lässt sich einfach nichts sagen. Nicht einmal der Verriss aller Verrisse wäre ihr angemessen. Die Platte ist ein schwarzes Loch, in dem alle Gedanken verschwinden.

Hören Sie dich doch stattdessen lieber Ultraviolence von Lana del Rey an, von mir aus auch die wirkliche brutal schlechte neue Coldplay-Platte. Oder - und ja, das meine ich ernst: Farbenspiel von Helene Fischer. Alles, nur nicht Enrique Iglesias.

Wenn das Album eine Stadt wäre...lieber nicht.

Falls Sie die Playlist nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

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