Plattenkabinett:Ironiebegabte Cowboys aus dem Freizeitpark

The Bosshoss.

The BossHoss bei einem Auftritt in München

(Foto: lok)

The BossHoss haben mit originärem Country nichts am Hut, Morcheeba nerven mit einer Gospelpassage und die Münchner Band Claire zitiert den guten alten Grandmaster Flash. Neue Alben im Plattenkabinett, der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Thierry Backes

Ist es schon wieder soweit? Ah ja, da schau her: Kommende Woche startet die dritte Staffel von The Voice Of Germany. Würden dies die beteiligten Sender nicht ohnehin penetrant bewerben, man könnte es auch daran ablesen, dass alle möglichen Beteiligten nun wieder etwas zu verkaufen haben. Ivy Quainoo, die unterschätzte Siegerin von Staffel eins, hat gerade ihr zweites Album veröffentlicht, die neue Sunrise-Avenue-Platte von Neu-Juror Samu Haber folgt einen Tag nach Sendestart. Und dann sind da noch die ironiebegabten Party-Cowboys von The BossHoss.

Die tun zwar gerne so, als würden sie Bullen auf einer Ranch in Nord-Texas züchten und am Wochenende mit der Harley zu ihren Gigs in Austin, Waco oder Wichita Falls tuckern. In Wahrheit aber sind sie Animateure im Silver Lake Saloon des Europaparks in Rust. Mit originärer Country-Musik hatten Sascha Vollmer und Alec Völkel noch nie viel am Hut, nicht einmal damals, als sie für Langnese Werbung machten. Spätestens seit "Liberty Of Action" (2011) konzentrieren sie sich auf massentauglichen Rock.

Das machen The BossHoss auf "Flames Of Fame" weiter ganz ordentlich: Das Riff am Anfang von "Bullpower" wäre ein würdiger Opener für einen AC/DC-, okay, für einen Nickelback-Auftritt im Kölner Rheinenergie-Stadion; beim funkigen "Do It" zuckt es alsbald im Tanzbein; und die Bläser, die The BossHoss bei Konzerten gerne in Sombreros stecken, verleihen durchschnittlichen Songs wie "Whatever" eine gewisse Dynamik. Dass The BossHoss ihr siebtes Album nicht auf der Hütte von Uncle Joe in den Rocky Mountains aufgenommen haben, sondern in einem ziemlich kargen Produktionsstudio, hört man ihm auch an. Sei's drum: Das Ding wird hoch in die Charts einsteigen, und dafür brauchen die Berliner nicht mal die große Fernsehbühne.

Dieses Album hört man am besten... auf einer Fahrt von Pirmasens nach Landau (Pfalz) mit einem Zwischenstopp in Anweiler am Trifels.

Wer dieses Album hört, geht auch... zu Rock am Ring - der Musik wegen.

Wenn dieses Album ein Einrichtungsgegenstand wäre, wäre es... ein Kuhfell-Sofa von KARE.

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Morcheeba - Head Up High

Gibt's die noch? Ja, und zwar seit 2010 (echt?) wieder in der Originalbesetzung mit Skye Edwards. Was schon deshalb erfreulich ist, weil sie nie nur die Sängerin von Paul und Ross Godfrey war. Als die Brüder sie 2004 aus der Band warfen, hätte Morcheeba sich eigentlich auflösen können. Denn ihre seidenweiche Stimme war ein wesentlicher Bestandteil dessen, was einen Ende der Neunziger über so manche pubertäre Depression hinweggetröstet hat.

Die Vorfreude ist entsprechend groß, als "Head Up High" endlich im Briefkasten landet. Sie steigert sich, als man auf der Rückseite die Münchner Frauenkirche und den Rathausturm entdeckt. "Gimme Me Your Love" wummert gleich kräftig los, Edwards schwebt herunter, singt: "Close the door/ Turn the light off/ Switch your mind off/ Make it right for me." Aber gerne doch. Es folgen: durch allerlei Kompressoren gejagte düstere Beats, Lo-Fi-Samples, Scratches und ein Gitarrenriff, dass so blubbert, als hätte jemand es unter Wasser eingespielt. Morcheeba at its best. "Face Of Danger" und "Do You Good" kommen etwas poppiger, auch tanzbarer daher, "Make Believer" mit einer mächtigen Ragga-Basslinie - doch im Kern bleiben die Briten ihrem hypnotischen, freilich nicht mehr ganz so schwermütigen Stil treu.

Die Ernüchterung schleicht sich beim zweiten oder dritten Durchlauf so langsam ein. Erst geht einem die Gospelpassage in "I'll Fall Apart" auf die Nerven, die sich auf einer Lauryn-Hill-Platte vielleicht gut machen würde, aber so gar nicht auf dieses Albums passen will, dann die Hiphop-Passagen, am Ende gleich ganze Songs (besonders "Call It Love", das Skye Edwards bezeichnenderweise nur als Backgroundsängerin von Gastmusiker James Petralli begleitet). So gerne man es auch anders sehen wollen würde: "Head Up High" ist ein recht durchwachsenes, phasenweise uninspiriertes Album geworden. We call it the "Moby effect".

Dieses Album hört man am besten... beim Kuscheln (wobei man eine Hand braucht, um "Call It Love" zu überspringen).

Wer dieses Album hört, geht auch... zu James Blake.

Wenn dieses Album ein Einrichtungsgegenstand wäre, wäre es... eine Lavalampe.

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Claire - The Great Escape

Ganz schön großmäulig, nicht? "We Are The Next Ones To Come", postulieren Claire auf ihrem Debütalbum "The Great Escape" - und greifen damit nur einen Tick zu hoch. Die junge Münchner Band, die sich mit Songs wie "Pioneers" oder "Games" im Internet längst eine beachtliche Fan-Gemeinde erspielt hat, hat das Zeug zum Untergrundphänomen.

"Neon-Pop" nennt die Band das, was sie macht: an den Achtzigerjahre-Synthie-Pop angelehnte, immer noch zeitgemäße Indie-Popmusik irgendwo zwischen Hurts, Robyn und dem "Drive"-Soundtrack von Cliff Martinez. Dazu addieren Claire ein paar minimalistische The-XX-Beats und schrecken nicht einmal davor zurück, den guten alten Grandmaster Flash zu zitieren.

Die Band macht eben das, was man im Pop tun muss: Sie schauen sich hier und da was ab, mixen das mit einem gängigen Trend und basteln daraus etwas Eigenes. Kraftvoll, clubtauglich, hymnisch: Claire ist die Band der Stunde im Plattenkabinett.

Dieses Album hört man am besten... mit Urbanears-Kopfhörern beim Shoppen in einem Hipster-Laden.

Wer dieses Album hört, geht auch... ins Münchner Atomic Café (solange es das noch gibt).

Wenn dieses Album ein Einrichtungsgegenstand wäre, wäre es... eine Discokugel.

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