Süddeutsche Zeitung

Plattenkabinett:Gelegentlich darf das Niveau auch flacher sein

Lesezeit: 4 min

"Was nicht geht, geht nicht": Ärzte-Frontmann Farin Urlaub treibt seine Solokarriere voran, zitiert dabei den Physiker Isaac Newton und will Innenstädte verschönern - mit Dynamit. Neue Alben im Plattenkabinett, der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Thierry Backes

Jan Vetter ist Pescetarier und Pazifist, Nichtraucher und Antialkoholiker, ein politischer, kluger Kopf, der schon jetzt mehr Länder bereist hat als ein Außenminister in mehreren Amtszeiten. Doch wenn er sich die Maske des Farin Urlaub überzieht, wird er zum Spaßvogel. Das missdeuten Sie bitteschön nicht als Vorwurf, es gibt in diesem Land nun mal keine Formation, die auf der Bühne besser unterhält als die Ärzte. Frontmann Urlaub ist aber grad nicht mit der "besten Band der Welt" auf Tour, er hat mit seinem Racing Team sein viertes Soloalbum veröffentlicht, "Faszination Weltraum".

Darauf will Urlaub Innenstädte verschönern (mit "Dynamit"), er fordert Clark Kent auf, seinen Arsch hochzukriegen und sich endlich wieder in sein Superman-Kostüm zu zwängen ("Was die Welt jetzt braucht"), und in "Newton hatte Recht" doziert er Physik: "Was nicht geht, geht nicht - und was geht, geht." Das alles unterlegt in weiten Teilen von druckvollem, eingängigem Gitarrenrock, garniert mit albernen Humor, na klar. Und natürlich gibt Farin Urlaub hier und da auch mal den Pädagogen, wenn er etwa rät: "Find Dich gut".

Gespür für Ohrwürmer

Klingt belanglos? Ist es auch. Doch Farin Urlaub hat ein Gespür für Ohrwürmer. Und ehe man sich versieht, hat sich der Refrain von "Herz? Verloren" schon ins Hirn eingebrannt: "Ich bin schon wieder dabei, mein Herz zu verlieren/ Ich bin ein Mann, das kann jederzeit wieder passieren." Und weil das eben ein Urlaub-Song ist, wartet man darauf, dass er die Zeilen variiert - und siehe da: Verlieren reimt sich auf dressieren oder auf einbetonieren. Haha.

Was bleibt, sind einige Füller ("Fan", "Sommer") und die Erkenntnis, dass der Songschreiber Farin Urlaub meine Gedanken schon immer am besten selbst zusammengefasst hat (in "Heute Tanzen"):

"Tolstoi, Tolstoi kann warten/ Kafka hat alle Zeit der Welt/ Literatur ist wichtig, doch wir leben nicht von Buchstaben allein/ Gelegentlich darf das Niveau auch flacher sein."

Wenn dieses Album ein Getränk wäre, wäre es Liquid Cocaine.

Wenn dieses Album ein Film wäre, wäre es "Mars Attacks!".

Wann hört man dieses Album am besten? Live, am 20. August 2015 in der Berliner Wuhlheide.

Auf der Landkarte des Pop ist Washington, D.C., bestenfalls ein abgelegenes Kaff, irgendwo in einem dichten Wald. Es gibt keine Straße, die herausführt, und so erfährt die Welt nur selten von den Musikern aus der US-Hauptstadt. Gut, es gab hier mal eine raue Punk-Szene in den frühen Achtzigern, und Duke Ellington ist hier geboren, aber sonst?

Dies also ist der bescheidene Versuch, aus Washington wenigstens ein Goldgräberdorf zu machen mit einem Saloon und einer Bühne. Darauf stehen Ex Hex: Mary Timony an der Gitarre, Betsy Wright am Bass und Laura Harris an den Drums, drei Frauen, die den Geist von Glamrock und Power-Pop atmen und eine innige Liebe zu den Ramones oder Johnny Thunders pflegen. Blinkende Gifs, das krisselige Foto eines Feuerwerks im Hintergrund - schon ein Blick auf die großartige Seite der Band im Cyberspace verrät, dass sich die Band ganz dem Gestern verschrieben hat.

"Rips", das Debütalbum von Ex Hex, mag ein wenig anachronistisch erscheinen mit seinen steilen Riffs und den verrückten Gitarrensoli Timonys (etwa in "Waterfall" oder "New Kid"). Doch genau die machen diese minimalistische 35-Minuten-Platte aus, die nur eine Richtung kennt: vorwärts. Und dann ist da noch die mädchenhafte Freude, mit der die Leadfrau, immerhin 44 Jahre alt, über böse Jungs an der Schule singt oder beknackte Sommerjobs. Doch das nur am Rande. Der britische Guardian hat Rips schon zum "air-guitar album of the year" erkoren. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Wenn dieses Album ein Getränk wäre, wäre es ein mild-rauchiger Laphroaig Whisky, 15 Jahre. On the rocks.

Wenn dieses Album ein Film wäre, wäre es "Easy Rider".

Wann hört man dieses Album am besten? Auf einem Road Trip durch das Death Valley Richtung Las Vegas, auf Dauer-Repeat.

Wenn Sie dieses Album nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Es ist nicht gelb, und nicht lila, hat dafür aber Berge im Hintergrund und bleiche Farben. Das Cover von "Everything Will Be Alright In The End" erinnert vom Stil her sehr an "Pinkerton" (1996), an das Weezer-Album also, dem Weezer-Aficionados bis heute nachtrauern. Und wer nun noch liest, dass Ric Ocasek die neue Weezer-Platte produziert hat, der hofft. Er hofft darauf, dass Weezer nach der "Grütze der vergangenen Jahre" (Zitat eines Fans, der von sich sagt, er habe "einige Jahre fast ausschließlich" Weezer gehört) endlich mal wieder ein passables Album hingekriegt haben. Schließlich saß Ocasek damals an den Reglern, als die Band aus Kalifornien mit dem "Blauen" (1994) und dem "Grünen Album" (2001) berühmt und gefeiert wurden.

Doch die Hoffnung, sie ist diesmal sehr früh gestorben, nämlich an dem Tag Ende September, als Weezer ihre neue Single veröffentlichten, "Back To The Shack", eine schlechte Kopie von "Beverly Hills". Die Entscheidung ist indes nur schwer nachzuvollziehen, auf "Everything Will Be Alright In The End" finden sich mit "Eulogy For A Rock Band", "I've Had It Up To Here" oder "Go Away" gleich mehrere eingängige Stücke, die repräsentativer für das neue Werk gewesen wären (und melodiös ansprechender). Die ganze Platte rauscht einfach so durch, der Kopf nickt gemächlich im Takt mit. Es mangelt an echten Höhepunkten, dafür versucht sich Rivers Cuomo erfreulicherweise auch nicht mehr als Rapper (ok, nur einmal kurz in "Cleopatra").

In der Addition heißt das: ganz okay, das Ding, aber nicht berauschend. Besser jedenfalls als Grütze. Oder, in der Sprache der Musik-Nerds: 68,5 von 100 Punkten. Oder so.

Wenn dieses Album ein Getränk wäre, wäre es ein Tegernseer Hell.

Wenn dieses Album ein Film wäre, wäre es "Stirb langsam III - Jetzt erst recht".

Wann hört man dieses Album am besten? Im Jugendzimmer, wenn einem die Eltern an Weihnachten nach zwei Tagen auf den Sack gehen. Auf dem Bett unter dem Weezer-Poster.

Wenn Sie dieses Album nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

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