Plattenkabinett:Die Brücken, die ich niederfackle

Theatrical poster for the film Mission to Mars.© 2000, Touchstone Pictures, Spyglass Entertainment

Was hat wohl der Film "Mission to Mars" (hier das Filmplakat) mit der Musik von Bryce Hackford zu tun?

(Foto: © 2000, Touchstone Pictures,)

Diesmal heben wir ab, aber nur ein paar Zentimeter über den Prärie-Boden. Mit Alben von Bryce Hackford, LeAnn Rimes und Emily Jane White. In aller Deutlichkeit: Keines davon ist wie irgendetwas von den Beatles. Neue Alben im "Plattenkabinett", der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Bernd Graff

Dieser junge Mann hier hat echt Nerven. Er baut auf sein Debut-Album "Fair" nacheinander gleich zwei Stücke ein, die jeweils deutlich über 20 Minuten dauern. Gut, damit käme man immer noch nicht vom Hauptbahnhof in München zum Flughafen dieser schönen Stadt, aber es ist schon einmal ein Anfang. Ein guter. Bryce Hackford macht diese Art von Elektromusik, von der manche behaupten, sie stimuliere das Hirn zu Delta-Wellen. Das sind die Aktivitätsmuster, die typisch sind für eine ordentliche Tiefschlafphase. Eine von irdischen Belangen gelöste, eigentlich unwirkliche Phase des Unkontrolliertseins, eine ohne Zeitempfinden. Irgendwohin in einen anderen Kosmos, einen anderen Gemütszustand befördert einen dieser Bryce Hackford aus Brooklyn, gerade einem Mekka der elektronischen Musik.

So eröffnet "Fair", das Album mit dem hässlichsten Cover 2013, mit "Another Fantasy". Das ist etwas, das aus einem laserverzücktem Rave-Schuppen kommen könnte, so um kurz nach fünf Uhr morgens, wenn alle schon ein bisschen doll sind und man außer wechselnden Bässen keinen Unterschied in den Songs mehr wahrnimmt, weil man zu allen Rhythmen dieselben Arm- und Kopfbewegungen macht. Mit dieser Eröffnung lockt Hackford aber auf eine falsch Fährte, sie ist eine Fingerübung in Höhentiefenspielchen und "Kann ich auch". Die anderen Tracks sind dagegen substantiell anders, stammen aus einem anderen Kosmos, Ihr Hirn wird das sofort spüren. Ein Experiment? Ja. Darauf sollte man sich einlassen.

  • Diese Platte ist das Gegenteil von allen Alben der Beatles.
  • Wenn diese Platte eine Beleuchtung wäre, dann wäre sie die Nachttischlampe in einer Marslandefähre.
  • Wenn diese Platte der Soundtrack zu einem Film wäre, dann zu "Mission to Mars" (2000).

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Diese Dame hat sich öffentlich die Eingeweide rausgerissen

Wenn man sich die Mühe macht, nach Bildern von Margaret LeAnn Rimes Cibrian, mit künstlerischem Namen LeAnn Rimes, zu googlen, dann fällt sofort die frappierende Ähnlichkeit mit der jungen Romy Schneider auf. Und es fällt auf, dass die 31-Jährige eine Meisterin der Pose ist. Wenn man dann aber ihre kräftige und treibende Stimme in den 13 Stücken des neuen Albums "Spitfire" hört, dann ist das alles andere als Pose, das ist sehr professionelle Gesangesdarbietung.

Kein Wunder. Die Dame steht schon seit ihrem neunten Lebensjahr auf Bühnen und singt, sie spielte in Film und Fernsehen. Sie hat mehr als 20 Millionen Platten verkauft. "Spitfire" ist das 15. Album der siebenfachen Grammy-Gewinnerin. Diese Frau IST Vollprofi. Auch wenn sie sagt, ihr Leben selber sei in den letzten fünf Jahren ein einziger Countrysong gewesen. Denn in die Gazetten ist sie in den letzten Jahren nicht gekommen, weil sie so unwiderstehlich singt, sondern, weil sie ihren Ehemann betrogen hat und - noch viel schlimmer - weil sie ein "husband-stealer" sei, sich also in eine fremde Ehe eingeschlichen und diese zerstört habe. Dafür ist sie von der verlassenen Gattin im Fernsehen für verrückt erklärt worden. In einem der Lieder, "A Waste Is a Terrible Thing to Mind", singt sie "I keep me warm with the bridges I burn". Der New York Times hat sie erklärt, dass sie mit dem Album ihr Leben ehrlich und mutig ausgebreitet habe, aber so, dass "jeder zusehen dabei kann, wie ich mir die Eingeweide rausreiße."

"Spitfire" hat eine solide fundamentierte Soundlinie. Es kommt ohne viel Schnickschnack daher, ein Album, das sich seiner wurzelstarken Musik sicher ist und voll der Stimme von Frau Rimes vertraut. Nicht wenige Kritiker halten "Spitfire" für DAS Country-Album des Jahres 2013. Und es ist ganz anders als das Album von Emily Jane White, das auf der nächsten Seite besprochen wird.

  • Diese Platte ist das Gegenteil von allen Alben der Beatles.
  • Wenn diese Platte eine Beleuchtung wäre, dann wäre sie ein Lagerfeuer in der Prärie.
  • Wenn diese Platte der Soundtrack zu einem Film wäre, dann zu "Wild at Heart" (1990)

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Mehr Leben als die Melodien vermuten lassen

Diese Dame ist auch schon etwas länger im Geschäft. Man kennt sie hier allerdings kaum. Das ist eine Schande und sollte sich ändern. Denn Emily Jane White ist eine Ausnahmeerscheinung des Indie-Rock mit einer glasklaren, sehr anrührenden Alt-Stimme, einer, die auch bestimmen, reiben und schneiden kann, eine sehr körperliche, die auf jeden Fall Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ihre Melodien wirken dagegen oft wie dahingeträumt, ein bisschen versponnen, ihr Gesang ist manchmal auch ein wenig geistesabwesend. So bleibt alles in der Schwebe. Kein Wunder, dass man sie mit den anderen großen Damen des Somnambulen verglichen hat, mit Chan Marshall (Cat Power) und Hope Sandoval (Mazzy Star). Nur: Emily Jane White ist noch etwas sakraler, gothic-er, mit ein paar Tremolos mehr auf dem Klavier. Mit ihr ist Kerzenschein Pflicht.

Dabei sind ihre Texte durchaus kantiger als die Melodien anmuten: Sie künden von Isolation und herbem Verlust. Verstorbene werden betrauert, Liebhaber werden aufgegeben, es steckt viel Blut und Knochen in diesem Back-To-Earth-Universum, viel Böses auch und Pech. Ihre Musik ist quasi episch - wie ein dunkler Kinofilm, sie kennt die gefährliche Nähe zu Blues und Schwermut und das Verlangen nach Empathie. Nick Cave und PJ Harvey könnten also Seelenverwandte sein.

Das Album, das sie gerade herausgebracht hat, heißt: "Blood / Lines", Tracks darauf sind "The Wolves", "Faster than the Devil" betitelt. Das ist die klare Richtung, man sollte sich also nicht von Songs einlullen lassen, die "My Beloved" oder "Wake" genannt wurden, nach zwei Akkorden weiß man auch hier, wo es lang geht. Unbedingt hören - Emily Jane White ist ein Erlebnis.

  • Diese Platte ist das Gegenteil von allen Alben der Beatles.
  • Wenn diese Platte eine Beleuchtung wäre, dann wäre sie eine Tropfkerze.
  • Wenn diese Platte der Soundtrack zu einem Film wäre, dann zu einem Batman-Film.

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