Plattenkabinett:Altherrending

Ex-"Armani-Rocker" im Vampirlook: Marius Müller-Westernhagen.

Ex-"Armani-Rocker" im Vampirlook: Marius Müller-Westernhagen.

(Foto: Motor Entertainment GmbH)

Auf seinem neuen Album "Alphatier" redet Marius Müller-Westernhagen mit Gott, fordert Demokratie für alle und beschäftigt sich mit Dünnschiss auf dem Flatscreen. Der gealterte Deutschrocker will sich neu erfinden, klingt aber genauso wie früher. Neue Alben im "Plattenkabinett", der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Thierry Backes

Sie nannten ihn "Armani-Rocker", das war sehr plakativ, aber auch präzise. Es passte zu den Anzügen und dem Makeup, zu der Attitüde, Eitelkeit und Blasiertheit, mit der Marius Müller-Westernhagen auf den großen Bühnen aufzutreten pflegte. Wenn er, wie jetzt im Zeit Magazin, über seine große Zeit in den Achtzigern und Neunzigern spricht, sagt er Sachen wie: "Als ich 1999 aufgehört habe, in Stadien zu spielen, konnte ich meinen eigenen Namen nicht mehr hören. Ich war richtig angeekelt."

Der neue Westernhagen will mit dem alten nichts mehr zu tun haben. So und nicht anders lässt sich die rohe, aber sehenswerte Video-Trilogie interpretieren, die er zur Veröffentlichung seines neuen Albums Alphatier ins Internet gestellt hat. Am Ende hat Westernhagens (Film-)Sohn Sex mit der Stiefmutter und prügelt mit einem Aschenbecher auf den Vater ein. Das alles ist geschickte Eigen-PR von einem, der Millionen Platten verkauft hat und nun so tut, als wäre er viel lieber ein anspruchsvoller Künstler und kein Rockstar gewesen.

Doch wagen wir das Experiment: Wie klingt Westernhagen, wenn man "Sexy", "Freiheit" oder "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" einfach ausblendet? Er sehnt sich ja nach Anerkennung für das Neue, also los. "Hereinspaziert, hereinspaziert" beginnt mit einem knackigen Riff, dann röhrt Westernhagen in bester Herbert-Grönemeyer-, pardon, Westernhagen-Manier los:

"Ich könnte kotzen/ Was hier so abgeht/ Dass jeder Dünnschiss/ Auf einem Flatscreen steht."

Ein steiler Einstieg, keine Frage, wenig später aber heißt es: "Hereinspaziert, hereinspaziert/ Gehirn ist nicht vonnöten." Womit er recht hat. Westernhagen, 65, mag ganz große, poetische Lieder geschrieben haben, und auch diesmal greift er gewichtige Themen auf wie das Älterwerden oder die Demokratiebestrebungen rund um die Welt, irgendwann fällt sogar der Name Zuckerberg. Der Deutschrocker bleibt jedoch an der Oberfläche, wenn er etwa in "Oh Herr" singt:

"Und ich sag' alter Mann/ Mir graut vor dir./ Bitte gib mir mehr Zeit/ Ich bin noch nicht so weit."

Zu dem Stück "Alphatier" fällt einem bloß eine Frage ein: Muss ein Alphatier im Alter von 65 wirklich noch einmal beweisen, dass es ein Alphatier ist? In "Liebe (um der Freiheit Willen)" gibt Westernhagen sich leidenschaftlich, er warnt und klagt, am Ende aber bleibt nur die Forderung nach Demokratie und Freiheit für alle Kulturen. Für die Medien. Für die Kunst. Für die Huren. Für die Lesben. Für die Schwulen. Für unsere Kinder.

Belassen wir es dabei. Denn was Alphatier ausmacht, das ist gekonnt eingespielter, ehrlicher, beinharter Bluesrock. Wir hören kräftig verzerrte Gitarren und einen gut aufgelegten, an manchen Stellen sehr emotionalen Westernhagen, der sich nicht um Trends in der Musikproduktion schert und sich auf das besinnt, was er am besten kann. Und so ist die 19. Platte wieder etwas für die alten Fans. Ein Altherrending quasi.

Dieses Album hört man am besten: bei einem Glas Whiskey auf einem Ledersofa im Kolonialstil.

Wenn dieses Album ein Lkw wäre, wäre es: ein schwerer Mack-Truck in der Wüste von Texas.

Dieser Song gehört auf mein nächstes Mixtape: "Alphatier".

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Kelis - "Food"

Vergessen Sie den "Milkshake", den Kelis 2003 anrührte und der "all the boys in the yard" brachte: Sie macht jetzt in Soßen. Die New Yorker Musikerin hat an der renommierten Le-Cordon-Bleu-Kochschule studiert und im vergangenen Herbst ihre eigene Soßenkollektion Feast auf den Markt gebracht. Das ist offenbar nicht ohne Wirkung auf ihre Musik geblieben: Die Songs auf ihrem neuen Album Food heißen "Breakfast", "Friday Fish Fry" oder "Jerk Ribs". Es sind Gerichte, die man sich am besten in einer Ingwer-Litschi-Sesam-Marinade vorstellt: scharf, aber auch süß und erdig.

Kelis Rogers, 34, widmet sich nach ihren Anfängen in R'n'B und Hip Hop sowie einem fragwürdigen Ausflug in die Welt von David Guetta und Will.i.am (Flesh Tone, 2010) nun dem Soul. "Ich hasse es, mich zu wiederholen", hat sie kürzlich dem Deutschlandfunk erzählt. Nun ist so ein Genrewechsel eine heikle Sache, wie Jan Delay gerade lernt. Der hat Anfang April eine Rock-Platte veröffentlicht, die sich zwar ganz gut verkauft, von den meisten Kritikern aber verrissen wurde. Man lese etwa diesen offenen Briefes eines enttäuschten Kollegen, der anfängt mit den Sätzen: "Jan, Alter, (...): Wir müssen reden, ganz dringend."

Macht jetzt in Saucen: Kelis.

Macht jetzt in Saucen: Kelis.

(Foto: Promo)

Dass R'n'B und Soul näher verwandt sind als Hiphop und klassicher Gitarrenrock, beweist Kelis auf ihrer sechsten LP. Es findet sich auf Food kein Song, für den sie sich schämen müsste. Im Gegenteil: "Rumble" oder "Friday Fish Fry" wirken flott und funky. Natürlich dürfen die derzeit so beliebten Referenzen an den Motown- und Memphis-Sound nicht fehlen, allerdings kommen die alten Soulmelodien hier in einem modernen Gewand daher.

Der Dank geht an Produzent Dave Sitek, hauptberuflich Gitarrist (und Produzent) von TV On The Radio. Sitek legt gerne elektronische Spuren unter dominante Bläser und einen omnipräsenten Bass, deswegen kommen einem Songs wie "Jerk Ribs", "Change" oder "Cobbler" irgendwie vertraut vor, erinnern sie doch sehr an TVOTRs Dear Science (2008).

Mit Food ist Kelis eine sehr ansprechende Soulplatte gelungen. Wäre es nicht so billig, würde es sich fast anbieten, ihre neue Musik in einem Wort zusammenzufassen: Soulfood.

Dieses Album hört man am besten: bei einem Sundowner auf Kuba.

Wenn dieses Album ein Auto wäre, wäre es: ein Chevrolet Impala.

Dieser Song gehört auf mein nächstes Mixtape: "Friday Fish Fry".

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Lykke Li - "I Never Learn"

Sat 1 mag Komplize gewesen sein, die Hauptschuld aber trägt der Magier. Der Magician-Remix von "I Follow Rivers", den sich der TV-Sender als Titelsong für die Champions-League-Berichterstattung in der Saison 2011/12 ausgesucht hat, hat Lykke Li hierzulande an die Spitze der Charts geschwemmt. Der Song verkaufte sich weltweit mehr als 1,2 Millionen Mal. Das weckt Erwartungen.

Erwartungen, die die Schwedin nur bedingt zu erfüllen bereit ist. Auf ihrem dritten Album I Never Learn, das am Freitag erscheint, verweigert sie sich der Praxis in der Industrie, eine eingängige Platte mit drei, vier neuen Hits nach dem gleichen Muster zu produzieren. Die Schwedin ist bislang nicht als Popnudel aufgefallen und schon gar nicht als Dancing Queen. Sie steht für pathetisch-pompöse Melodien, die zwar im Radio laufen können, aber ohne feschen Remix nicht in den Clubs.

Das wird wohl auch so bleiben. Vom Stil her unterscheiden sich die neun Stücke der neuen Platte nicht sehr von den beiden ersten Alben. I Never Learn fühlt sich trotzdem einen Tick düsterer, schwerer anfühlt als die Vorgänger, weil Lykke Li in Stücken wie "No Rest For The Wicked" eine Trennung verarbeitet, ihren Kummer, die Einsamkeit.

Sehr eindrücklich ist auch die Ballade "Love Me Like I'm Not Made Of Stone", die schon deshalb auffällt, weil sie mit nur einer Gitarre nicht so üppig instrumentiert ist wie die anderen Titel. Dazu dichtet Lykke Li dann Zeilen wie diese:

"Even though it hurts/ Even though it scars/ Love me when it storms/ Love me when I fall."

Der Rest ist in der Addition dann doch etwas eintönig ausgefallen, und das heißt hier: zu intensiv, zu schwer, zu bombastisch. Während Lykke Li in Selbstmitleid zerfließt, heult sie in voller Lautstärke. Dabei würde man sich wünschen, dass sie sich in ihr Bett zurückzieht, ein Kissen umklammert und einfach mal schluchzt. Ganz leise.

Dieses Album hört man am besten, wenn einem nicht nach Schluchzen ist.

Wenn dieses Album ein Auto wäre, wäre es: dieeser Opel vom Autofriedhof.

Dieser Song gehört auf mein nächstes Mixtape: "Love Me Like I'm Not Made of Stone".

Hier finden Sie Platten, die in dieser Rubrik kürzlich besprochen wurden.

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