Planet Pop: Günter Grass und 1968:Wer will nochmal?

Günter Grass fordert "ein neues Achtundsechzig". Gute Idee: zurück in die Vergangenheit! Doch 1968 bedeutet leider auch: Heintje, Tony Marshall und Roy Black.

Willi Winkler

How German is it? Schon sehr. Der liebe Günter Grass fordert jetzt "ein neues Achtundsechzig". Ausgerechnet Grass, den mit den Studenten damals eine Hassbeziehung auf innigster Gegenseitigkeit verband. Moment, Achtundsechzig, das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern, das war doch die Rote Armee Fraktion, war Gewalt und Schießgewehr und reine Mordlust! Und der ehemalige BKA-Chef lässt es sauber gruseln: "Die RAF darf nicht Kult werden!"

Diese Gefahr ist aber doch recht gering. Natürlich gab es ein paar Volltrottel, die eine Prada-Meinhof-Linie erfanden, aber Mode hat die RAF nie gemacht, sondern allenfalls einen wirklich legendär schlechten Geschmack bewiesen.

Wer Achtundsechzig sagt, muss auch Heintje sagen und Roy Black, Chris Roberts und Christian Anders, Les Humphries und Tony Marshall. Die nie akzeptierte Vergangenheit, das gesamtdeutsche Mitläufertum beim Mord an den Juden, verzuckerten bundesrepublikanische Schlagermusiker mit ihrem Geträller, dem bei allem noch immer das Militärblech anzuhören war.

Der zurecht als "Stimmungskanone" feilgebotene Herbert Anton Hilger nannte sich deshalb Tony Marshall und heizte mit Marschmusik den guten Bürgern ordentlich ein. Achtundsechzig war Partnertausch für Zahnärzte und Glasziegel zur Veranda hin. Achtundsechzig war erst 1977 vorbei, als die RAF Hanns Martin Schleyer entführte und ermordete. Das Stichwort für den Überfall lautete "Mendocino" - nach dem Hit von Michael Holm. Nein, nein, einmal Achtundsechzig war genug.

© SZ v. 5./6.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: