Deutsche Plätze und Architektur:In der Vorhölle der Erbärmlichkeit

Provokant und anregend: Eine Nürnberger Ausstellung vergleicht "Plätze in Deutschland 1950 und heute". Schuld an den architektonischen Grausamkeiten sind nicht nur die Weltkriegsbomben.

Von Gerhard Matzig

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Deutsche Plätze und Architektur:Bonn, Bahnhofsplatz, 1955

Plätze in Deutschland 1950 und heute

Quelle: Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund)

Provokant und anregend: Eine Nürnberger Ausstellung vergleicht deutsche Stadtplätze einst und jetzt. Schuld an den zutagetretenden architektonischen Grausamkeiten waren dabei gewiss nicht nur die Weltkriegsbomben.

In der Sprengstoffkunde kennt man Bösartigkeiten, die ihre maximale Zerstörungskraft dann entfalten, wenn sie auf kleinstem Raum gezündet werden. Diesen Raum bietet bis zum 19. Februar das "offene Büro" des Nürnberger Stadtplanungsamtes. Dort, in der Altstadt, Lorenzer Straße 30, ist die Wanderausstellung "Plätze in Deutschland 1950 und heute - eine Gegenüberstellung" zu sehen. Die Ausstellung ist simpel, ja mitunter simplizistisch, jedenfalls von unaufgeregtem Gestus - und doch liegt gewaltiger Zündstoff darin. Die Detonation müsste eigentlich in ganz Deutschland zu hören sein.

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Deutsche Plätze und Architektur:Bonn, Bahnhofsplatz, 2011

Plätze in Deutschland 1950 und heute

Quelle: Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund)

Zu sehen sind großformatige Schwarzweiß-Fotografien in feinen Holzrahmen, jeweils paarweise angeordnet und spärlich betextet. Zu lesen ist etwa: "Bonn, Bahnhofsplatz, 1955". Ein Bild weiter sieht man dann, was aus diesem Platz geworden ist im Verlauf der Nachkriegsmoderne. Jetzt steht unter dem Bild eines autogerecht verwahrlosten, von Eiterbeulenarchitektur und Leere umstandenen Platzes nur noch "2011".

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Deutsche Plätze und Architektur:Halle (Saale), Franckeplatz, um 1960

Plätze in Deutschland 1950 und heute

Quelle: Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund)

Wobei der Platz heute nur noch wenig Ähnlichkeit mit einem Stadtplatz hat - eher erinnert er an den Rand eines Bombenkraters. Bäume, Fassaden, Proportionen, Ornament: alles tot. Nicht zufällig erinnert "2011" an den Film "2012", also an einen apokalyptischen Blockbuster von Roland Emmerich, worin es um die Prophetie der Maya geht, die das Weltende vorhergesagt haben sollen. Das ist zwar blühender Unsinn, hat aber seinerzeit auch abseits der Kinosäle für reichlich Diskussion gesorgt.

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Deutsche Plätze und Architektur:Halle (Saale), Franckeplatz, 2012

Plätze in Deutschland 1950 und heute

Quelle: Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund)

Der apokalyptische Reiter der Architektur, Christoph Mäckler (er hat zusammen mit Rolf-E. Breuer die Schau konzipiert), sagt uns nun ebenfalls den Höllensturz voraus - sollten wir weiterhin die Städte morden und meucheln. Nicht die Maya, wohl aber die Fotos der Ausstellung bezeugen das. Auf anregend aufregende Weise, wie man zugeben muss.

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Deutsche Plätze und Architektur:Köln, Domvorplatz (Hotel Excelsior), um 1920

Plätze in Deutschland 1950 und heute

Quelle: Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund)

Manchmal sieht man schon an winzigen Details, was uns abhanden gekommen ist: In Köln etwa wurde vor einem guten Jahrhundert der Blick auf den Domvorplatz nicht nur vom aufragenden Steinmassiv der Kathedrale begrenzt, sondern zur anderen Seite der Trankgasse hin auch von einem kuppelbekrönten Turm - und in der Mitte von einer schlichten Laterne, deren Silhouette aber für den Blick nicht weniger maßgeblich ist als die körperhafte Kontur des Turms.

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Deutsche Plätze und Architektur:Köln, Domvorplatz (Hotel Excelsior), 2013

Plätze in Deutschland 1950 und heute

Quelle: Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund)

Heute wirkt die betonierte Domplatte in Köln an gleicher Stelle, des Turmes wie der Laterne beraubt, wie ein Eisplateau vor Grönland, das sich gegen den Klimawandel stemmt. Der Klimawandel ist in diesem Bild der tosende Verkehr. Es ist die Vielspurigkeit unseres mobilen Blechlebens auf vier Rädern, dem wir die abstoßendsten Städtebausünden verdanken.

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Deutsche Plätze und Architektur:Nürnberg, Königstraße, 1961

Plätze in Deutschland 1950 und heute

Quelle: Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund)

Da schieben sich aufgeständerte, auf betonierten Stelzen ruhende Trassen für Bahn oder Autoverkehr ins Stadtbild; da tauchen die Menschen in "Unterführungen" ab, wie inkriminierte Subjekte, die das Tageslicht scheuen, um die oberirdische Raserei nicht zu gefährden; da zerparken Kolonnen von Taxis die Innenstädte; da drängeln sich "Parkbewirtschaftungsflächen" ins Innere des öffentlichen Raumes, der immer öfter nur Raum ist für privaten Verkehr.

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Deutsche Plätze und Architektur:Nürnberg, Königstraße, 2013

Plätze in Deutschland 1950 und heute

Quelle: Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund)

Mäckler liegt, auch wenn die gesamte Schau wie ein einziges großes "Früher war alles besser" daherkommt, nicht falsch. Dennoch könnte man sich fragen, ob wir, die Stadtraumkonsumenten, Parkhausnutzer und Amazon-Kunden, nicht einen großen Anteil haben an der Tristesse der Gegenwart, die von behaupteter, angesagter "Urbanität" faselt und an realem Raumverlust leidet.

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Deutsche Plätze und Architektur:Bielefeld, Schillerplatz / Niederwall, 1962

Plätze in Deutschland 1950 und heute

Quelle: Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund)

Wahr (und spätestens seit Alexander Mitcherlichs 1965 veröffentlichten Essay über "Die Unwirtlichkeit unserer Städte" nicht ganz neu) ist Mäcklers These, wonach viele Plätze in Deutschland Opfer weniger der Kriegsbomben, sondern erst der "rigiden Stadtplanung" danach wurden. Richtig auch: Die Stadtplanung ist zu einer Disziplin degradiert worden, die das Gewese der von Bau-Normen durchseuchten Infrastrukturtüftelei über die Ästhetik erhebt.

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Deutsche Plätze und Architektur:Bielefeld, Schillerplatz / Niederwall, 2013

Plätze in Deutschland 1950 und heute

Quelle: Deutsches Institut für Stadtbaukunst (TU Dortmund)

Stadtplanung ist heute die Vorhölle der Erbärmlichkeit. Zu sehen und zu erleiden ist die Schau noch in Freiburg, Berlin, Gütersloh und Stuttgart.

© SZ.de/mkoh
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