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Animationsfilm "Planes" im Kino:Die Überflieger

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Kritik der reinen Animation: Im neuen Film "Planes" will ein kleines Flugzeug ein großer Renner werden. Nebenbei emanzipieren sich die Automaten, die das Pixar-Universum bevölkern. Wenn "Planes" ein Kinderfilm ist, dann einer über die Kindheit der Animationskunst.

Von Philipp Stadelmaier

Das goldige kleine Sprühflugzeug Dusty Crophopper rast über ein Maisfeld. Es sollte hier eigentlich das tun, wofür es konzipiert wurde: seinen Dünger versprühen. Aber Dusty will mehr. Es juckt ihm unter den Flügeln. "Lichtgeschwindigkeit!", brüllt die kleine Maschine, reißt ihre Glubschaugen auf und saust mit etlichen Loopings und halsbrecherischen Kurven ekstatisch durch das Tal. Bald will Dusty unter dem dynamischen Namen "Strut Jetstream" an einem großen Flugzeugrennen rund um die Welt teilnehmen, unterstützt von seinen engsten Freunden: einem Tanklaster, einem weiblichen Gabelstapler und einem alten Kampfflugzeug.

Wo Flugzeuge normalerweise ein Cockpit haben, wo die Menschen in ihnen Platz finden sollten, da haben sie in der animierten Welt von "Planes" ein Gesicht. Menschen gibt es hier keine. Schon in "Oblivion", "After Earth" oder "Elysium" hatten sie in diesem Jahr die Erde verlassen, ihr Glück auf anderen Planeten oder Raumstationen gesucht, wo von ihnen nichts als eine langweilige Einheitskultur übrig geblieben war: amerikanisch, elitär, mono-anthropologisch.

Kinder der Animationskunst

Dank der Animationstechnik wird das wahre Paradies dafür die Erde selbst: die Natur ohne den Menschen, oder, wie hier, eine Welt der übrig gelassenen Dinge und Maschinen, die in niemandes Dienst mehr stehen. Wenn "Planes" ein Kinderfilm ist, dann ist es ein Film über die Kindheit der Animationskunst.

Hier gehört die Welt den Flugzeugen und natürlich immer noch den Autos, den "Cars", wie der Vorgängerfilm hieß. Den hatte John Lasseter inszeniert, der geniale Kreativchef von Pixar, der hier nur als ausführender Produzent für den Mutterkonzern Disney tätig ist und die Regie an Klay Hall abtritt.

Mit "Toy Story" hatte Lasseter vor fast 20 Jahren den ersten komplett computeranimierten Kinofilm gemacht. Seitdem hatte vor allem dank ihm die Dingwelt nicht aufgehört, sich zunehmend zu animieren und zu verselbstständigen. Nach Spielzeugen und Autos - und, rechnet man andere Pixarfilme mit ein, Fischen ("Findet Nemo") oder Robotern ("Wall E") - sind nun die Flugzeuge dran.

"Planes" ist damit einerseits die Fortsetzung einer bereits langen und noch lange nicht abgeschlossenen Erfolgsgeschichte einer Spielzeug-Automaten-Welt, in der Autos und Flugzeuge dem Gesetz der permanenten Federung gehorchen: Die glatten, glänzenden Außenkarossen strotzen vor Elastizität der in sie hineingeschmolzenen sprechenden Münder, Flügelchen und Rädchen wippen wie Ärmchen und Beinchen, Pupillen und Augenbrauen rollen über die Windschutzscheibe.

Gleichzeitig aber hat man den Eindruck, dass man mit "Planes" hier doch deutlich weiter weg ist von jenem Anthropomorphismus, der noch in "Toy Story" und auch in "Cars" zu spüren war: Die "Toys" hatten teils noch menschliche Physiognomien, die Autos immerhin noch ein wenig menschenähnliche Bodenhaftung. Nicht so der durch die Lüfte sausende Dusty Crophopper.

Im ersten "Cars" etwa ging es noch darum, dass ein ziemlich arrogantes, erfolgreiches und selbstsüchtiges Rennauto durch einen unfreiwilligen Aufenthalt in einem verlassenen Wüstenkaff wieder zu einem demütigeren, anständigen, sozusagen menschlicheren Wesen wurde

In "Planes" geht es um das Gegenteil: Dusty muss ein richtiges Flugzeug werden. Denn das tollkühne Sprühflugzeug hat, nach all den Bodeneinsätzen, Höhenangst. Eine flüssige, fliegend-fliehende Kamerafahrt stellt hier anfangs den optimalen Verlauf eines Testflugs von Dusty vor, den er danach in einer holprig geschnittenen Sequenz mehr schlecht als recht imitiert. Dusty muss richtig fliegen lernen, etwa durch das Buch "Racing for Dummies", das sein Tanklaster-Kumpel liest, oder in den Flugstunden, die er beim Ex-Kampfflugzeug Skipper nimmt.

Dusty fliegt für die Wahrheit

Die animierten Flugzeuge in "Planes" sind also nicht einfach "autonom": Sie müssen es erst noch werden. Denn sie gehorchen ja von Anfang an einem bestimmten Zweck: dem Fliegen. Wenn Dusty, das Sprühflugzeug, etwas anderes sein will, als es ist, nämlich ein Rennflugzeug, dann, um sich von jedem Zweck des Fliegens zu emanzipieren. "Volo pro veritate" ist der Leitspruch von Dustys Lehrer. Dusty fliegt für die Wahrheit, die selbst nur im freien Fliegen ohne Zweck liegt - für die Wahrheit, einfach nur Flugzeug zu sein.

Man sieht, wie sehr diese Autonomie des Spielzeugs selbst mit der Autonomie spielt, selbst eine spielerische Autonomie ist. Wie die Maschinen gebaut werden, sieht man nie - das würde sie nur irgendeinem Nutzen unterwerfen. Sie sind einfach da - und werden gewartet.

Und sie sind fasziniert von sich: Die Tech-Freaks sind hier wahrlich unter sich, ganz in ihrer Materie. Autos feuern frenetisch die Flieger an, wenn die zum großen "Wings around the globe"-Rennen abheben, Flieger beneiden andere Flieger ("Wow, eine P51!"). Teilweise schmachten sie sogar in Liebe zueinander, wie das mexikanische Rennflugzeug und die deutsche "Rennflugzeugin", die ihm eine Ladung saftiger roter Schmatzer - Disney verpflichtet - auf die glühende und glückliche Haube drückt. Ob und wie sie Sex haben können, bleibt ihre Sache.

Appell an das Mitgefühl der Technik

Diese Zärtlichkeit zu einer immer stärker autonomisierten Technik - sie in einem Film der Pixar-Tradition zu finden mag umso weniger verwundern, als dass es Steve Jobs war, der Pixar damals zu Ruhm und Reichtum führte, bevor er Jahre später zurück bei Apple mit dem empfindlichen Touchscreen seines iPhones ein Gerät erfand, das es sanft zu streicheln galt.

Ist "Planes" also ein Appell an das Mitgefühl mit einer immer personalisierteren Technik? Die uns anschaut und evaluiert, mit großen, netten Glubschaugen - ob wir wohl zu ihr passen, sie gut behandeln? Damit wir uns bereitwilliger von ihr und durch sie beschatten lassen?

Vielleicht. Und dennoch: Die Technik bleibt hier ganz mit sich selbst beschäftigt. Der Mensch, der zuschaut, mag vor diesen süßen Entitäten zwar in gerührtes, selbstvergessenes Lachen ausbrechen. Er wird sich aber dabei ertappen, dass sein Lachen die Mimik von Maschinen imitiert - und sein grinsendes Gesicht zum Totenschädel wird. Wenn er nur ein wenig Selbstironie hat, wird er darüber freilich erst recht lachen können.

Denn im hell erleuchteten Inneren der Passagierflugzeuge, die hier über den JFK-Flughafen in New York rollen, sitzen wohl kaum mehr Menschen, sondern eher weitere Flugzeuge, Autos, Gabelstapler. Sofern sie sich nicht auch hinter den Fenstern der Skyline von Manhattan breitgemacht haben, die wir hier bewundern dürfen. Am Ende taucht dann ein - ebenfalls belebter - Flugzeugträger auf, wo Hunderte weiterer Autos und Flugzeuge herumwuseln.

Jede Maschine, so viel ist sicher, besteht aus vielen weiteren Maschinen. Alle werden sie sich nun nach und nach emanzipieren - um die Helden der nächsten Filme zu werden. Und wenn es hier schon iPads gibt, die von den Flugzeugen benutzt werden, dann fangen ja vielleicht die Computer selbst bald an, in ihren eigenen Filmen zum Leben zu erwachen. Wäre das nicht die erste Autobiografie im computergenerierten Animationskino?

Planes, US 2013 - Regie: Klay Hall. Drehbuch: Jeffrey M. Howard. Schnitt: Jeremy Milton. Musik: Mark Mancina. Deutsche Sprecher: Marie Bäumer, Oliver Kalkofe, Matthias Dolderer. Verleih: Disney, 92 Min.

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Quelle:
SZ vom 28.08.2013
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