Neuer Song von "Pink Floyd":Aufstehnerregend

Ukraine-Krieg - Pink Floyd

Dieses von Pink Floyd herausgegebene Foto zeigt das Titelbild des Stücks ´Hey Hey Rise Up", das zur Unterstützung der Menschen in der Ukraine veröffentlicht wurde.

(Foto: dpa)

"Pink Floyd" haben in "Hey Hey Rise Up", ihrem ersten neuen Song seit 1994, den Gesang eines ukrainischen Musikers und Soldaten in eine epische Friedenshymne verwandelt.

Von Joachim Hentschel

Am Anfang ist da ein Chor, der nach Kosakenfolklore und Schwarzmeermatrosen klingt. Kurze Irritation. 16 Sekunden später merkt man allerdings, wer hier eigentlich spielt. Die ersten Schlagzeugschläge, swingend und pointiert, dabei mit leicht existenzialistischer Rückhand ausgeführt, dann die von der Seite schwer ins Bild rollende Orgel. Alles: musikhistorische Wasserzeichen. Wer "Hey Hey Rise Up" hört, den Song, der in der Nacht von Donnerstag auf Freitag auf den Streaming- und Download-Plattformen auftauchte, dürfte also auch ohne gesonderten Hinweis merken, um was es sich hier handelt: um ein neues Stück von Pink Floyd, einer der größten, vor vielen Jahren stillgelegten Rockbands der Geschichte. Auch wenn das noch nicht die gesamte Wahrheit ist.

Denn der Sänger, dessen bebender Tenor "Hey Hey Rise Up" durch seine dreieinhalb Minuten trägt, heißt Andriy Khlyvnyuk. Er stammt aus Tscherkassy, das mitten in der Ukraine am Fluss Dnepr liegt, und ist seit 2004 das Gesicht der Band BoomBox, die in ihrer Heimat zu den Superstars zählen. Als die russische Armee im Februar die Invasion begann, verschob die Gruppe ihre für März und April geplanten Amerika- und Europakonzerte und rückte - wie viele andere heimische Künstler - geschlossen zur Landesverteidigung ein. Am vierten Kriegstag postete Khlyvnyuk, gewissermaßen als Gruß von der Front, auf seinem Instagram-Account ein kurzes Smartphone-Video, das ihn vor der Sophienkathedrale in Kiew zeigt. Das spontan gesungene "Oi u luzi chervona kalyna" ("Der rote Schneeball auf der Wiese"), ein ukrainisches Kampflied aus dem Ersten Weltkrieg, verbreitete sich schnell und weit im Netz. Verschiedene Musiker spielten Musik dazu, fertigten Mash-up-Fassungen an.

Der übliche Schneeballeffekt bei derart bewegenden Beiträgen.

"Hey Hey Rise Up" ist nun einerseits eine weitere Version, in der eine Band die Gesangsspur aus Andriy Khlyvnyuks Clip neu vertont und interpretiert. Zudem hat Gitarrist und Initiator David Gilmour sie als aufsehenerregendes popkulturelles Ereignis konzipiert. Pink Floyd, die großen britischen Epiker und Experimentalisten, veröffentlichten zuletzt 1994 neue Musik, traten 2005 ein letztes Mal in klassischer Besetzung auf. Der Tod des Keyboarders Rick Wright 2008 sowie die andauernden Unverträglichkeiten zwischen Gilmour und dem ursprünglich zweiten Bandkopf Roger Waters beschlossen jedoch effektiv die Geschichte. "Es ist vorbei, die Band ist am Ende. Es wäre Betrug, noch irgendwie weiterzumachen", sagte Gilmour 2015 in einem Interview.

Es ist jetzt also tatsächlich eher die Marke, die charakteristische Pink-Floyd-Idee, als die eigentliche Band, die er anlässlich des Krieges zeichenhaft wiederbelebt hat. Als einziges weiteres Ex-Gruppenmitglied ist auf "Hey Hey Rise Up" Schlagzeuger Nick Mason vertreten. Die Freunde und langjährigen Kollaborateure Guy Pratt und Nitin Sawhney spielen die restlichen Instrumente. Dennoch haben die Musiker es geschafft, dem für sie gänzlich untypischen Stück osteuropäischer Quasi-Folklore die ebenso warme wie unheilvoll dräuende Atmosphäre der großen Floyd-Werke zu verleihen. Inklusive eines ausgiebigen Gitarrensolos, das Gilmour in einem aktuellen Interview als seinen Rockgott-Moment bezeichnet - mit genug expliziter Selbstironie, um das Wahrheitskorn darin funkeln zu lassen. Als Klassiker im Pink-Floyd-Kanon wird das Stück sicher niemals gelten, umso mehr Reichweite erzeugt es für die Geschichte, die hinter ihm steht.

Auch Roger Waters hatte sich zum Krieg geäußert: das exakte, kalte Gegenstück

Gilmour lernte die BoomBox-Musiker vor Jahren bei einem Konzert in London kennen. Er hat außerdem selbst eine ukrainische Schwiegertochter. "Hey Hey Rise Up" will er als demonstratives Statement gegen die russische Aggression verstanden sehen, alle Einnahmen aus dem Song lobt er als Spenden an die humanitäre Hilfe im kriegsgeschundenen Land aus. Und erzeugt keine Sekunde lang den Eindruck, die Solidaritätsaktion könne ein dauerhafter Neustart für Pink Floyd sein.

Auch Roger Waters hat sich übrigens mit einem Ukraine-Video zu Wort gemeldet, schon Anfang März. Darin antwortete er in einer längeren Abhandlung auf den Hilferuf eines 19-jährigen ukrainischen Fans. Er verurteilte zwar den russischen Angriff, betonte aber auch, dass Israel in Palästina vergleichbare Verbrechen verübe und es in der Ukraine ja durchaus eine Menge neofaschistischer Kräfte gebe. Man könnte sagen: das exakte, kalte Gegenstück zu dem, was seine früheren Bandkollegen nun mit "Hey Hey Rise Up" in die Welt gestellt haben. In diesem Leben kommen sie sicher nicht mehr zusammen.

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