Süddeutsche Zeitung

"Pieta" im Kino:Liebe, so kalt wie der Tod

In "Pieta" entfaltet Regisseur Kim Ki Duk eine grausame Liturgie der Rache. Drei Themen gibt es in seinem Film: Geld, Familie und Erlösung. Zusammenhänge führt er bestürzend klar vor.

Fritz Göttler

Der Sohn ist in Sorge, nervös tigert er in seinem kleinen Apartment hin und her. Dann hört er die Tür gehen, läuft hin, die Mutter ist endlich zurück. Wo warst du denn, faucht er sie an, ich hab' mir schon solche Sorgen um dich gemacht. Warum hast du nicht angerufen! Die Mutter geht ruhig auf ihn zu, die Kamera nimmt ihn dabei von hinten, sein dunkler Rücken füllt das Bild. Es tut mir leid, murmelt die Mutter und umarmt ihn, man sieht, wie an den Seiten ihre kleinen Hände langsam sich um seinen Körper herumschlingen. Dann sitzt sie am Tisch an der Wand, zündet die Kerzen auf einem Kuchen an. Singt "Happy Birthday". Zwischen der Einstellung auf den Rücken des Jungen und diesem Moment hat es eine Einstellung auf ihr Gesicht gegeben, da schaut sie starr zur Seite, ein wenig abwesend, abweisend. Mütterliche Unberechenbarkeit, die Madonna als Femme Fatale.

Kang Do, der junge Mann, leistet sich selten nur Gefühle. Er hat einen miesen Job, ist Schuldeneintreiber für einen kleinen Kreditgangster. Die meiste Zeit ist er unterwegs in den engen Gassen von Cheonggyecheon, dem alten Viertel in Seoul, bei den letzten kleinen Handwerkern, in ihren finsteren Werkstätten, in denen nur selten der Rollladen hochgefahren wird.

Die vollgestellt sind mit Schraubstöcken, Pressen, Walzen, Flaschenzügen, Schneidegeräten, vollgemüllt mit Metallresten und Blechen. Ausgebeutete, denen die Preise für ihre Produkte immer weiter gedrückt werden, die letzten Independents des asiatischen Kapitalismus. Die kleinen Krisen, ganz alltäglich, in denen das Morgen immer zu Lasten des Heute geht. Du bist wirklich ein Arschloch, sagen sie verbittert, wenn Kang Do die Beträge eintreiben kommt, die innerhalb weniger Wochen durch die Zinssätze sich brutal vervielfacht haben. Die Arschlöcher seid ihr, erwidert Kang Do, ihr leiht euch Geld, und dabei wisst ihr doch, dass ihr es nicht zurückzahlen könnt.

Diese Rotzigkeit, diese Erbarmungslosigkeit

Es gibt drei Themen in "Pieta", sagt der Filmemacher Kim Ki Duk, Geld, Familie und Erlösung. Auf eine bestürzend klare, arithmetisch schöne Weise führt er den Zusammenhang zwischen den dreien in der modernen Gesellschaft vor - wie nur das Kino es vermag. Beim diesjährigen Filmfestival in Venedig hat er dafür den Goldenen Löwen bekommen.

Kang Do, gespielt von Lee Jeong Jin, erinnert, mit seinen Pausbacken, den schwarzen Strubbelhaaren, dem mürrischen Blick, den geringschätzig runtergezogenen Mundwinkeln, an den jungen Fassbinder, in seinen prolligen Lederjackenfilmen der Sechziger. Diese Rotzigkeit, diese Erbarmungslosigkeit. Dieser infantile Pragmatismus des Überlebens. Wenn die jämmerlichen Typen nicht zahlen, steckt er ihnen die Hand in den Schraubstock, oder er schleppt sie in ein nicht fertiggebautes Haus, zwingt sie von oben runterzuspringen und sich dabei ein Bein zu verstümmeln - so können sie dann wenigstens die Versicherung kassieren, und das macht etwa den Betrag aus, den sie schulden. Das ist der Kapitalismus, der mit seiner Arbeitsteilung, seinem Akkord den Körper seiner Arbeiter zerstückelt. Seine Opfer sind immer in einer verzweifelten Komplizenschaft mit ihren Peinigern.

Die Mutter (Cho Min Soo) kommt spät ins Leben von Kang Do (zurück), aufdringlich, als eine fremde Frau. Eine kleine, zarte, aber selbstbewusste Gestalt, mit schwarz gelocktem Haar und rot geschminktem Mund. Eine junge Mutter, dem Sohn mit Zärtlichkeit zugetan, wie man es von vielen Pietà-Figuren bei uns im Westen kennt - von der im Petersdom ist Kim Ki Duk zu seinem Film inspiriert worden. Die Mutter kniet vor dem Sohn und bittet ihn um Verzeihung - sie hat ihn damals weggegeben, nach der Geburt. Nun will sie ihn endlich lehren, was das bedeutet, eine Mutter zu haben, emotionale Bindungen, Sohngefühle.

Kim Ki Duk hat im Westen Erfolg gehabt mit seinen starken Leidensgeschichten, "Die Insel", 2000, oder "Frühling, Sommer, Herbst, Winter . . . und Frühling", 2003, "Samaritan Girl", und "3-Iron", beide 2004. Vor ein paar Jahren ist er in eine tiefe Depression verfallen, hat sich lange Zeit zurückgezogen und in aller Einfachheit und Einsamkeit gelebt, hat darüber im vorigen Jahr den wilden Film "Arirang" gedreht. "Pieta" ist nun eine starke Rückkehr ins Filmgeschäft. Leiden ohne Mitleid, eine eigene - spezifisch filmische - protestantische Ethik.

Kim Ki Duk arbeitet mit zwei Kameras gleichzeitig, und eine der beiden führt er gern selbst, er filmt aus der Hand, aus einem Verlangen heraus, möglichst dicht ranzugehen an die Menschen, an die Körper und die Objekte, ihre Emotionen aus der Nähe aufzuspüren. Jede Einstellung hat dadurch ihre Einzigartigkeit, ihre Unabhängigkeit im Ablauf der Erzählung. Der Film hat eine wundersame, surreale Gleichmütigkeit, er ist ganz auf den einzelnen Moment konzentriert und völlig frei vom Zwang zum dramatischen Suspense. Selbst die größten Schrecken haben hier nichts Schockierendes. Der Blick in den weiten Himmel über der Stadt und auf die pulsierenden Maschinen in infernalisch rotem Licht, das sind die Extreme, zwischen denen der Film sich entfaltet. Die Maschinen, sagt Kim Ki Duk, sind wie ein Herzschlag, das klingt nach einer modernen, perversen Version des Dreischritts in Fritz Langs utopischer Parabel "Metropolis", Hirn und Hand, zwischen denen das Herz vermitteln muss.

Immer häufiger gibt es im Kino heute vaterlose Geschichten, und Mütter stehen besonders im fernöstlichen Kino stark im Vordergrund. In einer Gesellschaft, die sich den klassischen kapitalistischen Produktionsverhältnissen entfremdet, verliert auch deren zentrale Figur, der Vater, seine Funktion. Väter sind Krüppel, das Einzige, was sie an ihre Söhne weitergeben können, ist der Hass auf den, der sie zum Krüppel gemacht hat. Erlösung ohne Gewalt kann es nicht geben.

Eine hartnäckige Koketterie ist in der Art, wie die Mutter dem Sohn den Haushalt führt, sich bedingungslos auf seine Seite stellt, wie sie seine Widerborstigkeit erstickt. Kang Do, der sich exponiert durch die Gewalt in seinem Job, wird erpressbar und verletzbar. Er nimmt die merkwürdigen Aspekte nicht wahr in der Geschichte der mütterlichen Rückkehr, ahnt nicht, welche Intentionen dahinter stecken. Dass man ein Spiel mit ihm spielen könnte. Eine komplexe Liturgie der Rache.

Pieta, Südkorea 2012 - Regie, Buch, Schnitt: Kim Ki Duk. Kamera: Jo Yeong Jik. Musik: Park In Young. Produktionsdesign: Lee Hyun Joo. Mit: Cho Min Soo, Lee Jeong Jin, Woo Gi Hong, Kang Eun Jin, Jo Jae Ryong, Lee Myung Ja, Heo Joon Seok, Kwon Se In, Song Moon Soo. MFA, 104 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 07.11.2012/ihe
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