Zum Tod von Pierre Soulages:Kein Schwarz, sondern Licht

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Pierre Soulages war der letzte Vertreter einer Künstlergeneration, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Neue Pariser Schule bekannt geworden ist. (Foto: Guillaume Horcajuelo/dpa)

Pierre Soulages heiratete in Schwarz, er malte mit keiner anderen Farbe - und prägte damit die Kunstentwicklung der Nachkriegszeit. Ein Nachruf auf einen Meister der Vielschichtigkeit.

Von Till Briegleb

Nachdem Pierre Soulages sich um das Jahr 1946 entschlossen hatte, vollkommen mit der figürlichen Malerei zu brechen, prophezeite ihm sein Freund Fernand Léger, er werde bald wieder zum Gegenständlichen zurückkehren. "Er sagte das, weil er mich mochte", erklärte Soulages später den etwas väterlichen Ton, mit dem der Künstlerfreund ihn von etwas Besserem überzeugen wollte, "aber er hat sich geirrt." Denn Soulages kehrte sich nicht nur von jeder irgendwie gearteten Wiedergabe der Wirklichkeit ab, er verbannte auch bald jede Farbe aus seiner Malerei und wurde zum Alchemisten des Schwarz. Fast achtzig Jahre lang beschäftigte sich der an Heiligabend 1919 Geborene nur mit den Möglichkeiten, die in Harz gelöstes schwarzes Pigment auf der Leinwand bietet.

Aber bei aller Konsequenz einer Kunst ohne Abbild und Farbe war es ihm immer wichtig, eine andere gängige Fehleinschätzung zu korrigieren: "Es ist ein Irrtum zu glauben, ich male schwarz. Ich male Licht", erklärte Soulages bei vielen Gelegenheiten. Um dieses scheinbare Paradoxon zu verstehen - denn Schwarz ist nun einmal per Definition die Abwesenheit von Licht -, muss man die bis zu vier Meter großen Werke im Raum erleben. Die dick mit Farbe aufgetragenen, mit verschiedenen Werkzeugen verstrichenen glänzenden Schichten seiner monochromen Bilder reflektieren die örtliche Beleuchtung und geben den schillernden Bildobjekten in der Bewegung des Besuchers ein geradezu filmisches Eigenleben.

Eine Ausstellung einiger Werke von Pierre Soulages im Centre Pompidou in Paris, 2009. (Foto: Remy de la Mauviniere/AP)

Diese Wirkung von Soulages Werken, die er seit den Sechzigerjahren nicht nur an den Wänden des White Cubes präsentiert, sondern auch an Drahtseilen von der Decke hängt, damit sie zum Umkreisen einladen, ist auf Fotos nicht wirklich nachzuerleben. Aber in den vielen Retrospektiven, die es in den letzten Jahren auch in Deutschland gab (zuletzt 2020 im Museum Frieder Burda in Baden Baden mit einem 60 Bilder starken Überblick seiner Entwicklung von 1946-2019), erschließt sich das Vielschichtige dieser Einfarbigkeit. Die rhythmisch schraffierten oder in glatten Bahnen organisierten Farbschichten, die er in den vergangenen 40 Jahren auf schwarz grundierten Leinwänden erzeugte, wirken wie Spuren eines Bergbaus im Stollen der Kunst.

Soulages bezeichnen viele preisende Stimmen als den größten französischen Maler der Gegenwart, und fast alle Präsidenten der Grande Nation haben ihn in seinem Atelier besucht, zuletzt Emmanuel Macron mit seiner Frau sogar einen ganzen Tag. "Dann musste er zu Angela Merkel", erinnerte sich der damals Hundertjährige an das präsidiale Rendezvous. Dieser Rang eines quasi Staatsmalers ist dennoch erstaunlich für ein Werk, das zumindest seit 1979 nur noch die Farbe der Trauer zeigt. Wobei auch dagegen Soulages Einspruch erhebt. Für ihn ist eher Weiß eine melancholische Farbe. Er und seine große Liebe Colette Llaurens haben 1942 während der Nazi-Besatzung von Frankreich dann auch ganz in schwarz geheiratet, um Mitternacht.

Vor 1979, dem Beginn seiner monochromen Altersradikalität, die er Outrenoir ("jenseits von Schwarz") nannte, war Pierre Soulages allerdings noch auf sehr verschlungenen Pfaden um seine Primär-Nichtfarbe unterwegs. Er entwickelte aus den verwitterten Schriftzeichen keltischer Museumsobjekte und dem Einfluss romanischer Ornamentik eine Art Kalligrafie, die er vielfach variierte, überlagerte und anfänglich auch noch mit anderen Farben in Beziehung setzte. Er mischte und übermalte auch rote und blaue Farbflächen mit Schwarz und schuf dabei ein facettenreiches Werk der gestischen Malerei, das seine Einflüsse aus dem amerikanischen Stil des Abstrakten Expressionismus nicht verleugnete, ohne dessen poppig bunte Wildheit anzunehmen.

Pierre Soulages posiert 2010 in Berlin vor einem seiner Gemälde. (Foto: Johannes Eisele/AFP)

2014 eröffnete in seiner südfranzösischen Heimatstadt Rodez ein eigenes Soulages-Museum, entworfen von den katalanischen Architekten RCR, die selbst sehr gerne tiefschwarze Materialien verwenden, in diesem Fall aber große abstrakte Kuben aus rostrotem Cortenstahl errichteten. Soulages hatte seiner Gemeinde 500 Arbeiten als Grundstock der Sammlung geschenkt, so dass hier sein gesamtes Lebenswerk ausgestellt ist. Und hier in der Gegend Okzitaniens schuf er auch über mehrere Jahre sein größtes sakrales Werk, die 104 Fenster des Klosters Conques. Eine dezente, auf diagonale Schwünge reduzierte Formensprache ersetzt hier die einst farbigen Glasfenster, die den Mönchen als zu wenig kontemplativ erschienen waren.

In der Kunstentwicklung der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart hat Soulages asketischer Einspruch gegen die Vielfarbigkeit zahlreiche Nachahmer gefunden, wenn auch meist nur in bestimmten Phasen ihrer Arbeit. In verschiedenen Ausstellungen zur Farbe Schwarz, die Werke etwa von Tony Smith, Hans Hartung, Richard Serra oder Ad Reinhardt zeigten, war Soulages der Referenzpunkt für die lebendige Beschäftigung mit dem Dunklen. Und der einzige, der seiner Lieblingsfarbe nie untreu wurde.

Nun ist Pierre Soulage, der bis zuletzt malte und lebendigen Anteil an der Welt und der Kunst in ihr nahm, mit 102 Jahren verstorben. Und eine drängende Frage wird sich für die Trauergäste seiner Bestattung sicherlich stellen: Schwarz tragen oder Weiß?

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