Süddeutsche Zeitung

Phrasenmäher:Sklaven

Immer wieder liest man, Menschen würden wie Sklaven gehalten. Dieser Rückgriff auf die Zwangsarbeiter der Antike verhindert, dass Verbrechen zeitgemäß benannt werden.

Von Sonja Zekri

Spartacus war einer ihrer berühmtesten, auch Aida. Aesop soll einer gewesen sein, und natürlich Moses. Sie alle waren Sklaven, wurden in der Sklaverei geboren, als Kriegsbeute verschleppt, verkauft oder auch freigelassen. Sklaven waren Unfreie, Eigentum, Besitz, fester Bestandteil der antiken Wirtschaftsordnung, ja, der antiken Gesellschaften. Mancherorts war ihnen erlaubt, Geld zu sparen, um sich freizukaufen. Hier und dort konnte es seinen Besitzer in Schwierigkeiten bringen, wenn er seine Sklaven misshandelte. Sklaverei war gesellschaftlich akzeptiert, sie galt als unverzichtbar. Ihre Spielräume, wie gering auch immer sie für die Unterworfenen waren, lagen fest. Man mag diese Regelung entsetzlich finden oder einfach zeitgemäß, in jedem Fall ist sie lange her.

Weder in Syrien noch im Irak oder auch in Chile rechtfertigen die Verfassungen Sklaverei. Kein gesellschaftlicher Konsens billigt sie; weder in der Haushaltsplanung noch in betrieblichen Hochrechnungen wird sie erwähnt. Wenn Menschen also verschleppt und festgehalten werden, sodass sie verhungern oder verdursten, wenn Frauen vergewaltigt und Kinder zur Arbeit gezwungen werden, so wie es der "Islamische Staat" und die deutsche Sekte Colonia Dignidad getan haben, dann sind diese Menschen keine "Sklaven", sondern Opfer von Verbrechen. Wenn man in diesen Tagen Formulierungen liest wie die, dass eine Jesidin "eine Sklavin des IS" gewesen sei oder ein Kind ein "Sklave der Colonia Dignidad", dann ist dies nicht nur irreführend, es folgt der Logik der Verbrecher.

Natürlich ließe sich einwenden, dass Sklaverei schon vor Tausenden Jahren ein Verbrechen war, dass die Menschen damals genauso litten, wenn sie Unfreiheit und Willkür ausgesetzt waren. Es ließe sich weiterhin einwenden, dass erzwungene Arbeit in manchen Ländern bis heute sehr wohl gesamtwirtschaftliche Bedeutung hat, beispielsweise in manchen Golfstaaten, in Libanon, Indien oder China, von der millionenfachen Zwangsprostitution ganz zu schweigen. Offiziell aber haben auch diese Länder die Sklaverei abgeschafft. Insofern wäre es gut, auch sprachlich aufzuschließen - und die Taten in zeitgemäße Worte zu kleiden.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2019
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