Phrasenmäher:Schaffen

Seit Angela Merkel im September die Deutschen auf ihr "Wir schaffen das!" eingeschworen hat, wird das zu unerwartetem Ruhm gekommene Verb verhunzt, verdreht und gequält. Dabei hätte es ja Alternativen gegeben.

Von Rudolf Neumaier

Wie geschichtsträchtig Angela Merkels Beschwörungsformel jetzt schon ist, lässt sich an den Verdrehungen, Verhunzungen und Entgleisungen ablesen, mit denen sie Tag für Tag gequält wird. "Wir schaffen das." Lasst das doch einfach mal so stehen, ihr Schaffenskrisenhysteriker! Das Netz, die Nachrichten, die Zeitungen sind voll von Spam mit dem Merkel-Wort. Grüne Politiker missbrauchen es ebenso wie braune Scharfmacher, vom Berliner Großboulevard bis zum Altöttinger Provinzintellektuellen wird es durch- und niedergenudelt: Hier daddeln sich Wortspielsüchtige daran deppert, dort machen sich Kleingeister darüber her, die Häme speien, wo Menschen sich und anderen große Aufgaben zumuten. Vom Klang her ist "schaffen" alles andere als ein Kracher: Trotz seiner rekordverdächtig vielen Bedeutungen hörte sich dieses Wort nicht spektakulärer an als "machen", "sagen" und "schnarchen". Bislang! Durch den humanistischen Impetus der Kanzlerin sowie die zivilisatorische Dimension ihres Aufrufs und unabhängig davon, wie viel die Deutschen von dem "schaffen", was zu schaffen ansteht, wäre diese plötzlich so beispielhaft philanthropisch besetzte Vokabel jetzt zweifellos Top-Favorit, wenn es einen Friedensnobelpreis für Verben gäbe. Unter den zahlreichen Bedeutungen meinte Angela Merkel natürlich nur eine: "bewältigen". Der Duden kennt dafür auch das norddeutsch-schrödersche "wuppen". Ach, hätte Angela Merkel doch "Wir bewältigen das" oder "Wir wuppen das" gesagt! Darauf herumzureiten, wäre den Wortverdrehern im einen Fall zu trocken, im anderen zu blöd.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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