Süddeutsche Zeitung

Phrasenmäher:Rote Linien

Sie sind überall, sie werden gezogen, gesetzt und überschritten: die roten Linien. Angemahnt mal vom Beamtenbund, mal vom FDP-Politiker und Jamaika-Aus-Schöpfer Christian Lindner. Aber woher stammt diese Floskel?

Von Johan Schloemann

Sie sind überall. Für den Beamtenbund ist es die Bürgerversicherung. Für Christian Lindner, den Vater des aktuellen Worts des Jahres ("Jamaika-Aus"), ist es die Schuldenunion. Für Winfried Kretschmann die Bildungshoheit der Länder. Auch der rote Schulz hat angeblich rote Linien, die in der Berichterstattung mal irgendwo "gezogen", mal sogar "aufgestellt" werden. Nordkorea ist auch immer sehr nah dran, und natürlich überschreitet Donald Trump eine in Jerusalem.

In den Nahen Osten passen die roten Linien besonders gut. Im "Red Line Agreement" von 1928 vereinbarten die großen Ölfirmen in der Turkish Petroleum Company ein Kartell: In den Grenzen des untergegangenen Osmanischen Reiches dürfe keine der Ölgesellschaften auf eigene Faust agieren. Nicht ganz klar waren ihnen die Grenzen, bis sie, so wird erzählt, mit einem roten Buntstift auf der Karte eingezeichnet wurden. Von dort wanderte der Begriff in die amerikanische Diplomatiesprache und wurde inflationär. Die genaue metaphorische Lage der Linie ist oft auch nicht ganz klar; und wer sie übertreten hat, hat entweder nur etwas für die Gegenseite nicht Verhandelbares vorgeschlagen oder bereits den Bogen überspannt. Die rote Linie für rote Linien ist die Nichtdurchsetzbarkeit: als Barack Obama seine leeren Drohungen gegenüber Syrien aussprach, vermutete der republikanische Senator John McCain, die rote Linie sei "offenbar mit Zaubertinte geschrieben".

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Quelle:
SZ vom 11.12.2017
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