Süddeutsche Zeitung

Phrasenmäher:Nur ganz kurz

Man hat diesen eiligen Einschub schon fürchten gelernt. Und dann sagt man ihn selbst.

Von Alex Rühle

An einem oberbayerischen Gymnasium gab es mal ein eineiiges Zwillingspaar. Die beiden Jungen sahen einander so ähnlich, dass man selbst nach Jahren des gemeinsamen Schulalltags manchmal nicht wusste, wen von beiden man gerade vor sich hatte. Sobald sie aber den Mund aufmachten, war die Sache klar: Der eine so extrovertiert und narzisstisch, als sei er seine eigene Werbeabteilung, schüchtern und immer so ein bisschen seelisch zerknittert der andere.

Es gibt in jedem Büro und jeder größeren Gruppe diese Kollegen, die sich in ihrem Gerede so wohlfühlen wie in einem gut gepolsterten Ohrensessel. Haben sie es sich darin erst mal gemütlich gemacht, kriegt man sie partout nicht mehr raus, sie erwärmen sich an ihren eigenen Monologen wie an einem behaglich knisternden Kaminfeuer und sagen, wenn nach einer halben Stunde mal jemand anderes gern ein, zwei Sätze beisteuern würde: "Du, nur ganz kurz", um dann noch mal ein ausgiebiges Vollbad in den eigenen Formulierungen zu nehmen.

Und dann gibt es diese still verhuschten Kollegen, die dauernd das Gefühl haben, zu wenig zu leisten. Die gern mit der hingeflüsterten Phrase, sie müssten "nur ganz kurz" was essen, in die Mittagspause verschwinden.

Seltsames Zwillingspaar. Einmal dient das "Nur ganz kurz" als Planierraupe oder Auffahrt auf den Platz des langen Geredes, das andere Mal als Ausdruck einer eh nie zu erfüllenden Bringschuld. Protestantische Arbeitsethik: Hilfsausdruck.

Der heimliche Drilling dazu, das sind wir freilich alle, Tag für Tag, wenn wir zu uns selber sagen, wir müssten noch mal ins Internet, um "nur ganz kurz" was zu googeln. Also diesmal natürlich wirklich nur ganz kurz.

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