Phrasenmäher:Luftschloss ohne Flüchtlinge

Der CSU-Politiker Stephan Mayer fordert statt einer Obergrenze für Zuwanderer einen "atmenden Deckel". Ein rhetorischer Reinfall.

Von Christopher Schmidt

Yoga-Übungen tragen oft seltsam poetische Namen. Sie heißen beispielsweise "Sonnengruß", "Einhändige Baumpose", "Der verletzte Pfau" oder auch "Schlafende Schildkröte". Der "atmende Deckel", den der CSU-Politiker Stephan Mayer während der Klausurtagung seiner Partei im Kloster Seeon vorgeturnt hat, bezeichnet dagegen keine Yoga-Figur, sondern eine Alternative zur starren Obergrenze bei der Zuwanderung. Tatsächlich stammt der Begriff aus der Energiepolitik. Gemeint ist laut einem Infoportal der Solarindustrie "ein flexibler Automatismus, nach dem die allmähliche Absenkung der Einspeisevergütung für Photovoltaikanlagen geordnet ist". Ähnlich wie solche Anlagen, deren Förderung abhängig vom Ausbauvolumen sinkt, soll die Aufnahme von Flüchtlingen dieser Idee zufolge an die Zahl der Neuankömmlinge des Vorjahres gekoppelt werden.

In diesem rhetorischen Luftschloss sollen alle Platz haben außer den Flüchtlingen

Das Wort flexibel ist in diesem Zusammenhang ganz wichtig und "atmend" nur ein schönerer Ausdruck dafür. Was mit dem Attribut "atmend" versehen werden kann, ist ja grundsätzlich positiv besetzt. Unsere ganze Lebenswelt soll möglichst aus Gore-Tex bestehen, osmotisch, durchlässig, atmungsaktiv. "Atmend" bedeutet, alles fließt, nichts muss. Bauherrn kennen die atmende, nämlich diffusionsoffene Wand, wie es im Fachjargon heißt, Unternehmer die atmende Fabrik, die ihre Produktion der Auftragslage anpasst. Es gibt das atmende Buch, besser bekannt als Hörbuch, die atmende Batterie, die Luft ansaugt, ja sogar atmende Weingläser. Im Yoga ist der atmende Gott eine bekannte Größe. Und dann gibt es natürlich auch noch uns selbst, die wir atmen.

"Atmend" heißt, da ist noch Luft (nach oben), also Potenzial. Insofern ist der Atem das Gegenteil eines Deckels, von dem man hofft, dass da nichts klappert. Man denke etwa an den Kostendeckel. Der "atmende Deckel" ist folglich ein Widerspruch in sich. Ein Luftschloss, in dem alle Platz haben sollen, außer allen Flüchtlingen. Kaum hat die CSU den atmenden Deckel geöffnet, hat sie ihn wieder dichtgemacht. Er hat, um es in der Sprache des Yoga zu sagen, als einhändige Baumpose in der Flüchtlingsdebatte begonnen und war als Sonnengruß an die Schwesterpartei gemeint gewesen. Geworden ist aus ihm eine schlafende Schildkröte. Fragen wir gar nicht erst nach dem verletzten Pfau.

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