Süddeutsche Zeitung

Phrasenmäher:"In 2019"

Ist das nicht hässlich, wenn die Leute "in 2019" sagen? Anstatt "im Jahr 2019" oder einfach "2019"? Doch, hässlich ist es, aber unser Autor wurde in dem Versuch, das Hässliche als Anglizismus anzuprangern, eines Besseren belehrt.

Von Alex Rühle

Man sollte einfach nicht recherchieren. Am Ende widerlegt einem das nur die eigene Meinung. Dieser kleine Text entsprang dem Impuls, die hässliche Unsitte, Jahreszahlen mit der Präposition "in" zu versehen, mal so richtig in Grund und Boden zu schreiben. Weil das doch aus diesem scheußlichen Wirtschaftsenglisch ins Deutsche übergesprungen ist, wie eine dieser invasiven Pflanzenarten, die plötzlich alles überwuchern. "In 2019" sprießt einem gerade wieder aus allen Rückblicktexten entgegen. Und es sagt doch, bitte schön, kein Mensch, er sei "in 1969 geboren". Der Duden ist auch recht streng und sagt, "dieser Anglizismus" werde "nicht allgemein akzeptiert". Aber dann findet man im Netz einen Text des Berliner Sprachwissenschaftlers Anatol Stefanowitsch. Der listet nicht nur lauter Beispiele aus dem Deutschen auf, quer durch die Jahrhunderte, in plus Jahreszahl. In seiner "Geschichte der Mathematik" etwa schreibt Abraham Kaestner 1800: "In 1615 hatte Kepler ein trauriges Schicksal wegen seiner Mutter." Schon 1732 heißt es in "Die Löbliche Herren Herren Stände Deß Ertz-Herzogthumb Oesterreich ob der Ennß": "der Seelen selig abgeleidigte Leib der Wohl-Gebohrnen Frauen Frauen Annæ ... ist gestorben zu Aggstein den 3ten Februar. nach 12. Uhr Vormittag in 1617." Ohne die jeweiligen Autoren zu kennen, darf man wahrscheinlich davon ausgehen, dass sie sich ihr Deutsch nicht durch Wirtschaftsdenglisch versaut haben.

Stefanowitsch zitiert denn auch noch weitere Sprachen, in denen das "in plus Jahreszahl" üblich sei: dänisch, niederländisch, französisch. Fester Vorsatz also: In 2020 keine antianglizistischen Behauptungen mehr! Aber hässlich bleibt's trotzdem.

In einer früheren Version wurde Stefanowitschs Behauptung zitiert, die ganze Unsitte stamme aus dem Lateinischen, weil man da ja auch gesagt habe, "in anno domini". Hat man aber gar nicht. Wie ein Leser korrigierend schrieb: "Im Lateinischen wird die Zeitangabe mit dem ablativus temporis konstruiert. Er steht ohne Präposition auf die Fragen "wann?", "innerhalb welcher Zeit?" bei Substantiven, die einen eigentlichen Zeitbegriff enthalten. Andere Beispiele wären: "hieme" (im Winter), "anno decimo" (im zehnten Jahr), "primo mense" (im ersten Monat), "sexta hora" (in der sechsten Stunde)." Und eben auch anno domini.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2019
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