Süddeutsche Zeitung

Phrasenmäher:"Erpressen lassen"

Von Jens-Christian Rabe

Dem "Heute-Journal" hat Friedrich Merz gerade ein Interview zu den Folgen der Situation an der griechisch-türkischen Grenze gegeben. Nach der Eskalation des Konflikts der Türkei mit Syrien hat der türkische Staatschef Erdoğan die Grenze nach Europa für Flüchtende aus Syrien, die in die EU wollen, geöffnet. Im "Heute-Journal" nutzte Merz, der sich als Kandidat der konservativen deutschen Bürgerlichkeit sieht, die Chance und gab den Hardliner. Die EU müsse auf Erdoğan "einwirken", damit der sein "zynisches Spiel" an der Grenze beende: "Europa wird sich auch von Herrn Erdoğan nicht erpressen lassen." Nun ist Erdoğan längst ein autokratischer Herrscher, skrupellose internationale Machtpolitik jedoch - und nichts anderes insinuiert Merz' Phrase davon, dass man sich "nicht erpressen lasse" - ist keine Spezialität von Diktatoren. Was für die einen Erpressung ist, ist für andere einfach eine Verhandlungstaktik. Kommt halt immer drauf an, auf welcher Seite man gerade steht. Manche sollen ja die EU für "zynisch" halten, weil sie den Flüchtenden nicht helfen will (und billigt, dass ihr Mitglied Griechenland nun versucht, sie mit Tränengas zu verjagen). Und so nutzt Friedrich Merz - wie immer mehr westliche Mainstream-Politiker - vollkommen skrupellos die Rhetorik eines Spiels, dessen Dämonen er eigentlich verscheuchen sollte.

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Quelle:
SZ vom 10.03.2020
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