"Phoenix" in der SZ-Cinemathek:Aus der Asche einer Liebe

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Ein Spiel der brennenden Blicke, gleich mehrfach gebrochen: Nina Hoss als KZ-Überlebende, deren Ehemann (Ronald Zehrfeld) an ihr Erbe kommen will. (Foto: dpa)

Berlin nach dem Krieg: Regisseur Christian Petzold kehrt zurück zur Stunde null, um dem Trauma schlechthin gegenüberzutreten - dem Holocaust. Nina Hoss spielt eine KZ-Überlebende, die von ihrem Mann nicht loskommt.

Von Tobias Kniebe

Es gibt die Chance, in diesem Film verloren zu gehen, gleich zu Beginn. Die Leinwand ist noch schwarz, da beginnt ein gezupfter Kontrabass eine karge, seltsam ergreifende Melodie. Ein Klavier antwortet ihm, im Wechselspiel, mit wenigen Akkorden. Es sind die ersten Takte von "Speak Low", jenem Song von Kurt Weill aus dem Jahr 1943, der Christian Petzolds "Phoenix" seine Seele und seinen Rhythmus gibt - bis hin zu seiner triumphalen Wiederkehr im Finale, wo die Musik das letzte Wort behalten darf.

Der Blick dazu geht hinaus in die Nacht, über ein großes Lenkrad, durch eine altertümliche Windschutzscheibe. Man ist nun wirklich in den Vierzigerjahren. Nur die Scheinwerfer erhellen eine schmale Straße in die Zukunft, ein Bild wie von Robert Aldrich, eine Lieblingseinstellung des alten Film noir. Und zwar des billigen, klaustrophobischen, der seine Sets in Schatten hüllen musste, um ihre Schäbigkeit zu verbergen. Eine Traurigkeit aus vergangener Zeit klingt hier an, in der man versinken kann. Aber man muss auch dazu bereit sein - sonst wird es schwierig.

Bis in die Sechzigerjahre war Noir eine Farbe der Seele

Eine Frau kommt zurück. Sie ist verraten worden, Unaussprechliches ist ihr widerfahren, alle halten sie für tot. Ihr Gesicht war entstellt, jetzt ist es repariert worden. Sie ist nicht mehr dieselbe - aber sie will zurück in ihr altes Leben, will noch einmal gesehen, erkannt, berührt werden. Sie trifft ihren Ehemann, der die Liebe ihres Lebens war und sie vielleicht verraten hat. Er hält sie für eine Fremde, aber eine, die er benutzen kann - um an das Vermögen seiner verschwundenen Frau heranzukommen.

Bis hinein in die Sechzigerjahre war Noir eine Farbe der Seele, da gab es solche Plots und noch viel unwahrscheinlichere, wildere: Geistergeschichten. Diese hier stammt von dem Franzosen Hubert Monteilhet, "Le Retour des Cendres / Der Asche entstiegen", von 1961. John Lee Thompson hat daraus schon einmal einen Film gemacht, mit Ingrid Thulin und Maximilian Schell. Aber die böse Schwiegertochter, die damals noch ins Spiel kam und alles noch komplizierter gemacht hat, die haben Christian Petzold und sein Storyberater, der kürzlich verstorbene Harun Farocki, lieber weggelassen. Hier geht es um die Essenz, um die reine Geisterbeschwörung, den Spiritismus des Noir.

Monteilhets Heldin kehrt nach Paris zurück, in eine Stadt, die intakt geblieben ist, zu einem Vermögen, dass gerettet werden konnte. Sie ist Jüdin, und sie ist im Konzentrationslager gewesen, und nun trifft sie auf das Frankreich der Kollaboration, das noch immer seinen kleinen, miesen, zur Not auch mörderischen Vorteil sucht. Der Holocaust ist nur die Grundierung dieser Geschichte, melodramatisch zwar, aber doch sehr weit weg. Vielleicht konnte man das, als bürgerliches Privatdrama, so nur in Frankreich erzählen.

Herz der Finsternis Berlin

Petzolds Heldin, Nelly heißt sie, ist ebenfalls Jüdin, und sie ist ebenfalls im Konzentrationslager gewesen. Doch sie kehrt direkt ins Herz der Finsternis zurück - ins zerbombte Berlin, mitten unter die Mörder. Dort wankt sie durch nächtliche Trümmerstraßen, und die Schlagschatten sind so hart, dass sie ihr ins Fleisch zu schneiden scheinen.

Aber ihre riesige Villa und ihr Vermögen, das alles ist auch in diesem Szenario noch intakt und gesichert, in einer Art phantasmagorischer Instant-Restitution. Sie hat keinen Grund, sich ihrem nicht-jüdischen Ehemann, der sie nicht mehr erkennt, aber benutzen will, zu unterwerfen - er ist derjenige, der jetzt ums Überleben kämpft. Sie tut es trotzdem. Was natürlich, wenn man eine Geschichte über Opfer und Täter erzählt, ein Holocaust-Melodram der Stunde null, eine gewagte Idee ist - ein Spiel mit dem höchsten Risiko.

Magisch leuchtet die rote Neonschrift des Clubs "Phoenix" durch die Nacht, wo die amerikanischen Offiziere tanzen, wo Cole Porter auf Deutsch erklingt und Kurt Weill auch und wo Nellys Mann, Johnny heißt er, die Gläser einsammelt und den Müll hinausträgt. Doch so geisterhaft und phantastisch diese Stimmung auch ist - hier spürt man zum ersten Mal den Druck, den alle Beteiligten sich machen. Weil sie eben wissen, was sie sich aufgeladen haben.

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Ronald Zehrfeld als Johnny versucht alles, seine Figur mit Glaubwürdigkeit zu erden, aber er hat einen schweren Stand. Denn obwohl er Nelly jetzt nach dem Bild einer angeblich Toten formt, die er wieder zum Leben erwecken will, ist dies gerade nicht Hitchcocks "Vertigo"-Motiv. Ihm fehlt der Fetisch, das nekrophile Begehren, er darf diese Fremde niemals schmecken, fühlen, riechen. Dann nämlich müsste er spüren, wie oft ihre Körper schon vereinigt waren, wie weit die Verdrängung ihn blind macht und daran hindert, in Nelly seine frühere Frau zu erkennen. Petzolds Kino wirkt oft körperlos, aber hier treibt er das ins Extrem.

Nina Hoss als Nelly lässt Entsetzen, Sehnsucht, Liebe, Hoffnung aus ihren weitaufgerissenen Augen brennen. Ihre Performance ist ein einziger stummer Schrei. Aber auch sie darf keinen Körper haben, und sie erstarrt dabei fast. In manchen Momenten stakst sie so demonstrativ ungelenk mit ihrer grauen Perücke durch die Trümmernacht, dass der Zauber der Bilder zerbricht - der Film droht ins Lächerliche zu kippen.

Er fängt sich wieder, wenn man bereit ist, sich wieder fallen zu lassen. Wenn man Kurt Weill noch im Ohr hat, wie er selbst singt, mit deutschem Akzent, und dabei wiederum Shakespeare zitiert: "Speak low, when you speak love . . ." Wenn nicht, wird man alles Folgende hassen.

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Plötzlicher Selbstmord im Off

Was die Idee des ausgelöschten Begehrens betrifft, nennt Petzold eine Geschichte von Alexander Kluge, die im KZ spielt, als zentrale Inspiration. Hoffte er, im festen Gerüst des Genres, im Rahmen dieses französischen Plots, den er da importiert hat, ganz privat bleiben, die Asche einer Liebe allein zwischen diesen beiden Figuren verhandeln zu können, in äußerster Klaustrophobie? Er hätte sich geirrt.

Denn der Holocaust, das Verhältnis von Tätern und Opfern, von Deutschen und Juden, das öffnet viel größere Fragen, die sich aufdrängen und nicht wieder verstummen. Und Petzold folgt ihnen auch, aber nur halbherzig und eher folgenlos. Einige dieser Erzählstränge kappt er dann einfach durch einen plötzlichen Selbstmord im Off, oder lässt sie im Ungefähren verlaufen. Aber warum?

Im Grunde ist er der Traumaforscher unter den deutschen Regisseuren, seit vielen Jahren schon. Ein Terroristenpaar, das die Welt mit Gewalt verändern wollte und dabei nur sein eigenes Gefängnis gebaut hat, lebenslänglich; eine Frau, die ihre ermordete Schwester rächen will und den Mörder aufgespürt hat; ein fahrerflüchtiger Mann, der ein Kind getötet hat und dennoch die Nähe der Mutter sucht - das sind seine Geschichten, seine Figuren, seine Zombies. Aber sie funktionierten gerade in der Distanz zur Geschichte, im Zwischenraum zwischen dem grauen Heute und dem unvorstellbaren Damals, zwischen Wolfsburg und Wolfsschanze.

Ausweichmanöver in voller Fahrt

Mit "Phoenix" hat er die Entscheidung getroffen, nun wirklich zur Stunde null zurückzugehen, ins Herz der Finsternis, und dem Trauma schlechthin gegenüberzutreten - dem Holocaust. Nur um dann zu erkennen, am ersten Drehtag, dass er das gar nicht konnte - nicht wie geplant. So ist der ganze Film ist auch eine Art Ausweichmanöver in voller Fahrt, eine Verengung des Blicks, ein Weg durch die Trümmer an so vielen Abgründen entlang, dass man eigentlich weder rechts noch links schauen darf, um nicht abzustürzen.

Doch die Möglichkeit besteht, und darin zeigt sich dann auch wieder Petzolds ganze Kunst, sich einfach hindurchtragen zu lassen, wie in Trance. Denn eigentlich braucht man nur diesem Song zu folgen, der den Weg weist, und der schwarzen Sehnsucht im eigenen Herzen, um sich von diesem seltsamen Paar und dem Spiel seiner brennenden, körperlosen Blicke gefangen nehmen zu lassen.

Beim Festival von Toronto, wo der Film seine Weltpremiere hatte, hat das gut funktioniert, die amerikanischen Kritiker waren zum Großteil euphorisch. Die deutschen, das deutet sich schon an, werden Petzold eher die unangenehmen Fragen stellen. Nicht ganz zu Unrecht zwar - aber da klingen schon wieder sehr dogmatische, engherzige Töne an.

Der Film aber verlangt vor allem nach einer persönlichen Reaktion: Spürt man die Traurigkeit in diesem kleinen Song, den Kurt Weill für ein Musical geschrieben hat, "One Touch of Venus"? Ist man bereit für eine Fahrt in die Nacht, und vielleicht sogar, dabei verloren zu gehen? "Speak Low" jedenfalls endet nicht wie üblich auf dem Grundton, sondern auf der großen Sexte. In der Musik ist das der schwebendste, geheimnisvollste Schluss überhaupt.

Phoenix , D 2014 - Regie und Buch: Christian Petzold. Kamera: Hans Fromm. Mit Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf. Piffl, 98 Minuten.

© SZ vom 24.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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