Philosophie:Jugendverderber

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Für die Jugend - der militante Philosoph Alain Badiou.

(Foto: Patrick Hertzog/afp)

Der Philosoph Alain Badiou wird achtzig. Viel verbindet ihn mit dem Theater. Was steckt hinter seiner Rolle als Verderber der Jugend?

Von Fritz Göttler

Er ist ein Mann des Theaters, des philosophischen Theaters, der Philosophie als Szene und Dialog. Beim Theaterfestival in Avignon hat er 2015 seine eigene Übersetzung von Platons "Staat" vorgetragen, eine réécriture eher als eine Übertragung, mit der er dann 2016 auch sein neuestes Buch begonnen hat, den "Versuch, die Jugend zu verderben", der Ende vorigen Jahres auch auf Deutsch erschien. Man spürt in diesem Buch, wie in vielen, die Badiou schrieb, Erlebnisse nachwirken, die er in Avignon in den Fünfzigern hatte, Gérard Philipe als Prinz von Homburg, später, in den Achtzigern und Neunzigern hat er hier auch eigene Stücke aufgeführt.

Die Verderbung, zu der Alain Badiou ansetzt, ist ein Angebot zur Kooperation, ein Aufruf zur Verbrüderung zweier Gruppen, die in der modernen Gesellschaft nicht mehr integriert sind und nicht weiter integrierbar, von Jung und Alt - unter Ausschluss jener Mittelgeneration und -schicht, jener trägen, so satten wie missmutigen Schicht, die zur Erneuerung nicht fähig ist. Dieser Versuch, die Jugend zu verderben, ist ein Joint Venture von Sokrates und Arthur Rimbaud. Philosophie ist zu allererst Begegnung, auch das hat Badiou von Platon übernommen. Philosophie ist in Frankreich immer Praxis geblieben, politische Praxis zumal.

Alain Badiou, geboren am 17. Januar 1937 in einer bürgerlichen Familie in Rabat, ist als Philosoph von Anfang an ein Radikaler. Radikalisiert hat er sich in den Demonstrationen während des Algerienkriegs, nach dem Mai '68 wurde er Maoist, um die Defekte des Stalinismus zu bekämpfen. In der Tradition von Jacques Lacan und Louis Althusser lehrte er an verschiedenen Pariser Universitäten, führte marxistische und psychoanalytische Analyse eng zusammen. Das kapitalistische System ist für Badiou weiter die Ursache der Probleme der modernen Gesellschaft, es ertränkt alles in den "eiskalten Wassern egoistischer Berechnung" - die Formel aus dem Kommunistischen Manifest macht Badiou heute noch frösteln. In "Wider den globalen Kapitalismus" untersucht er die Pariser Terroranschläge vom November 2015 als Reaktion auf die Entwicklung des internationalen Kapitalismus.

Das wahre Leben, zu dem Badiou die Jugend verderben will, macht sich frei von starren Traditionen und kapitalistischen Zwängen, setzt auf Subjektivität und Reflexivität. Das Glück, das man dabei finden kann, besteht - sehr romantisch, sehr rimbaudesk - darin, Sachen plötzlich zu entdecken, derer man fähig ist, ohne dass man es gewusst hätte. In der Liebe zum Beispiel den egoistischen Selbsterhaltungsegoismus blockieren und erleben, dass die eigene Existenz völlig von einem anderen abhängig ist.

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