Süddeutsche Zeitung

Philosophie im 20. Jahrhundert:Kluge runde Brillengläser

Ken Krimstein, einer der Zeichner des New Yorker, erzählt das Leben von Hannah Arendt in Form einer Graphic Novel. Im Zentrum stehen der Gang ins Exil 1933, die Jahre in Paris und ihre Ankunft in den USA.

Von Gustav Seibt

Es gibt nur eine Farbe in diesem Comic, das ist Grün. Grün zeigt an, dass Hannah, die Heldin, auftritt, manchmal nur als winziger Fleck in einem vollgestopften Wimmelbild. Die Welt in den Bildern ist eilig hinskizziert, mit mal feinem, mal dickerem Stift und Strich, manchmal verschwommen, zuweilen mit verriebenen Hintergründen. Großstädtisch ist dieses Zeichnen, man kann es sich auf Papiertischtüchern von Bistros vorstellen oder am Rand von Speisekarten.

So hat Ken Krimstein, einer der Zeichner des New Yorker, die drei Leben der Hannah Arendt in ein erzählerisches Bilderbuch verwandelt. Drei Leben meint hier keine Abfolge in Epochen, sondern ein Prisma mit drei Seiten: Lieben, Denken, Handeln. Hannah Arendt ist die Denkerin, die eine intensiv Liebende war und die Freiheit als Freiheit zum Handeln unter anderen freien Menschen selbst vorgelebt hat.

Ihre Biografie ist aufregend genug, um so einen stilistisch erregten grafischen Roman zu tragen. Anders als Immanuel Kant, der große Königsberger Philosoph, der nie den Ort seiner Geburt verließ, wurde Arendt durch die Welt geschleudert, auf der Flucht vor der Verfolgung durch die Nazis: Paris, Südfrankreich, Spanien, Amerika, später auf großen Reisen zurück nach Europa und Jerusalem. Ein Leben im Sturm der Zeit, mit Verbindungen zu anderen Großen wie Martin Heidegger und Walter Benjamin.

Schon wie Krimstein Heidegger zur einer immer wieder drohend aus den Comickästchen starrenden Strichzeichnung macht und Benjamins kluge runde Brillengläser zum Statthalter der Person, ist ein Riesenspaß. Benjamin wird in Gestalt eines verwaschenen Wasserflecks an der Decke noch nach seinem Selbstmord auf der Flucht zu einem fordernden Gesprächspartner Hannahs. Von so schönen Einfällen ist das reiche Büchlein voll.

Es lebt vom Detailreichtum der großen Biografie, die Elisabeth Young-Bruehl der Denkerin gewidmet hat. Hier stehen die abenteuerlichen Umstände des Entweichens aus Deutschland 1933 im Zentrum, der Internierung in Frankreich nach 1940, der Etablierung in den USA, wo eine Internationale von geflüchteten Intellektuellen zusammenfindet. Das ist spannend in jedem Moment, führt allerdings auch dazu, dass Arendts letzte drei Lebensjahrzehnte, in denen ihre großen Bücher entstehen, unproportional geringen Raum erhalten. Und so sehr Stil und Episodenreichtum den historischen Sturm veranschaulichen können, der die Philosophen des 20. Jahrhunderts in Atem hielt, so skizzenhaft muss am Ende doch die philosophische Sache bleiben.

Arendt zur Lebensphilosophin zu machen, tut ihrer Strenge unrecht

Wenn eine solche Bildgeschichte unvermeidlich zum Biografismus neigt, dann liegt auch die Verführung nahe, Arendts Denken zu einer Lebensphilosophie zu machen. Das aber tut ihrer Strenge unrecht, und so ist man dankbar, dass die gezeichnete Figur selbst das Genre immer wieder zur Ordnung zu rufen scheint, wenn sie nämlich als strenge, angestrengt arbeitende Denkerin gezeigt wird. Dass hier nichts leicht ist, wird mit großer Leichtigkeit plausibel gemacht. Die Texte, die Hanns Zischler kraftvoll übersetzt hat, brillieren in vielen Tönen, von düsteren Momenten der Verzweiflung bis zum trockenen Witz von Partykonversationen.

Dabei fallen immerhin einige Stichworte aus dem Totalitarismus-Buch, der Anthropologie der "Vita activa" und der Eichmann-Reportage. Erstaunlich bleibt, dass der zugänglichste, auch illustrativ nächstliegende Teil ihres Denkens, nämlich die politische Philosophie der Freiheit, die dem Schauplatz Amerika so viel verdankt, kaum zur Anschauung kommt. Ken Krimstein zeigt die Jüdin, die Existenzphilosophin, aber kaum die späte Bürgerrechtlerin. Wir erfahren viel über ihre beiden Ehen und ihre Liebe zu Heidegger, aber kaum etwas über die Kritik einer Freiheit, die nur Innerlichkeit kennt. "Leben und Denken sind ein und dasselbe", sagt am Ende eine über den Globus tänzelnde Hannah. Nun, nicht ganz - Monismus lag Arendt fern, dafür war sie zu streitbar.

Wolken von Zigarettenrauch wehen einem aus dem Comic entgegen. So viel altes Europa musste unbedingt sein. Gott sei Dank bleibt der Qualm virtuell, auch junge Menschen, die doch mit dem Rauchen besser gar nicht anfangen sollen, können sich anregen lassen, bei einem echten, also bilderlosen Arendt-Text einzusteigen.

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SZ vom 02.12.2019
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