Slavoj Žižek und Jordan Peterson:Atmosphäre wie beim Rummelboxen

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Peterson/ Žižek in der Diskussion

Slavoj Žižek (links) und Jordan Peterson auf der Bühne des Sony Center in Toronto, in der Mitte der Moderator.

(Foto: YouTube)

Die Begegnung von Slavoj Žižek und Jordan Peterson galt manchen als "Duell des Jahrhunderts" und war als Spektakel sehr in Ordnung. Doch die Debatte liefert ein trauriges Beispiel für unsere Unfähigkeit, der Erörterung eines etwas komplexeren Themas zu folgen.

Von Jens-Christian Rabe

3000 Zuschauer waren im ausverkauften Sony Center im kanadischen Toronto anwesend, als am Karfreitagabend zwei berühmte Intellektuelle aufeinandertrafen: der linke slowenische Philosoph und Ideologiekritiker Slavoj Žižek und der konservativ-libertäre kanadische Psychologe und Ideologiekritiker Jordan Peterson. Ein paar weitere Tausend verfolgten im Internet den Livestream der Debatte. Für einen Sportwettkampf zwischen vergleichbaren Kalibern wären das desaströse Zuschauerzahlen; für eine Diskussion zum Thema "Marxismus vs. Kapitalismus" sind sie beachtlich, zumal über das Wochenende noch einmal deutlich über eine halbe Million Youtube-Zugriffe auf die Aufzeichnung dazukamen, auch wenn daraus natürlich nicht hervorgeht, wie lange jeweils zugesehen wurde.

Die mitunter leicht hysterische Aufregung in den Tagen vor der Diskussion - es war vom "Duell des Jahrhunderts" die Rede - ging also schon in Ordnung. Tagtäglich wird um Unfug, bei dem es um weit weniger geht, viel, viel mehr Wind gemacht. Und sehr in Ordnung ging dann am Ende auch das knapp 180-minütige Spektakel an sich, das schon aufmerksamkeitsökonomisch angenehm kompromisslos angelegt war gegen die epidemische digitale Ungeduld: Zu einer direkten Diskussion der Duellanten kam es erst nach gut 90 Minuten. Zuvor hatten, wie verabredet, zuerst Peterson und dann Žižek ein 30-minütiges Statement abgegeben und danach jeweils gut zehn Minuten auf die Einlassungen des anderen geantwortet.

Seltsamer war schon das Publikum, dass unüberhörbar etwas zu fest gewillt war, für eine Atmosphäre wie beim Rummelboxen zu sorgen, und etwa schon jubelte, als bei der Einführung durch den Moderator Žižeks zwei Doktortitel erwähnt wurden. Die niederen Instinkte, die sich da zeigten, waren allerdings nur ein kleiner, lustiger Vorgeschmack auf das, was hinterher - blitzschnell und gar nicht mehr so witzig - an Bilanzen formuliert wurde. Die Tatsache, dass gleich als Erstes der gefühlte Sieger (Žižek) und der gefühlte Verlierer (Peterson) bestimmt werden mussten und dazu eher krampfig Boxkampfvokabular bemüht wurde ("In der rechten Ecke ..."), war da aber bei Weitem nicht das Schlimmste.

Traurig: Alle wollen lieber einen Boxkampf als eine komplexe Erörterung

Nein, das Schlimmste war, dass die Debatte am Ende zu Unrecht ein trauriges Beispiel lieferte für die Unfähigkeit unserer Zeit, der Erörterung eines etwas komplexeren Themas zu folgen und sich nicht reflexhaft an den erstbesten Hölzchen und Stöckchen festzubeißen - und die Neigung, alles andere arg selbstsicher abzumoderieren. Wenigstens wenn man die ersten prominenten Reaktionen der interessierten digitalen Öffentlichkeit und der professionellen Beobachter vom Guardian bis zur NZZ zum Maßstab nimmt. Weshalb die Sache jetzt gewissermaßen von ihrem Ende her betrachtet werden muss.

Hinterher stürzte man sich also zum Beispiel auf die offensichtlich suboptimale Grundkonstellation dieses Disputs, der als Kampf gegenwärtiger Weltanschauungen geplant war: Slavoj Žižek und Jordan Peterson sind beide scharfe Kritiker der Identitätspolitik des linksliberalen Mainstreams, dessen Vertreter sie für selbstgerechte Moralisten halten, außerdem ist die Postmoderne (oder das, was sie sich als "Postmoderne" zurechtgeschnitzt haben, also gewissenloser Werterelativismus) für beide die Wurzel aller zeitgenössischen Übel. Oder man räsonnierte schadenfroh - mit dazugelieferten Youtube-Aussschnitten - darüber, dass Peterson keine Antwort auf Žižeks Frage hatte, ob er ihm "auch nur einen einzigen Marxisten" nennen könne, der Petersons Lieblingsfeind des "Kulturmarxisten" entspreche: "Ich frage das jetzt nicht", so Žižek, "um auf höfliche Art zu sagen, dass Sie ein Idiot sind und nicht wissen, worüber Sie reden."

Peterson war im Marxismus unübersehbar nicht sattelfest, und seine gut gemeinte Idee, für das Eingangsstatement Marx' und Engels' "Kommunistisches Manifest" wieder zu lesen und ihm in zehn Punkten zu widersprechen, war eine absurde Entscheidung. Jordan Petersons Marx ist ein starrsinniger Moralist, vom beinharten Wirtschaftsanalytiker Marx, dem Autor des "Kapitals", hatte er keinen Schimmer.

Viel interessanter war aber doch zum Beispiel die Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit, mit der Žižek und Peterson die meiste Zeit sprachen. Und inhaltlich war das Wesentliche auch nicht das akademische Schlaumeier-Spiegelgefecht, wer sich bei Karl Marx am besten auskennt. Es ging leider um viel mehr. Abgesehen davon also, dass man beide auch sehr gerne noch mit einem hochkarätigen Vertreter des linksliberalen Mainstreams hätte streiten sehen (weil sich anwesende Feinde schwerer so zurichten lassen, wie man sie gerne hätte) - abgesehen davon lag ein zentraler Konflikt der zeitgenössischen Politik jenseits aller populistischen Provokationen in dieser Debatte sehr schön offen da.

Kapitalismus als beste unter den schlechten Wirtschaftsordnungen

Der konservative Psychologe und Individualist Peterson, dem mit dem Selbsthilfebuch "12 Rules for Life" im vergangenen Jahr ein Weltbestseller gelang, ist schlicht der Ansicht, Probleme ließen sich nicht lösen, wenn - wie auf der Linken - der Mensch immer nur nach äußeren Gründen für sein Unglück suche und damit sein Leben aus der Hand gebe. Passend dazu ist er der Ansicht, dass das aktuelle Handeln des Menschen, insbesondere natürlich in seiner Funktion als Unternehmer, viel besser als sein linker Ruf ist. Der Kapitalismus ist ihm dabei aber auch nur die beste unter den schlechten Wirtschaftsordnungen. Die Möglichkeit des Menschen, ein grundsätzlich besserer zu werden, sieht er entsprechend skeptisch. Schon der dieser Idee unterliegende Moralismus, der Menschen letztlich allzu leicht in gute und schlechte aufteilt, behagt ihm nicht.

Mit dem Moralismus ist Slavoj Žižek natürlich nicht zu kriegen, der ist ihm selbst zu weich und selbstgerecht. Als er aber seinen Begriff von Gleichheit skizziert, lässt er sich schon sofort zum linken Idealismus gruppieren, zu denen, die Probleme eher externalisieren, was immer dann näher liegt, wenn man der Ansicht ist, dass zuerst Äußeres (die Verhältnisse) den Menschen davon abhält, sein Potenzial zu verwirklichen. Žižek sagt also, dass Gleichheit für ihn bedeute, "für so viele Menschen wie möglich einen Raum zu kreieren, in dem sie ihre unterschiedlichen Potenziale entwickeln können". Dem Kapitalismus, wie wir ihn kennen, gelinge dies nicht, weil er uns im Namen des Profits zu gleich mache und dadurch zu viele Talente vernichte.

Sicherer wirkte Žižek in der Debatte von Toronto wieder da, wo er mit einem klugen ideologiekritischen Kniff allen Seiten die Leviten lesen konnte: "Die Geschichten, die wir uns über uns erzählen, um zu rechtfertigen, was wir tun - und das nenne ich Ideologie - sind ein fundamentale Lüge." Genau so sei es auch mit der Obsession der Neuen Rechten - in den USA: "Alt-Right" - gegenüber dem, was sie "kulturellen Marxismus" nennen: "Die Alt-Right weist ihn zurück, weil sie sich nicht der Tatsache stellen will, dass die Phänomene, die sie als Effekte der kulturmarxistischen Erzählung bezeichnet - den moralischen Niedergang, die sexuelle Promiskuität, Konsumhedonismus - eigentlich das direkte Ergebnis kapitalistischer Gesellschaften sind." Der "kulturelle Marxismus" spiele für sie dieselbe Rolle, so Žižek, wie einst der Antisemitismus für die Nazis: "Er ist der Sündenbock für systemimmanente Spannungen."

Trump als "liberaler Fetisch"

Ebenso fragten aber auch Liberale nie ernsthaft, wie die liberale Gesellschaft ein Phänomen wie Donald Trump gebären konnte: "Trump ist ein liberaler Fetisch, damit sie sich nicht um die wirklichen sozialen Spannungen kümmern müssen." Die Liberalen übersähen, "wie ihre eigenen Fehler den Weg frei machten für Trumps patriotischen Populismus". Passenderweise wirkte Žižek dabei allerdings gar nicht triumphalistisch, und nur dem, der einen Boxkampf mit Knock-out erwartet hatte, weil er es gern so einfach und so konfrontativ wie möglich hat, konnte das entgehen.

Mit anderen Worten: Wie schön wäre es, wenn genau in diesem Langstrecken-Format ganz bald weitere intellektuelle Duelle vor großem Publikum stattfänden, auch und gerade in Europa und Deutschland. Es kann gerade eigentlich nicht genug davon geben. Viel zu viele Grundlagen unseres Denkens und Handelns stehen infrage, die nicht nach narzisstischem Talkshow-Ping-Pong verlangen, sondern nach so langen und ernsthaften Diskussionen, wie es diese zwischen Slavoj Žižek und Jordan Peterson im Kern war. Wenn man denn zuhören und ernsthaft nachdenken wollte.

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