Süddeutsche Zeitung

Philosoph im SZ-Gespräch:"Das Begehren selbst steht heute vor dem Richter"

Der Philosoph Peter Sloterdijk hat ein Buch über weibliche Sexualität geschrieben. Nun erklärt er, warum ihn feministische Debatten so wenig interessieren.

Von Vera Schroeder, David Pfeifer und Sven Michaelsen

Einige Freunde, sagt Peter Sloterdijk, 69 Jahre alt, Philosoph, Gegenstimme, Schriftsteller, hätten ihn von diesem Projekt abgeraten. Die Gefahr, dass man das Buch unter der Rubrik "Altersgeilheit" abhandeln würde, wäre einfach zu groß. Peter Sloterdijk hat es trotzdem geschrieben. "Das Schelling-Projekt" ist in dieser Woche bei Suhrkamp erschienen. Es ist ein Brief- oder besser gesagt E-Mailroman zur Evolution weiblicher Sexualität geworden.

Der Süddeutschen Zeitung hat Peters Sloterdijk sein einziges Interview zum Buch gegeben. In seinem Urlaub auf Korsika empfing er die Journalisten, sprach mit ihnen intensive drei Stunden lang und bekochte sie anschließend mit einem Crevetten-Reis-Gericht.

Im Interview preist er die weibliche Sexualität, deren "himmlischen Längen" zur "männlichen Eile" immer in Asymetrie stünden. Doch die weibliche Erotik sei in Gefahr. Unsere Kultur werde "von zwei Großmächten diktiert, die eine illiberale Koalition bilden: von den naturalistischen Diskursen und von den sekuritären Imperativen". Beide Tendenzen sei der "Hass gegen die Offenheit" gemeinsam. "Der große Verlierer ist die weibliche Erotik, um von der Demokratie nicht zu reden."

Doch auch auf persönliche Fragen lässt der Philosoph sich ein. Seine eigenen sexuellen Erfahrungen 1979 im Ashram in Poona hätten einen Einschnitt in seinem Leben bedeutet. Nicht, weil er der freien Liebe verfallen sei. "Im Gegenteil. Ich habe bemerkt, dass ich für Eskapaden nicht geeignet bin. Die Neigung zum Ernstnehmen erotischer Begegnungen kam dazwischen. Zu meinem Leidwesen wurde mir klar, für beiläufige Spiele keine Begabung zu haben. Wichtig blieb, dass ich in Indien eine andere Grundstimmung fand. Ich wurde aus dem schlechten deutschen Wetter ausgebürgert."

Dass in den ersten Kritiken zu seinem Buch genau das passierte, was Sloterdijks Freunde vorhersagten, sieht der Philosoph gelassen. "Von Welterklärer zum Sexonkel" titelt der Spiegel, von "philosophischer Pornografie" schreibt die Zeit. "Wer die philosophisch verallgemeinerte Bewunderung des Mannes für die Frau für einen Herrenwitz hält, muss etwas in die falsche Kehle bekommen haben", kontert Sloterdijk im Gespräch.

Mit "Das Schelling Projekt" wollte er sich den Gefallen tun, ein Buch zu schreiben "bei dem ich mich immer auf die nächste Seite freue". Deshalb habe er auch ältere Protagonisten gewählt, die in mancherlei Hinsicht mutiger seien als die Jungen. "Sie laufen nicht so leicht in die Korrektheitsfalle."

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