Konzertkritik:Gewaltige Klanggebäude

Konzertkritik: Dirigent Philippe Jordan bei der Probe mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.

Dirigent Philippe Jordan bei der Probe mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.

(Foto: Astrid Ackermann)

Der Dirigent Philippe Jordan gibt sein Debüt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Und versucht sein Glück mit großer romantischer Symphonik von Wagner und Liszt.

Von Helmut Mauró

Was man so genau meist nicht beobachten konnte, wenn man den Dirigenten Philippe Jordan in seiner Zeit an der Pariser Oper erlebte: Wie präzise er artikuliert, Einsätze vermittelt, einzelne Instrumentgruppen im Auge hat. Aus dem Pariser Orchestergraben, den er seit Kurzem mit dem der Wiener Staatsoper als Chefdirigent getauscht hat, tönte immer wieder auch Musik von Richard Wagner, darunter ein kompletter Ring-Zyklus, klanggenau und doch auch hinreichend mystifiziert, kreativ nebulös.

Am Ende fehlte bei Wagner doch die orchestrale Himmelfahrt

Das war nun im Münchner Herkulessaal, wo er unter anderem mit Wagners Faust-Ouvertüre sein Debüt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gab, ein bisschen anders. Die Präzision bewegte sich manchmal an der Grenze zur Pedanterie, allzu penible Vorgaben verhinderten ein freieres Spiel der Musiker, aus dem das erforderliche klangliche Mysterienspiel sich hätte entwickeln können. Die Stimmung blieb kühl, erst nach und nach gewann der Klang an Streicherwärme; nun durfte auch mal ein Ton ausklingen und nachklingen und größeren Raum schaffen. Aber am Ende, und dafür stehen ja die Wagner-Schlüsse, fehlte dann doch das Lichtmoment, das gleißend Entschwindende, die orchestrale Himmelfahrt.

Franz Liszts "Totentanz" bot da andere Möglichkeiten, zumal dem Klavier hier eine führende Rolle zuteil wird. Der französische Virtuose François-Frédéric Guy hämmerte diese Variationen über die mittelalterliche Dies-Irae-Sequenz, die nicht nur in den Requiem-Vertonungen, sondern in zahlreichen Kompositionen des 19. und 20. Jahrhunderts weiterlebt, entschlossen in die Tasten. Und Philippe Jordan strukturierte dazu mit den BR-Symphonikern einen komplementären Gegenpart, wodurch er im Wechselspiel aus solistischen Teilen und kommunizierenden Abschnitten ein gewaltiges Klanggebäude aufbaute. Gleichwohl blieb das Klavier die dominierende Kraft, Liszt schafft auf diesem Instrument ein Farbenspektrum wie kaum ein anderer Klavierkomponist. Der Diskantpart klingt oft so glöckchenhaft verspielt, als würde er unmittelbar in die pointillistischen Fantasien Claude Debussys münden. Und selbst die vergrübelte Allegro-Fuge am Ende scheint oft mehr Klangmysterium zu sein als eine Demonstration kalkulierten Kontrapunkts, wie dies andere Komponisten in ihren Finalsätzen gerne zelebrieren.

In Liszts Faust-Symphonie geht es dagegen von Anfang an um etwas ganz anderes, nämlich um die kühne Entwicklung einer neuen Form, einer neuen symphonischen Erzählweise. Die einsätzige Symphonie, die keine mehr sein will, heißt nun ganz bewusst Symphonische Dichtung, denn sie will mit dieser gleichziehen im Wettstreit romantischer Kunstformen. Liszt steht für dieses neue Modell wie kein anderer, und er nutzt die Bekanntheit der Faustfigur als Paradigma romantischer Existenz, um eine orchestrale Charaktererzählung zu gestalten. Die ist dann doch mehr Seelendrama und Wechselspiel schwarz-weißer Schattenrisse und großflächiger Farbgemälde, dazwischen immer wieder auch große Bereiche in Pastell. Die betreffen nicht nur die Figur des Gretchens, sondern auch den jungen Faust, der nicht nur mit pathetischer Geste auftritt.

Für einen Abend ändert sich der langjährig gewachsene Grundcharakter eines Orchesters nicht

Da sind durchaus zwei Seelen erkennbar, aber eher unterschwellig, in komplexere Entwicklungen verstrickt. Die jedoch sind nicht so sehr die Sache der BR-Symphoniker, die immer dann am überzeugendsten wirken, wenn sie zu großen Effekten ausholen dürfen und den Gesamtapparat mit mechanischer Präzision und Wucht in Gang bringen. Möglicherweise kämpfte Jordan hier auf verlorenem Posten, für einen Abend ändert sich der langjährig gewachsene Grundcharakter eines Orchesters nicht. Möglicherweise wollte Jordan aber auch den Liszt'schen Faust etwas erdverbundener verstanden wissen als jenen Wagners. Manchmal hatte man den Eindruck, er sorge mit strenger Hand dafür, dass alles und alle auf dem Teppich bleiben. Das wird aber oft auch gefährlich schwerfällig, allzu irdisch, bar des Atmosphärischen, das doch auch Liszt mit komponiert hat. Das massive Überwältigungsfinale mit Chor und Solist gelang dann erwartbar und ganz im Wortsinn durch das finale Niederringen des geneigten Publikums.

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