Klassik:Enorm plastisch

Klassik: Der Dirigent Philippe Herreweghe ist einer der Großmeister der historischen Aufführungspraxis.

Der Dirigent Philippe Herreweghe ist einer der Großmeister der historischen Aufführungspraxis.

(Foto: imago/Belga)

Philippe Herreweghe ist einer der besten Bach-Dirigenten der Welt. In München dirigierte er jetzt aber das "Requiem" von Wolfgang A. Mozart.

Von Helmut Mauró

In München ist er ein gern gesehener, aber nicht allzu häufiger Gast. Der belgisch-flämische Dirigent Philippe Herreweghe gehört zu den bedeutenden Figuren der Originalklangbewegung. Mit seinem 1970 gegründeten Collegium Vocale Gent erregte er die Aufmerksamkeit der älteren Kollegen Gustav Leonhardt und Nikolaus Harnoncourt; vor allem mit Bach-Kantaten und Renaissance-Musik. Mit der 1977 gegründeten Chapelle Royale widmete er sich der französischen Barockmusik. Inzwischen hat er sein Repertoire aber bis Haydn, Mozart, Bruckner und Mahler ausgedehnt. Deren Werke lassen sich nicht immer mit Originalklangensembles realisieren. Herreweghe ist da durchaus flexibel. Nur Bach würde er nicht mit modernem Orchester spielen, sagt er beim Vorgespräch zu seinem Münchner Konzert, bei dem er in der Isarphilharmonie nun Wolfgang Amadé Mozarts "Prager Symphonie" und dessen "Requiem" mit den Münchner Philharmonikern und deren Chor aufführte.

Letztes Jahr machte er eine Ausnahme: Beim Gedenkkonzert zur Zerstörung Dresdens am 12. Februar 2021 dirigierte er die Staatskapelle Dresden mit einer Sinfonia, Chören und Soli aus verschiedenen Bach-Kantaten. Dabei verwandelte er die Staatskapelle zwar nicht in ein Originalklang-Ensemble, aber er animierte die Instrumentalisten und mehr noch den Chor und die Solisten zu zumindest ansatzweise authentisch anmutender Phrasierung und Klanggestaltung. Die Oboe klang etwas weniger scharf, die Geigen weniger schwülstig, der Bass weniger flächig, rhythmisch profilierter. Dennoch ist es natürlich ein hörbar modernes, groß besetztes Symphonieorchester mit einem Klangbild, wie es sich ähnlich nun auch in der Münchner Isarphilharmonie bot. Allerdings wurde schon in der eröffnenden Prager Symphonie klar, dass Herreweghe ganz anderes im Sinn hat als den vordergründigen Effekt, den rauschhaften Großklang.

Das wäre in der Isarphilharmonie auch problematisch. Der Chor, besonders die Männerstimmen, klingen im Forte oft verzerrt. Viel Lautstärke verträgt dieser Saal nicht. Aber Herreweghe ist auch nicht ein Mann der lauten Töne, eher ein Künstler der liebevollen Genauigkeit, der ebenso beharrlichen wie unaufdringlichen Präzision, die am Ende so etwas wie eine innere Glut entfacht mit wenig Feuerschein, aber umso tiefergehender Wirkung. Es ist ein Schwelbrand, der unter der Oberfläche wirkt, und den konnte man auch an diesem Abend immer wieder spüren.

Herreweghe glaubt an das Werk und weniger an die Zauberkraft des Dirigenten, aus allem ein Meisterwerk machen zu können

Am Anfang aber steht für Herreweghe das Wort. Und die Bewegung. Das sind die Eckpfeiler seiner musikalischen Praxis. Dabei geht es nicht, wie bei anderen Alte-Musik-Dirigenten, um besonders akzentuierte Wortausdeutung und drastische Veranschaulichung, wie etwa bei John Eliot Gardiner, sondern um Textverständlichkeit, schiere Phonetik und Phonologie. Grundlage ist das inhaltliche Verständnis. Es gebe aber Sänger, sagt er, die kein Latein verstünden. Und um den Unterschied, ob jemand versteht, was er singt, oder nur die Aussprache der Wörter gelernt hat. Herreweghe achtet auch im Konzert penibel darauf, dass kein Wort vernuschelt, keine Silbe unterschlagen wird.

Manchmal geht das nur auf Kosten eines zügigeren Tempos, das dramatischer wirkt und für einen straffen Gesamtzusammenhalt sorgen kann. Herreweghe geht den beschwerlicheren Weg, lässt der Sprache auch im musikalischen Umfeld ihren Raum, stellt die Gesamtspannung allein durch die rhythmische Grundierung her. Er spricht konkret von Tanz, der aber mehr ist als nur festgelegte Bewegungsfiguren. Oft geht es um einen Grundimpuls, den man beinahe unbewusst wahrnimmt. Außer, was an diesem Abend leider hin und wieder geschah, Chor und Orchester kommen ein wenig aus dem Tritt. Herreweghe zeigt sich hierbei aber als versierter Praktiker, der das Ganze ohne großes Aufsehen gleich wieder ins Lot bringt. Das gilt auch für orchestrale Ausreißer, wenn etwa die Blechbläser zu Beginn der Prager Symphonie arg dominant werden. Die klingt ansonsten enorm plastisch, in einem natürlich richtigen Tempo, oft opernhaft erzählend, wie Mozart gerne Musik gedacht hat.

Man kann sich das alles als Gegenentwurf etwa zum klanglichen Expressionismus von Teodor Currentzis vorstellen. Aber, wo Currentzis auf Effekte setzt und Details unterordnet, konzentriert sich Herreweghe auf einen makellosen Klang, einen extrem gut vorbereiteten Chor und ein höchst diszipliniertes Orchester. Er verzichtet auch darauf, wie üblich die einzelnen Nummern etwa durch Attacca-Anschlüsse zu verbinden. Er glaubt an das Werk und weniger an die Zauberkraft des Dirigenten, aus allem ein Meisterwerk machen zu können. Manche genialische Komponisten fallen bei ihm durchs Raster. Georg Friedrich Händel etwa, der ist ihm "zu eindimensional".

Er mag es, wenn ein Stück nach allen Seiten strahlt und aus allen Blickwinkeln neu betrachtet werden kann, wenn es also eine gewisse Grundkomplexität mitbringt. Da ist er bei Bach natürlich besser aufgehoben. Und offenbar auch bei Mozarts "Requiem", das er bereits dreimal auf CD eingespielt hat und das live doch so viel stärker wirkt.

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