Kolumne "Nichts Neues":Sein Leben als Sohn

Kolumne "Nichts Neues": "Mein Leben als Sohn" ist keine Abrechnung mit dem Vater, sondern eine liebevolle Anerkennung.

"Mein Leben als Sohn" ist keine Abrechnung mit dem Vater, sondern eine liebevolle Anerkennung.

(Foto: Johanna Adorján)

Die schönsten Biografien schrieb er selber: Philip Roth über seinen Vater.

Von Johanna Adorján

Eines der schönsten Bücher von Philip Roth handelt von seinem Vater, Herman Roth, der 1901 in Newark, New Jersey, geboren wurde, in Newark als Versicherungsvertreter Lebensversicherungen verkaufte und 1989 in Newark starb. Er liegt auf dem Gomel Chesed Cemetery, gleich hinter dem Flughafen Newark, neben seiner Frau Bess Finkel Roth, die acht Jahre vor ihm starb.

Als Herman Roth 86 Jahre alt ist, ist plötzlich seine eine Gesichtshälfte gelähmt. Damit beginnt das Buch, und an dieser Stelle begann Philip Roth auch mit dem Schreiben. Er hat die Erkrankung seines Vaters, die sich als Gehirntumor herausstellen soll, sozusagen live mitgeschrieben und ihn bis zu dessen Tod begleitet, wobei er selbst in dieser Zeit fast gestorben wäre - Philip Roth hatte 1989 eine Notfall-Bypass-Operation.

"Mein Leben als Sohn" ist das Portrait eines störrischen, allein lebenden Rentners, der gerne Witze erzählt, mit den Jahren immer geiziger wurde und nie hochfliegende Gedanken oder Träume hatte, und der ausgerechnet jetzt, wo ihn die Gesundheit im Stich lässt und er auf dem rechten Auge ohnehin fast blind ist, das größte Abenteuer seines Lebens zu bestehen hat. Und Philip Roth erliegt nicht der Versuchung, seinen Vater geschönt zu präsentieren. Er erzählt, dass seine Mutter, als sein Vater in Rente ging und auf einmal die ganze Zeit um sie herum war, zum ersten Mal überhaupt an Scheidung dachte. Nimmt uns mit ins Badezimmer, wo er, der Sohn, die Spuren einer verunglückten väterlichen Darmentleerung beseitigen muss. Beschreibt seinen Vater im bekleckerten Krankenhausnachthemd ohne Zähne - "und die kleine alte Dame, der er ähnlich sah, war seine Mutter, Bertha Zahnstecher Roth, so wie ich sie im Krankenhaus gegen Ende ihres Lebens in Erinnerung hatte". Und beraubt ihn doch nie seiner Strahlkraft. Denn auch wenn er andeutet, dass das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater in früheren Jahren nicht einfach war, ist sein Buch keine Abrechnung. Es ist eine Anerkennung des ewigen Gesetzes, das noch niemand je zu ändern wusste: Erst nach den Vätern kommen die Söhne. Ein wahnsinnig liebevolles Buch.

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