"Phantastische Tierwesen 2" im Kino:Die Hass-Rhetorik zieht ein in die Zauberwelt

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Johnny Depp spielt Gellert Grindelwald, der einen neuen Kampf in der "Wizarding World" von J.K. Rowling entfacht. (Foto: Warner Bros.)
  • Im zweiten Teil der Reihe reist Newt Scamander 1927 mit seinem Koffer voller sonderbarer Tierwesen ins düstere Paris zwischen den Weltkriegen.
  • Dort kämpft er gegen den Zaubermeister Grindelwald, der von Johnny Depp als bleichgesichtiger Bösewicht gespielt wird.
  • Viel klarer als in der "Harry Potter"-Reihe arbeitet sich J. K. Rowling in "Phantastische Tierwesen" an politischen Themen wie Totalitarismus, Rassismus und Hetzreden ab.

Von Annett Scheffel

Eine der vielen bemerkenswerten narrativen Kniffe in J. K. Rowlings "Harry Potter"-Spin-off ist ihre neue Hauptfigur selbst. Newt Scamander ist eine andere Art von Held, als wir sie aus Rowlings fantastischer Welt der Hexen und Zauberer vorher kannten. Newt ist kein Harry Potter, er hat nichts von dessen draufgängerischem, jugendlichem Furor. Auf den ersten Blick ist er - von Eddie Redmayne mit verhuschten Blicken gespielt, die stets von einer ins Gesicht fallenden Lockensträhne verdeckt werden - noch nicht einmal sonderlich charismatisch. Er ist ein Nerd, im ganz modernen Verständnis des Wortes. Jemand, den wir für seine Eigentümlichkeit lieben, den wir nicht nach seinem Auftreten und den faltig sitzenden Tweedwesten beurteilen sollen, sondern nach seinen Taten. Und in diesen Taten zeigen sich - wenn er etwa ein wütendes Ungeheuer mit einem Glöckchen zähmt wie eine gewöhnliche Hauskatze - viel Mut und Gelassenheit.

Im zweiten von fünf geplanten Teilen reist der scheue Held 1927 mit seinem Koffer voller sonderbarer Tierwesen ins mondäne, aber von Vorahnungen eines herannahenden Krieges verdüsterte Paris, um gegen den Zaubermeister Grindelwald zu kämpfen, der aus dem Gefängnis geflohen ist und von Johnny Depp etwas starr als bleichgesichtiger Bösewicht verkörpert wird. Wie schon im ersten Teil der "Phantastischen Tierwesen" springt ihm dabei ein farbenfrohes Personal aus Mitstreitern und witzigen Sidekicks zu Seite.

Jude Law spielt den jungen Albus Dumbledore in einem perfekten Gleichgewicht aus Witz und Wärme

Diesmal ist da sein Bruder Theseus (Callum Turner), Agent des Zauberministeriums und auf dem besten Weg, Newts Jugendliebe Leta Lestrange (Zoë Kravitz) zu heiraten. Wieder dabei sind Tina Goldstein (Katherine Waterston), die hübsche amerikanische Hexe, die für den Magischen Kongress als Ermittlerin arbeitet, sowie ihre Schwester Queenie (Alison Sudol), Inbegriff des Flapper Girls, die heimlich in dem nichtmagischen Jacob (Dan Fogler) verliebt ist. Und der junge, schnittige Albus Dumbledore, Newts ehemaliger Lehrer, wird von Jude Law in einem perfekten Gleichgewicht aus schlauem Witz und menschlicher Wärme gespielt.

Vor allem aber ist da Newts Wanderzirkus aus vielgestaltigen und liebenswerten Monstern, die für einen Hightech-Film wie diesen auf angenehme Weise beinahe organisch wirken: der raubkatzenartige Zouwu etwa, der mit seinem funkensprühenden Schwanz aus roten Stoffbahnen und Federn an einen chinesischen Neujahrsdrachen erinnert. Oder der putzige Niffler, der als Kreuzung aus Schnabeltier und diebischer Elster ähnliche Sympathien weckt wie die Porgs aus der neuen "Star Wars"-Trilogie und sogar entscheidend in die Handlung eingreifen wird.

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Die Coen-Brüder experimentieren ziemlich genial mit dem Western-Genre. Und "Fantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen" erzählt herrlich detailreich aus der Zauberwelt.

In solchen und anderen Einzelheiten zeigt sich J. K. Rowling wieder als außerordentliche Geschichtenerzählerin - als große Fabuliererin ihrer eigenen imaginären Welt, die in ihrer Greifbarkeit und geschmeidigen Geschlossenheit wie nur wenige in Richtung von J. R. R. Tolkiens Mittelerde weist. Und obwohl sie für "Phantastische Tierwesen" keine Buchreihe, sondern gleich die Drehbücher geschrieben hat, merkt man besonders dem zweiten Teil an, dass sie ihr so einfallsreich ausgestaltetes Fantasy-Reich immer noch mit literarischer Spannweite ausfächern will. Ihre Potter-Welt ist ein über und über vollgestelltes und minutiös ausgemaltes Universum voller Mythologien, shakespearischen Dramen, Bibel- und Jane-Austen-Versatzstücken und historischen Bezügen. Mit "Phantastische Tierwesen" weitet sie diese Welt noch aus: verteilt sie auf die Kontinente (der erste Teil spielt in New York), setzt sie in neue zeitliche Bezüge der Zwischenkriegszeit und erweitert sie vor allem um das Versprechen, die Welt der Magie nicht mehr nur durch die Augen von kindlichen Zauberschülern, sondern von Erwachsenen zu beleuchten.

Mitunter führt diese Erzählwut auf der Leinwand dazu, dass es sich so anfühlt, als hätte Rowling versucht, einen 800-Seiten-Roman auf 134 Minuten Laufzeit zu verdichten. Um zwischen all den herumwirbelnden Einzelteilen - den herrlich detailreichen Erzählbögen, den zahlreichen Subplots, Rückblenden und Mikro-Tragödien - den Überblick zu behalten, braucht man in manchen Momenten schon die ruhige Zuversicht Newt Scamanders. Trotzdem verlässt einen nie das Gefühl, das im Grunde auch einen Großteil der "Harry Potter"-Faszination ausmachte - dass diese Autorin eine fähige Expeditionsleiterin ist, die schon ganz genau weiß, was sie da tut. Rowling ist die Art von Erzählerin, die darauf vertraut, dass ihr Publikum ihr vertraut - und in jeden neuen Teil ihrer Welt folgt, noch bevor es seine Bedeutung versteht.

In Grindelwald ist der aufkeimende Nationalsozialismus zu erkennen

Regisseur David Yates, der schon den ersten Teil der "Tierwesen" und die letzten vier "Harry Potter"-Filme verantwortete, hat die hektische Bewegungsenergie von Rowlings Geschichte in sehr schöne, stimmungsreiche Bilder übersetzt. Die Spezialeffekte und digitalen Zauberflammen sind so prächtig wie die Kostüme und dunstigen Stadtkulissen. Oft stehen die Figuren auf den Dächern von Paris mit seinen Postkartenpanoramen oder liefern sich zwischen den opulenten Grabmalen des berühmten Père Lachaise eine finale Zauberschlacht. Ganz bewusst setzt sich diese Welt der graubraunen Kopfsteinpflaster und in dunklen Nebel gehüllten Großstadtsilhouetten von der Potter-Welt ab. Besonders klar wird das, als der Film für kurze Zeit in die sattgrüne und archaische Landschaft zurückkehrt, die Dumbledore und seine Schüler in Hogwarts umgibt.

Dass in "Phantastische Tierwesen" dagegen sogar das blühende Paris der Zwanzigerjahre finster aussieht, hat mit der neuen Erwachsenenperspektive zu tun. Viel klarer als in dem leisen politischen Erwachen der "Harry Potter"-Reihe arbeitet sich J. K. Rowling hier an Themen wie Totalitarismus, Rassismus und Hetzreden ab. Ihr Grindelwald ist ein Demagoge, in dem man sowohl ein Phantom des aufkeimenden Nationalsozialismus als auch einen weißblonden, magischen Donald Trump erkennen kann. In einer beängstigenden Kundgebung beschreibt er seine Vision von einer Welt, in der Zauberer die Menschen unterwerfen und gemischte Ehen verboten sind. Es ist - wenn auch kein neuer - vielleicht Rowlings schönster Trick: Denn hier ist gar keine Magie mehr am Werk, sondern die Rhetorik von Hass und gesellschaftlicher Spaltung.

Fantastic Beasts: The Crimes of Grindelwald , GB/USA 2018 - Regie: David Yates. Buch: J. K. Rowling. Kamera: Philippe Rousselot. Schnitt: Mark Day. Mit: Eddie Redmayne, Katherine Waterston, Alison Sudol, Zoë Kravitz, Jude Law, Johnny Depp. Warner Bros., 134 Minuten.

© SZ vom 16.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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