Peter-Weiss-Jahr:Ästhetiker des Widerstands

Eine lange Nacht über Peter Weiss in der Berliner Akademie der Künste befragt die Aktualität des Schriftstellers, dessen Geburtstag sich im November zum 100. Mal jährt.

Von Helmut Böttiger

Inmitten von flammendem Rot, mit melancholisch durchdringendem Blick ist jetzt in der Berliner Akademie der Künste zum ersten Mal ein frühes Selbstporträt von Peter Weiss zu sehen, auf dem er sich in spätexpressionistischer Manier als Maler darstellt, vieldeutig, aber kraftvoll. Das wirkt wie ein Auftrag. Es fällt schwer, diesen Künstler mit einem Wort zu charakterisieren, er verfügt über eine ganze Palette vom düster Verhangenen über das Analytische bis hin zu etwas Loderndem und Vorpreschendem. Aus Anlass seines 100. Geburtstags am 8. November hat die Akademie in ihrem schönen alten Gebäude am Hanseatenweg nun am Vorabend des 1. Mai eine "Lange Nacht" veranstaltet, in der einige Facetten von Peter Weiss aufblitzen sollten.

Ganz im Sinne des vielseitigen Protagonisten gab es eine Vitrinenausstellung, eine Hörstation, mehrere Filme und Theatermitschnitte sowie Lesungen und Podiumsdiskussionen. Das Aufblitzen, das Anreißen aber ist natürlich das Gegenprinzip zur monumentalen, episch ausschweifenden "Ästhetik des Widerstands", dem Hauptwerk des 1982 gestorbenen Schriftstellers. Wenn man derlei Widersprüche ernst nimmt, wird es spannend, und die lange Nacht zum Tag.

Für Volker Braun macht Weiss "die fehlende Angst vor der Abweichung" zu einem Vorbild

Im Gespräch mit Gunilla Palmstierna-Weiss schien so etwas auf. Die 88-jährige Witwe des Autors hat unter anderem als Keramikerin, als Ausstatterin in Filmen Ingmar Bergmans und in Inszenierungen von Peter Brook gearbeitet. In den frühen Experimentalfilmen von Peter Weiss agierte sie auch als Schauspielerin, manchmal unvorhergesehen: weil zum Beispiel die eigentlich engagierte Akteurin es ablehnte, in einer prekären Szene auf dem Dach eines Neubaus zu tanzen. Sie und ihr Mann fuhren in den Fünfzigerjahren oft nach Paris, um sich über den zeitgenössischen Film zu informieren, die größte Inspiration dabei sei Luis Buñuel gewesen - der Surrealismus war eine Befreiung. Auf den frühen Gemälden von Peter Weiss gibt es noch viele, ziellos anmutende Suchbewegungen. Der Schritt zum Film, so Palmstierna-Weiss, sei wie die Erkenntnis gewesen, dass sich "etwas bewegen" müsse. Ein Ausschnitt aus dem Spielfilm "Hägringen" von 1959 zeigte die Richtung: eine raffiniert montierte Geschichte über die Kahlschlagsanierung der Stockholmer Altstadt, in der die Baustellen wie Kriegsschauplätze inszeniert werden.

Peter-Weiss-Jahr: "Die Ermittlung": Szenische Lesung der Deutschen Akademie der Künste am 19. Oktober 1965 in der Volkskammer der DDR.

"Die Ermittlung": Szenische Lesung der Deutschen Akademie der Künste am 19. Oktober 1965 in der Volkskammer der DDR.

(Foto: Christian Kraushaar, Akademie der Künste)

1960 erst erschien in Deutschland der bereits 1952 geschriebene Mikroroman "Der Schatten des Körpers des Kutschers", und damit begann der Aufstieg zum renommierten Autor, mit dem nach den erfolglosen Filmen ("Die haben sehr wenig gekostet, das Filmmaterial wurde zusammengeklaut") nicht mehr zu rechnen war. Innerhalb weniger Jahre radikalisierte sich Peter Weiss, und hier stellen sich einige Fragen. Die sprunghafte Entwicklung von der avantgardistischen Formsprache und der psychologischen Introspektion hin zu politischen Entlarvungs- und Diskussionsstücken kam an diesem Abend allerdings kaum zur Sprache. Dabei wäre genau dies die Basis, die "Ästhetik des Widerstands" von innen heraus zu begreifen.

Auf einem Podium über den Theaterautor Weiss setzte man gleich bei der "Ermittlung" von 1965 an, dem unter dem Eindruck des Frankfurter Auschwitz-Prozesses geschriebenen "Oratorium in 33 Gesängen" (wie bei Dante). Schon die Gattungsbezeichnung weist darauf hin, dass es sich keineswegs um bloßes Dokumentartheater handelt, wie anfangs behauptet wurde. Karlheinz Braun, Weiss' langjähriger Lektor, hob das Artifizielle dieser Protokollsprache hervor, ihre spezielle Rhythmik. Auch Kathrin Röggla definierte den Begriff des "Dokumentartheaters" offener; sie interessiere die "ästhetische Konstellation", die Intensivierung und Verdichtung. Und der Autor Hans-Werner Kroesinger wandte sich gegen das Missverständnis, den Begriff "dokumentarisch" mit "objektiv" gleichzusetzen. Hier gäbe es einiges zu vertiefen, hier werden die Probleme wieder interessant, die Weiss bei seinen Vorstellungen eines postdramatischen Theaters hatte und die er nie ganz löste.

Auf dem letzten Podium über die "Ästhetik des Widerstands", den Roman über den kommunistischen Kampf gegen den Nationalsozialismus, fielen große Worte: Volker Braun bezeichnete Peter Weiss als "die Vaterfigur meiner Generation". Ulrich Peltzer sprach von einem "der grandiosesten Prosastücke, die nach dem Zweiten Weltkrieg in deutscher Sprache geschrieben worden sind". Und für Ingo Schulze ist "nicht das Buch historisch geworden", eher unterlägen wir in unserer Art zu lesen dieser Gefahr. Für alle drei Autoren ist die Frage, wie die Kunst das Widerständige sein könne, von hoher Aktualität. Sie nahmen in ihren Überlegungen den Titel ernst und ließen sich nicht auf eine unpolitische Verharmlosung des Kunstbegriffs ein.

Peter-Weiss-Jahr: Wie ein bebender Stein: Der Schriftsteller Peter Weiss im Juli 1977 bei einem Besuch in München.

Wie ein bebender Stein: Der Schriftsteller Peter Weiss im Juli 1977 bei einem Besuch in München.

(Foto: Isolde Ohlbaum)

Ingo Schulze sagte, Widerstand fange mit Wahrnehmung an, mit der Art der Weltaneignung, und die Beschreibung des Pergamonfrieses sei hierfür exemplarisch: Bei Weiss beginne "der Stein zu beben", und er hole "das Leben wieder heraus, das in ihn eingegangen ist". Für Volker Braun ist Peter Weiss der Autor, der immer wieder den "Widerspruch von Disziplin und eigenem Denken" thematisiere, und deshalb sei er eine Referenzgröße. Er hob Weiss' "fehlende Angst vor der Abweichung" hervor: "In der Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst gibt es nichts Vergleichbares!" Wie bei Georg Büchner gehe es um den Blick auf das Kreatürliche, um "die Rückhaltlosigkeit, sich dem auszusetzen".

Die Veranstaltung war als "Auftakt zum Peter-Weiss-Jahr" konzipiert, und es lohnt sich, diesen Autor auf heutige Debatten zu beziehen. "Ästhetische Fragen sind immer politische Fragen" - in dieser These steckt Sprengstoff, vor allem, wenn man literarisches Schreiben als eine Form von Dienstleistung begreift. Ulrich Peltzer deutete an, wie in der "Ästhetik des Widerstands" Widersprüche auftauchen, die auf die Gegenwart verweisen. Er sprach von einem "Denkmal", einem Epos, das gegen alles Brüchige geformt sei: "Doch an der Sprache merkt man, wie der Marmorklotz von innen her aufgesprengt wird." Peltzer interessieren vor allem die "Risse", die dabei entstehen. Ingo Schulze setzte dagegen, dass Weiss genau "diese Form" brauche, "um die Form aufzureißen", er habe "alles drin, auch das Verstummen". Darüber sollte man weiter sprechen in diesem Jahr.

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