Am liebsten ist er mir, wenn er sich auf die Ursprünge seiner Kunst besinnt, wenn er ganz naiv und bänkelsängerisch wird, die Lippen schürzt und sich noch einmal kurz konzentriert, und wenn er dann, ein einfaches Zupfinstrument in der Hand, schlichte, ein wenig hölzerne Verse zum besten gibt: "Wer Lola besaß, der war von ihr besessen ... und wer sich vergaß ..."
In "Lola Montez" war das, 1955 gedreht in Geiselgasteig, dem Film-Vermächtnis von Max Ophüls, der in seiner Vitalität, seiner Lust am Spiel und am Dasein, seiner charmanten Weltläufigkeit und seiner Weigerung, sich national festlegen zu lassen, sehr viel gemeinsam hatte mit Peter Ustinov.
Peter Ustinov spielt den master of ceremonies in diesem Film, den Manegenmeister, den Zampano, der die große Schau arrangiert: das Leben der Lola Montez in einer bizarren Zirkusvorstellung, die Weltkarriere einer liebenden Frau, inszeniert als Mega-Event.
Amerikanische Showdimensionen, inspiriert von europäischer Sehnsucht - irgendwie hat das auch das Leben, die Auftritte des Peter Ustinov geprägt. Man könnte durchaus auf den Gedanken kommen, dass er sich Friedrich den Weisen ganz bewusst als seine letzte große Kinorolle geschnappt hat, im "Luther"-Film: als energischer Kurfürst mit ganz eigenem Profil, als unerschrockener württembergischer Welt-Politiker, der den jungen Luther protegiert und sich dafür im Gegenzug gierig die brandheiße Bibel-Übersetzung aushändigen lässt.
"Wahrscheinlich", erklärte er zum Filmstart, "wusste er gar nicht, wie wichtig Luther war. Aber er mochte die George-Bush-Methoden nicht, die der Vatikan benutzte, um sich seiner Feinde zu entledigen."
Zum heutigen Papst hat Peter Ustinov ein sehr viel besseres Verhältnis, die Aversion den Politikern in Washington gegenüber ist geblieben - da ist der UN-Mann Ustinov natürlich ein wenig parteiisch: "Ich bin nicht antiamerikanisch. Aber ich bin ganz und gar gegen dieses Regime. Das sind Verräter der amerikanischen Ideale. Und mich schockiert, dass die Amerikaner das nicht bemerken."
Ein eindeutiges Statement, klare Worte - wie sie gar nicht so selten sind in dem charmanten Geplauder, mit denen er bei seinen Auftritten in Soloprogrammen, Politveranstaltungen oder Interviews sein Publikum überzieht.
Als großer Kommunikator wird er wohl in Erinnerung bleiben, einer, der viele Menschen und Rollen und Kulturen zusammenbringen wollte. Viele Jahre unermüdlich unterwegs für die Unicef, immer in direktem Kontakt mit den Mächtigen der Welt, denen er ins Gewissen redete, sarkastisch und sentimental, ein Jet-setter in Sachen Völkerverständigung. "Ich kann in den meisten Sprachen Dankeschön sagen und Herrenklo ..."
Gezeugt in St. Petersburg, geboren in England, getauft in Schwäbisch Gmünd, auf diese Formel hat er gern seinen Ursprung gebracht. Die Formel hilft nicht viel, wenn man nicht sofort auch die Geschichten bekommt, die er dazu parat hat, und möglichst im Ustinov-Sound erzählt.
Viel russisches Blut war in seinen Adern, mit entsprechenden französischen, italienischen, äthiopischen Beigaben. "Ich fühle mich nirgends wirklich daheim - aber mehr daheim an mehr Plätzen als die anderen."
Im Lauf seines Lebens konzentrierten sich die Dissonanzen in seinem ganz persönlichen Völkergemisch auf eine britisch-germanische Konfrontation - obwohl er in England aufgewachsen ist und für England im Krieg diente und in dem Film "beau Brummel" einen ausgesprochen liebenswürdigen, total durchdandysierten Prince of Wales gegeben hatte, wurde er auf der Insel eher als Ausländer geführt: "Auch wenn er ziemlich viel Witze über die Deutschen macht, ist er selbst mehr deutsch als englisch", hieß es zu seinem achtzigsten Geburtstag in der Financial Times.
Bei Ustinov klingt es ein wenig geschichtsgesättigter: "Ich erwähne ab und zu, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem britischen Militarismus und dem deutschen Militarismus - nämlich dass der deutsche Militarismus immer zum Krieg führt und der britische Militarismus immer zu Paraden. Und die Briten ärgern sich fürchterlich über die Deutschen, wenn der Krieg ausbricht, während sie ihre Paraden abhalten."
Natürlich hat er das Britische in sich nie verleugnen können, er verdankte ihm ja jene Exzentrizität, für die er auf der ganzen Welt geliebt wurde.
Exzentrisch war er auf eine sehr dezente, sanfte Art. Sein Outfit war stets ungewöhnlich - und sei es nur durch das intensive Rot/Orange seiner Socken oder das gestreifte Hemd. Eine merkwürdige Mischung aus Eleganz und Bodenständigkeit, Distinguiertheit und Draufgängertum, aus britischem Vorort-Varieté und Fellini.
Mit dem hat er nie zusammengearbeitet - die Beziehung zu Rom und Cinecittá kam über den Hollywood-Monumentalfilm, als er den Nero spielte in "Quo Vadis?" und den Sklavenhändler in "Spartacus", für den er einen ersten Oscar erhielt.
Als Nero hat er Geschichte gemacht, richtige Geschichte - wer könnte sich dieses verzogene Kindmonster noch anders vorstellen als mit den Zügen von Ustinov.
Der unermüdliche Zupfgeigenhansl Nero, der schauderhafte Dilettant, das ist natürlich das negative Gegenstück zum Alleskünstler Ustinov. Der sich als Stückeschreiber und Romancier betätigte, fürs Theater inszenierte und auf den Opernbühnen der Welt, der Bilder malte und Bühnendekorationen fabrizierte, in Hollywood spielte und Regie führte, der mehr als ein Dutzend Ehrendoktorwürden einsammelte in der ganzen Welt.
Und dem es durchaus gefiel, als die Queen ihn 1990 zum Ritter schlug, so wie er gern all die anderen zahlreichen Ehrungen akzeptierte - zuletzt immerhin, Anfang dieses Jahres, den Bayerischen Filmpreis.
Selbstinszenierung war ihm wichtig, schon deshalb, weil sie immer wieder die Distanz zu sich selbst ermöglicht: "Sir Peter gefällt mir, es ist intim und entspannt und irgendwie leicht shakespeareanisch. Ich messe ihm nicht sehr große Bedeutung bei, aber ich erfreue mich daran. Rarer ist natürlich die Mitgliedschaft in der französischen Academie des Beaux Arts - da gibt es nur 15 Ausländer insgesamt ..."
1989 wurde er in diese Akademie aufgenommen, auf dem Stuhl von Orson Welles, da musste er, apropos Selbstinszenierung, sich eine entsprechend edle Jacke leisten für 7000 Dollar - Entwurf Pierre Cardin.
Den Akademiker hat er natürlich immer ausbalanciert durch den Proleten - man darf angesichts seiner Präsenz als Hercule Poirot in den Agatha-Christie-Verfilmungen seinen Auftritt als Arthur Abdel Simpson nicht vergessen, in "Topkapi", der Verfilmung des Eric-Ambler-Romans "The Light of Day".
Arthur, für den Ustinov seinen zweiten Oscar gekriegt hat, ist der wahre Held des zwanzigsten Jahrhunderts, ein Opfer der Frühphase der Globalisierung, die sich vor allem in bürokratischen Schikanen und irren kriminellen Meisterstücken niederschlägt - wie in jenem Einbruch in den Topkapi-Palast in Istanbul, zu dem Arthur, der Schwindler, dem vor lauter Höhenangst schnell schwindlig wird, nolens volens verpflichtet wird.
Die joviale Süffisanz, mit der Peter Ustinov den Lauf der Geschichte seines Jahrhunderts kommentierte, kann die Trauer und Besorgnis nicht übertönen, die es ihm bereitet hat. 1962 hat er "Billy Budd" gedreht, nach einer Geschichte von Herman Melville, und eine Rolle darin übernommen, die für ihn maßgeschneidert war, den Kapitän Edwin Fairfax Vere. Es geht um Schikane und Meuterei und Bestrafung in diesem Film, um den Aufstand gegen die selbst erlebte Ungerechtigkeit, der nötig ist, damit etwas wie eine Vorstellung von Demokratie entstehen kann.
Der Kapitän Vere ist ein Mann, der oft im Hintergrund bleibt - man hätte ihn für einen Privatmann halten können, einen Gast des Königs - unaufdringlich, mit einer Bescheidenheit, die seine energische Natur dennoch nicht verleugnete, die einen wahrhaft aristokratischen Geist suggeriert.
In der Nacht zum Montag ist Peter Ustinov im Alter von 82 Jahren in Genf gestorben.