Peter Maffay im Interview:"Kleine müssen sich mehr anstrengen"

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Peter Maffay spricht über das Schicksal kleiner Männer, seine Heimat im Osten - und seine roten Schuhe mit hohen Absätzen.

Willi Winkler

Unterm Vordach steht ein Tabaluga-Traktor, aber sonst gibt es von außen keinerlei Hinweis darauf, dass hier in Tutzing auf einer Anhöhe am Starnberger See einer der erfolgreichsten deutschen Künstler wohnt. Peter Maffay sitzt im Keller auf einem Sofa, er spricht das kehlige Deutsch der Siebenbürger - und er ist unendlich geduldig. Als das Tonband nicht funktioniert, holt er sofort ein Ersatzgerät.

Für einen Unterhaltungskünstler war es in den Achtzigern eher ungewöhnlich, dass er sich gegen die Nachrüstung engagiert und eine Tournee durch die DDR unternimmt. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Maffay, das ist zwar der denkbar schlechteste Einstieg, aber ich muss es doch sagen.

Peter Maffay: Was müssen Sie sagen?

SZ: 1982, Olympiastadion, München: Ich war einer von denen, die Sie mit Cola-Dosen beworfen haben.

Maffay: Es ist viel Zeit vergangen, 25 Jahre, mehr sogar, ich weiß es gar nicht mehr so genau.

SZ: Ich weiß noch genau, wie heiß es war, und wie wir uns alle ärgerten, weil Sie so lange spielten, wo wir doch auf die Rolling Stones warteten.

Maffay: Dass jemand seinen Unmut mit einer vollen Cola-Dose...

SZ: Meine war leer.

Maffay: ...oder einer leeren Cola-Dose äußert, kann ich schon allein deswegen nicht gut finden, weil das im wahrsten Sinn des Wortes ins Auge gehen kann. Ich kann verstehen, dass jemand sagt: Das gefällt mir nicht, ich will das nicht, aber das gibt ihm nicht das Recht, mit Büchsen auf einen Menschen zu werfen.

SZ: Sie stehen inzwischen seit vierzig Jahren auf der Bühne. Am Anfang haben Sie unglaubliche Klamotten getragen, zum Beispiel diese feuerroten Schuhe.

Maffay: Fahren Sie in München mal zum Olympiaturm, fahren Sie hinauf ins Rockmuseum und dann sehen Sie, was Sweet und Kiss und diese Gruppen für Schuhwerk getragen haben. Da waren meine nichts dagegen.

SZ: Die Ihren sahen aber schon komisch aus.

Maffay: Das war die Mode in den Siebzigern. So sahen alle aus, die auf der Bühne standen, und nicht nur in Deutschland. Die roten Schuhe habe ich übrigens in London gekauft.

SZ: Es gibt Bilder von Ihnen, auf denen Sie sehr hohe Absätze tragen.

Maffay: Das waren die Schuhe damals, rot oder sonst irgendwie bunt. Aber schauen Sie her: keine Absätze. Das interessiert mich nicht mehr. Neulich bin ich auf der Straße von einer jungen Dame angesprochen worden. Sie sagte: "Sie sind ja viel größer, als ich dachte. Ich habe eine Freundin, die sagte, sie sei größer als Sie, aber das stimmt ja nicht."

SZ: Also egal?

Maffay: Nein, nicht egal. Die Kleinen müssen sich mehr anstrengen.

SZ: Sie werden vermutlich ständig erkannt auf der Straße. Gab es Situationen, in denen Sie Angst hatten?

Maffay: Natürlich.

SZ: Und wie übersteht man das?

Maffay: Da muss man sich etwas zurechtlegen.

SZ: Was zum Beispiel? Mentales Training?

Maffay: Das ist das Beste.

SZ: Aber gegen ein offenes Messer ist mit dem Kopf schwer etwas auszurichten.

Maffay: Wenn ich es vorhersehen kann, dass es solche Situationen gibt, stelle ich mich darauf ein.

SZ: Und wie?

Maffay: Man muss ein paar Attitüden entwickeln.

SZ: Für einen Unterhaltungskünstler war es in den Achtzigern eher ungewöhnlich, dass er sich gegen die Nachrüstung engagiert und eine Tournee durch die DDR unternimmt.

Maffay: Es ist richtig, ich bin sehr spät eingestiegen. Ich brauchte eine Zeit, um mich politisch zu bilden, um eine eigene, eine alternative Meinung zu entwickeln. Das waren ganz winzige Schritte, bis ich mir ein gewisses Wissen angeeignet hatte.

SZ: War das bei Ihnen nicht auch so wie bei John Lennon, dass Ihnen eine Frau dabei helfen musste?

Maffay: Zweifelsohne hatte das mit Chris zu tun, meiner zweiten Frau. Durch sie bin ich in Frankfurt in ganz andere Kreise und andere Gespräche gekommen. Im Lauf der Jahre entsteht durch viele Meinungen, Begegnungen, Herausforderungen ein komplexeres Weltbild.

SZ: Trotzdem ist Politik ziemlich ungewöhnlich für einen Sänger.

Maffay: Es war eher umgekehrt, dass ich von diesen Dingen erst zu sprechen angefangen habe, als durch eine gewisse Popularität eine Positionierung in dieser Art möglich war.

SZ: Das politische Engagement.

Maffay: Das war für mich dann durch meine Rolle mehr oder weniger zwingend.

SZ: Trotzdem tun das nicht alle, die Erfolg haben.

Maffay: Mag sein, dass für viele die Angst, sich zu sehr zu exponieren, größer ist. Und weil die Gefahr, sich damit zu weit vorzuwagen, viel zu groß ist, hält man sich von allen politischen Äußerungen lieber fern. Aber das kann nicht die Begründung für das eigene Schweigen sein.

SZ: Und dafür mussten Sie erst mehr wissen?

Maffay: Ich will nicht behaupten, dass ich jetzt so sehr viel mehr weiß als mit fünfundzwanzig oder dreißig. Vielleicht hat es mit meiner Herkunft zu tun: ein Deutscher aus dem Osten.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Peter Maffay die ersten Jahre seines Lebens im Osten erlebt hat.

SZ: Die Heimatvertriebenen und erst recht diejenigen, die wie Sie aus dem Einflussbereich der Sowjetunion geflohen sind, neigen ja sonst nicht gerade zur SPD oder gar zur Kritik an der Nachrüstung der Nato.

Maffay: Der Krieg war kein Konflikt, sondern tägliche Bedrohung für die Menschen im Osten, und gerade für jemanden wie mich, der von da drüben, aus Rumänien, kam. Die Leute dort - nicht bloß in Rumänien und Ungarn, sondern auch in der damaligen DDR - haben die Auswirkungen des Krieges viel länger zu spüren bekommen, während wir hier an die Spitze der Weltwirtschaft katapultiert wurden. Dazu kam die politische Repression. Ich habe sie die ersten zehn, zwölf Jahre meines Lebens erlebt, und ich habe es nicht vergessen.

SZ: In Waldkraiburg, wo Sie nach der Ausreise aufgewachsen sind, wird es nicht viele Anhänger der Aussöhnungspolitik gegeben haben.

Maffay: Waldkraiburg ist eine Stadt mit sehr hohem Migrantenanteil, oder war es jedenfalls.

SZ: Das waren seinerzeit die Aussiedler aus dem Osten. Dort wäre eine politische Neigung wie die Ihre doch gar nicht möglich gewesen. Das hätte niemand verstanden.

Maffay: Einige von denen schon. Es war natürlich schwierig. Der Revanchismus, wie geht man damit um?

SZ: Willy Brandt wurde wegen seiner Ostpolitik als Verzichtspolitiker beschimpft. Für die Heimatvertriebenen war es die verlorene Heimat.

Maffay: Für sie ging es um diesen Verlust. Viele wollten gar nicht weg, auch nicht aus dem Securitate-Staat Rumänien, aber sie mussten doch. Viele haben dort lieber auf alles verzichtet, um überhaupt rauszukommen.

SZ: Herta Müller, heißt es, kostete 5000 Mark, die die Bundesrepublik zahlen musste. Wie viel war das bei Ihnen?

Maffay: 17 000 Dollar. Meine Eltern hatten nicht so viel. Das hat meine Oma in New Jersey aufgebracht.

SZ: Ceausescu hat mit diesem Geld seinen Palast gebaut.

Maffay: Bei mir noch nicht, das war später, aber er hat es wahrscheinlich gut gebrauchen können.

SZ: Vor dem Nobelpreis für Herta Müller hat offenbar keiner gewusst, wie schlimm es in Rumänien zuging.

Maffay: Ich fand das so toll, dass sie den Preis bekommen hat. Das war so ein Augenblick, in dem diese Landschaft, der Banat und Siebenbürgen, wahrscheinlich zum ersten Mal richtig wahrgenommen wurde. Diese Leute sind doch eingekastelt worden, das hat niemand mehr zur Kenntnis genommen.

SZ: Da wir schon bei der Politik sind: Hat Ihnen Oskar Lafontaine eigentlich irgendwann einen Aufnahmeantrag für die Linke geschickt?

Maffay: Nein.

SZ: Nein?

Maffay: Er würde so etwas auch nie tun.

SZ: Aber Sie sind doch befreundet?

Maffay: Wir gehen uns bestimmt nicht aus dem Weg. Wir sehen uns zwar nicht so häufig, aber ich habe ihn vor einiger Zeit besucht, und das war für mich sehr spannend. Ich vergesse nicht, dass ich ihm die Konzerte verdanke, die ich 1986 in der DDR spielen konnte. Lafontaine wird einiges vorgehalten, aber ich bin einfach nicht bereit, das nachzuvollziehen.

SZ: Sie können ihn verstehen?

Maffay: Er betreibt Politik mit Leidenschaft, und ich kaufe ihm ab, dass er seine Politik ernst meint. Lafontaine ist ein sehr leidenschaftlicher Denker.

SZ: Deshalb ist er vielen so verhasst.

Maffay: Er ist oft heruntergemacht und ganz falsch dargestellt worden. Ich kann ihm das abkaufen, was er vertritt, und ich glaube, dass er tut, was er tut, um den Menschen zu dienen.

SZ: Sie sind ein Idealist.

Maffay: Das weiß ich nicht, aber mir ist Lafontaines Haltung weit lieber als die vieler andrer. Vor allem, weil er sie hat: diese Haltung. Als bekannt wurde, dass er Krebs hat, habe ich ihm einen Brief geschrieben, und er hat auch geantwortet.

Lesen Sie mehr über Peter Maffay, seine Frauen und die Bühne in der SZ am Wochenende (30./31.01.2010).

Peter Maffay, 60, im siebenbürgischen Brasov geboren, kam 1963 aus Rumänien in die Bundesrepublik. Dort gehörte er zunächst zur Schlagergeneration von Chris Roberts und Roy Black, konnte sich aber bald vom Bild des elegischen Schnulzen-jünglings befreien. In den achtziger Jahren sang er "Eiszeit", das Lied der Friedensbewegung. 1986 unternahm er eine große Tournee durch die DDR. Er hat sich politisch und noch mehr für humanitäre Projekte engagiert. Für Kinder entwickelte er die Geschichte vom Drachen Tabaluga, er ist als Schauspieler aufgetreten und spielte zuletzt für die Isaf-Truppen in Afghanistan. Für die neue CD "Tattoos" hat er seine größten Erfolge mit großem Orchester neu eingespielt. Im November geht er zusammen mit seiner Band und dem "Volkswagen Philharmonic Orchestra" auf Deutschland-Tournee. Peter Maffay ist verheiratet und hat einen Sohn.

© SZ vom 30.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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