Premierenkritik:Die Römer sind schuld. An allem

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Opern-Regisseur Peter Konwitschny hat in Dresden Vincenzo Bellinis "Norma" erarbeitet. (Foto: Bernd Weissbrod/picture alliance)

Peter Konwitschny inszeniert Vincenzo Bellinis "Norma" an der Dresdner Semperoper. Und sucht einen marxistisch-feministischen Zugang.

Von Helmut Mauró

Wenn es um Römer und Gallier geht, denken viele nicht an Vincenzo Bellinis Oper "Norma", sondern an kleinwüchsige und dicklebige Comic-Figuren mit blonden Zöpfen. So erging es offenbar auch dem Regisseur der Dresdner Neuproduktion, Peter Konwitschny, weshalb er im Schlussakt die Gallier einerseits in DDR-grauen Anzügen, andererseits mit rotblonden Zopfperücken wilde Chöre schmettern lässt. Denn sie sind wütend. Ihre Oberpriesterin Norma (mit kleinen Höhepunkten tapfer durchgestanden von Yolanda Auyanet) hat sie verraten, hat mit dem römischen Befehlshaber Pollione nicht nur paktiert, sondern auch mit ihm eine wilde Ehe geführt, der zwei Kinder entsprangen. "Kleine Kinder", wie Konwitschny im Programmheft entschuldigend betont, die er für den zweiten Akt unsichtbar in einem bequem gefederten Kinderwagen unterbringt.

Nachdem Adalgisa, Novizin dieses zölibatären Priesterinnen-Ordens, ihr gebeichtet hatte, ebenfalls ein Verhältnis mit Pollione zu unterhalten, bricht für Norma eine Welt zusammen. Ihre Welt, um genau zu sein, denn das Volk der Gallier will nur Krieg führen gegen die Römer. Sie sind wütend auf ihre Oberpriesterin, weil sie ihnen eine falsche Götterbotschaft überbracht hatte, nämlich den Frieden zu bewahren, statt auf die Römer loszuschlagen. Sie würden an ihrem eigenen Hochmut zugrunde gehen, weissagt sie, aber damit können die Asterixe und Obelixe nichts anfangen. Bellini hat diese Schlussszenerien mit wuchtigem Orchesterklang theatralisiert, und Dirigent Gaetano d'Espinosa feuert die Staatskapelle Dresden im Orchestergraben der Semperoper zu Höchstleistung an. Norma geht auf den Scheiterhaufen, der nun doch wieder in sie verliebte Pollione folgt ihr in den Tod.

Die Gallier hier sind Wilde, die keine besonderen Ansprüche ans Leben stellen, aber ihren Wildschweinbraten nicht mit Römern teilen wollen

Konwitschny findet das ungerecht. Denn der Zölibat sei eine menschliche Grausamkeit, völlig inakzeptabel. Aber warum? Die Abstinenz betrifft ja nur die Gründung einer familiären Institution, nicht das Ausleben des Sexualtriebes. Dieses Totalverbot kommt ja erst durch die in der bürgerlichen Moral unauflösliche Verknüpfung von beidem zustande. Konwitschny sagt dagegen, die "männliche Seinsweise" habe hier gesiegt, Norma habe nicht mehr "die Kraft, die sie braucht, um ihre politische Funktion auszuüben", "nachdem ihr der Lebensnerv durchgeschnitten wurde, die Liebe". Denn sie war ja machtlos gegen ihre Gefühle, es war Liebe auf den ersten Blick. Wie bei Adalgisa (Stepanka Pucalkova). Und so wird aus der existenziellen Tragik, Gefühle und politisches Amt nicht vereinbaren zu können, in Dresden eine Anklage gegen den römischen Feldherrn, der den Frauen ihr Begehren nicht abschlägt. Nein, das ist auch nicht genug, Konwitschny macht aus dem attraktiven Oberkrieger einen miesen Macho, der an den Frauen herumzerrt und sie zu Boden schleudert, sodass endlich klar wird: Dieser Mann hat Schuld. An allem.

Der ukrainische Tenor Dmytro Popov gibt sich stimmlich und darstellerisch alle Mühe und gibt den aufbrausenden Schurken, der schließlich kleinlaut kapituliert. Ein erbärmliches Ende, das ein bisschen im Widerspruch steht zur gewaltigen Musik. Im Graben toben nämlich noch immer die Schlachten zerrissener Seelen, laut und heftig, wie das die italienische Oper braucht. "Norma" ist schließlich kein deutsches Singspiel der Innerlichkeit, sondern pralles Musiktheater.

Auch wenn die romantisch eingetrübten Waldszenen des ersten Aktes zunächst anderes vermuten lassen als ein Ende im Bürostuhl. Zwischen riesigen Bäumen aus Pappmaché und einer sanften Streicherbrise, durchsetzt mit Hornklängen, wandelt die Priesterin, spricht mit unsichtbaren Göttern und predigt den aufgebrachten Galliern. Das sind Wilde, die keine besonderen Ansprüche ans Leben stellen, aber ihren Wildschweinbraten nicht mit Römern teilen wollen. Das ist natürlich ein bisschen dürftig für eine marxistisch-feministische Grundthese, weshalb der Regisseur ein bisschen nachhelfen muss und es so anlegt: Norma verrät nicht ihre Leute, sondern eine Ideologie, die menschenverachtend ist. Wegen des Zölibats und der Ausgrenzung, der die Verräterin wegen des Vertrauensbruchs ausgesetzt ist. Konwitschny aber sagt: "Norma wird für ihr Verhalten bestraft als ein Beispiel für Ungehorsam und den Anspruch auf Autonomie." Dafür aber wiederum geriet ihm die praktische Umsetzung auf der Bühne viel zu brav, mithin banal.

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