Peter Hartz sieht sich als Opfer:Es war Rufmord

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Von Macht und Ohnmacht: Der ehemalige VW-Manager Peter Hartz hat ein Buch schreiben lassen, in dem er sich als Rufmordopfer der Medien darstellt. Bei seinen Skandalen weicht er aus.

Michael Jürgs

An einem graugesichtigen Märztag drohte das Projekt im Frankfurter Flughafen in die Luft zu fliegen. In einem Konferenzraum saßen der ehemalige VW-Vorstand Peter Hartz, sein Anwalt Egon Müller, dazu ein Mensch, der angab, Medienberater zu sein, sowie die Autorin Inge Kloepfer und Hoffmann-und-Campe-Verleger Günter Berg.

Peter Hartz: Medienopfer? (Foto: Foto: ddp)

Die Stimmung hätte kaum schlechter sein können. Das Projekt war ein Buch, dessen Cover bereits gedruckt war (Peter Hartz: Macht und Ohnmacht. Ein Gespräch mit Inge Kloepfer), und wie so oft in den vergangenen Wochen und Monaten stritt man wieder mal um Texte, weil Hartz erst beim Nachlesen seiner vom Band abgetippten eigenen Aussagen davon überzeugt war oder überzeugt wurde, er hätte das alles nicht sagen dürfen.

Das Ultimatum

Beim Treffen in Frankfurt ging es ums letzte Kapitel, in dem die Verurteilung von Hartz zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung und einer Geldstrafe von 576000 Euro das beherrschende Thema waren. Hartz-Verteidiger Müller hatte mit der Staatsanwaltschaft den Deal ausgehandelt, nicht um seinem Mandanten ein Rendezvous mit diesmal nur zur Aussage willigen Prostituierten, sondern um ihm eine Haftstrafe zu ersparen.

Verurteilt wurde Hartz dann wegen eigenmächtig veranlasster Sonderzahlungen an den einst ebenfalls mächtigen Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert, dem er insgesamt knapp zwei Millionen Euro außerhalb seines eh schon hohen Gehalts zuschob, zudem Vergünstigungen wie Honorierung einer südamerikanischen Dienstleisterin aus Dingsbumsda, von deren maßgeblicher Bedeutung für die VW-Tochter in Brasilien er ausging, von ihren besonderen Talenten und Leistungen aber angeblich nichts ahnte.

Günter Berg ließ am Runden Tisch zu Frankfurt gleich zu Beginn keinen Zweifel daran aufkommen, dass es in der Medienbranche weniger gnadenlos zuginge als zum Beispiel in der Autobranche. Entweder Hartz akzeptiere endlich seine eigenen Worte und ziehe nicht alles wieder zurück oder aber der Verlag lasse das Buchprojekt platzen. Das Ultimatum wirkte. Wobei sich die Antworten am Ende so lesen, als habe sie der Anwalt Egon Müller eigenhändig geschrieben.

Ergebnis einer Gesprächstherapie

Am kommenden Montag nun erscheinen die Erinnerungen (240 Seiten, 19,95 Euro). Auf den Vorabdruck war der Spiegel abonniert, doch Wirtschaftsressortleiter Armin Mahler las die Druckfahnen und riet seinem Chefredakteur Stefan Aust ab. Guter Rat kommt manchmal nicht teuer. "In diesem Buch bricht Peter Hartz sein Schweigen und erzählt seine Geschichte", schreibt Inge Kloepfer am Ende ihres siebzehnzeiligen Vorworts, aber richtig ist nur, dass er redet statt zu schweigen.

Das, was er von sich gibt, bleibt aber stets im Ungefähren, wenn sie ihm zu nahe kommt. Ohne Kloepfers Fragen wäre das in sechs Kapiteln aufgeteilte Interview über Aufstieg und Fall des ehemaligen VW-Personalmanagers kein Buch wert. Der Titel Macht und Ohnmacht ist also nicht zufällig so unverbindlich wie zum Beispiel Tod und Teufel oder Gestern und Heute.

Hartz war nach seinem Sturz lange ohnmächtig stumm. Dann tauchte er aus der Sprachlosigkeit wieder auf. Wie machtlos er geworden ist und mehr noch: welches Waren-Leben im wahren er tatsächlich geführt hat, könnte ihm erst nach Lektüre vieler Interviewpassagen klar geworden sein. Insofern war die ihn aushorchende Journalistin eine Therapeutin, doch ob die Therapie angeschlagen hat, für die er vom Verlag 60000 Euro Vorschuss bekam, die seiner Stiftung Saarländer helfen Saarländern zufließen, darf bezweifelt werden.

Opfer von Politikern, Bürokraten und Medienleuten?

Noch sieht er nachlesbar den eigentlich Schuldigen, der tief gefallen ist im Größenwahn, nicht beim Rasieren im Spiegel, sondern erkennt die eigentlichen Schuldigen in der Medienmeute, die ihn jagte:

"Es ist viel mehr der Rufmord, der mir zusetzt. Der ist den Medien vollständig gelungen. Schon lange vor meinem Prozess bin ich von ihnen verurteilt worden. (...) Zu der Strafe des Gerichts kommt für mich die endgültige Vernichtung meiner Person durch die Medien hinzu. Sie haben mich beschimpft, verunglimpft, lächerlich gemacht, verhöhnt. Der vollständige Rufmord ist gelungen..."

Peter Hartz will nicht auspacken, sondern austeilen, bevor er endgültig Geschichte ist. Neben den Journalisten sind es vor allem seine Feinde in der Politik wie Wulff, Stoiber, Westerwelle, die ihn verhöhnten, als er sich aufmachte, die Arbeitslosenzahlen im Lande von vier auf zwei Millionen zu halbieren mit einer scheinbar genialen Idee. An die Idee, als Hartz-Gesetze bekannt, glaubt er noch immer. Dass daraus eher ein Desaster statt eines Durchbruchs wurde, liege an der Verwässerung durch die Bürokraten.

Der von Ehrgeiz getriebene und zu Überschätzung seiner Selbst fähige Manager, gewachsen aus kleinsten Verhältnissen, hat stets um die Anerkennung der Mächtigeren gebuhlt. Aufgestiegen von den Genossen zu den Bossen hat Hartz das Licht der Öffentlichkeit genossen, als er sich im Glanz der Scheinwerfer sonnen durfte, hatte sich aus- und beleuchten lassen bei jeder Station seines steilen Aufstiegs von den ihm jetzt so verhassten Medien. Wer aber die benutzt, darf sich nicht beklagen, wenn die ihn bei passender Gelegenheit auch benutzen.

Vergessene Taten

Wenn es um die nächtliche Standfestigkeit geht, interessiert sich eben niemand mehr brennend für die Hartz-Idee 5000 - was bedeutet, dass 5000 VW-Arbeiter zum Gehalt von 5000 D-Mark arbeiteten - niemand dafür, dass VW auf Vorschlag von Peter Hartz zu Weihnachten einmal der Stadt Wolfsburg nicht irgendeine Sporthalle finanzierte, sondern die Halbierung der Arbeitslosenzahlen durch befristete Engagements finanzierte.

Inge Kloepfer, die eine beachtete Biographie über Friede Springer geschrieben hat, fragt stur nach, wann immer Hartz schmallippig wird und nähere Auskünfte verweigert. Er wollte sie als Gesprächspartnerin, um von ihrem Ruf zu profitieren. Man traf sich zu Dutzenden von Gesprächen, mal eine Woche lang in der saarländischen Heimatidylle von Hartz, bei denen mitunter seine Frau zuhörte, mal unter vier Augen in Berlin.

Es gibt Sätze, die man ihm sogar als Ausdruck wahrer Empfindungen abnehmen würde, wenn sie bloß spontaner klingen würden und nicht wie nachträglich in die Antworten redigiert: "Die Menschen sind nicht für das Unternehmen und seine Rendite da, sondern die Unternehmen für die Menschen".

Skandalthemen ausgeweicht

Sobald Kloepfer Konkreteres zum eigentlichen VW-Skandal wissen wollte - Lustreisen, Bonuszahlungen - und nicht nur über seine Schulzeit, seine Karriere im Saarland und bei Volkswagen, seine bahnbrechende Idee, statt in Zeiten der Not Massenentlassungen anzuordnen, die von vielen seiner Kollegen als Freisetzungen verkauft werden, die Viertagewoche einzuführen, oder über die für immer nach ihm benannten Gesetze zur Reform des Arbeitsmarktes, wird er wortkarg.

Verweigerung der Auskunft ist ein Menschenrecht, und das gilt auch für Hartz. Wenigstens die Macht, selbst zu entscheiden, was er sagt, ist ihm geblieben. Daraus sein Menschenrecht auf ein Buch abzuleiten, ist mutig. Denn vieles liest sich da so: "Die Dramatik und das Tempo, die mich im Sommer 2005 binnen weniger Wochen zur Hauptfigur eines Skandals werden lassen, stürzten mich in eine tiefe Sprachlosigkeit (...)

Ich hatte Konzerninteressen zu vertreten, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche (...) Dennoch schätze ich, dass man bei VW froh war, dass ich mich nicht äußerte (...) Ich bin zum Buhmann geworden (...) Ich nehme meine Frau jetzt sehr viel mehr in ihrer Funktion als Mittelpunkt der Familie wahr (...) Jeder, der kann, sollte sich auch in den Dienst der Gemeinschaft stellen, sonst kann die Gesellschaft nicht funktionieren (...)

Wenn es irgendwo brannte, musste ich dorthin (...) Ich habe ein funktionsfähiges Unternehmen hinterlassen, in dem die Ressource Mensch gut aufgestellt ist (...) Natürlich war mir klar, dass man Gebauer aufgrund seiner Kenntnisse vieler privater Einzelheiten nicht reizen sollte (...) Ich habe mich nie auf Kosten von Volkswagen amüsiert (...) Dann aber flog ich mit meiner Entourage, die ich als Konzernvorstand nun mal immer dabei hatte, weiter, denn ich hatte einen sehr dicht gedrängten Terminkalender (...)

Schuster wusste, wie viel Wert ich auf Gradlinigkeit lege (...) Ich bin, um Schaden von VW abzuhalten, schneller zurückgetreten, als ich hätte zurücktreten sollen und habe mich damit jeder Chance beraubt, noch im Schutz des Konzerns für mich zu kämpfen (...) In juristischer Sicht sind meine großen Verdienste hinsichtlich der Vermehrung des Aktienvermögens nicht gegen die von mir veranlassten Bonuszahlungen an Volkert aufzurechnen (...)

Aber im Grunde ist es zu spät, denn das Bild, ich sei der Kopf einer vergnügungshungrigen Truppe bei Volkswagen gewesen, hat sich in der Öffentlichkeit bereits unverrückbar festgesetzt(...)" Und so weiter.

Gerührt, nicht geschüttelt

Die Moral des Managers steht nicht zur Debatte. Jeder Journalist, der moralisch richten will, statt über Moral nur dann zu berichten, falls es im Falle eines Falls wesentlich ist, also falls Hartz Bordellbesuche aus der Firmenkasse und nicht aus eigener Tasche bezahlt hätte, sollte sich im eigenen Keller umschauen, ob da nicht auch Leichen liegen, die nur deshalb nicht stinken, weil die Herren der öffentlichen Meinung nicht ganz so wichtig sind wie sie glauben.

Eitel zwar, aber auch wieder rührend der Anhang. Peter Hartz will noch einmal aufgelistet sehen, schwarz auf weiß, wie bedeutend er einst war, als man ihm so viel Bedeutung verliehen hatte. Verzeichnet im Lebenslauf des Absteigers sind nicht nur frühe Werke - wer auch immer sie für ihn geschrieben hat, zum Beispiel sein intellektueller Nach- und Vordenker Schuster? - unter so originellen Titeln wie Jeder Arbeitsplatz hat ein Gesicht oder Jeder Arbeitsplatz hat einen Kunden, sondern auch späte Ehrungen, die ihm qua Amt zuteil wurden: Professor der Tongji-Universität Shanghai, der Julin-Universität Changchun, Doktor honoris causae von Cordoba und Trier.

"Arbeitslosigkeit darf in unserem Land nicht länger ein Problem der Arbeitslosen sein", sagt Peter Hartz. Da hat er Recht. Hartz eins wird zwar arbeitslos nie ein Fall für Hartz IV sein, aber sein eigentliches Problem, keine Arbeit mehr zu haben, ist mit Geld nicht aus der Welt zu schaffen. Auch sein Verlag hat ein Problem: Der Autor will keine PR für sein Buch machen, weder bei Beckmann noch auf einer Lesereise. Denn da würde er sie ja wieder treffen müssen. Seine Rufmörder.

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