Peter Handkes "Zwiegespräch":"Sie sind heute unwiderstehlich"

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Bruno Ganz (l.) als Engel Damiel und Otto Sander als Cassiel in Wim Wenders Film "Der Himmel über Berlin" (1987). Den beiden Schauspielern hat Peter Handke sein "Zwiegespräch" gewidmet. (Foto: Filmverlag der Autoren/picture alliance / dpa)

Peter Handke beschwört in einem "Zwiegespräch" das Theater einer heiligen Zeit - und das Werden, Gehen und Vergehen. Ein Alterswerk im besten Sinne.

Von Christine Dössel

Peter Handke hat sein neues Buch, nein: Büchlein, den Schauspielern Otto Sander und Bruno Ganz gewidmet. Es sind daher diese beiden, die man vor Augen hat, wenn sich im titelgebenden "Zwiegespräch" ein Dialog zwischen zwei "besonderen Narren" entspinnt. Dass beide tot sind, tut nichts zur Sache. Waren Sander und Ganz nicht schon zu Lebzeiten zwei sehr besondere Jenseitige? Als die den Menschen freundlich zugewandten Engel Cassiel und Damiel, die sie in Wim Wenders Film "Der Himmel über Berlin" (1987) spielten, mag man sie sich auch jetzt imaginieren, allerdings plauschend statt nur lauschend. Handke war damals am Drehbuch beteiligt, steuerte etwa das philosophisch-poetische "Lied vom Kindsein" bei, dessen Zeilen die Kraft haben, Lebensbegleiter zu sein ("Als das Kind Kind war, / wusste es nicht, dass es Kind war,/ alles war ihm beseelt, / und alle Seelen waren eins"). Sander und Ganz hatten zuvor auch schon in der Uraufführung seines Stücks "Der Ritt über den Bodensee" mitgespielt, 1971 an der Berliner Schaubühne war das, in der Regie von Claus Peymann.

Handke war damals der junge Wilde der deutschsprachigen Literatur, ein Pop-Poet und Theaterrevoluzzer. Jetzt ist er ein Literaturnobelpreisträger in fortgeschrittenem Alter - 80 wird er im Dezember -, und sein Duktus ist bisweilen der eines Gurus, eines seltsamen Sprachheiligen und naturvernarrten Sonderlings, buchstäblich bewandert in den Nachbardörfern, den Pilzwäldern, der Landschaftskunde der Niemandsbuchten. Handke geht ja bekanntlich viel - und ergeht sich literarisch darin.

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"Kein ernsterer Ernst als im ernsten Spiel."

Auch das neue, auf nicht einmal 70 Seiten dargelegte "Zwiegespräch" ist wieder so eine Durchwanderung von Sprach- und Erinnerungsfeldern, geschrieben im typischen Handke-Speak aus hehrem, empfindsamem, mitunter: geschwollenem Dichterton und kokett umgangssprachlichen Brechungen, Wortspielen, Aufgeschnapptheiten. Das ist nicht jedermanns, jederfraus Sache und muss es auch nicht sein. Aber wer Handke immer schon gerne auf seinen winterlichen Reisen über die Dörfer und durch morawische Nächte auf den Spuren der Verirrten ins Landesinnere oder bis an den Rand der Landstraße begleitet hat, der wird auch hier auf seiner Fährte bleiben, wird ihm sprachflusseinwärts hinterhertrudeln, da und dort innehalten, stutzen, nachhorchen - ohne groß zu fremdeln.

Denn dieser Bewusstseins-Walk, der als Talk daherkommt, führt auf bekanntes Terrain, already known, würde der Autor an dieser Stelle vielleicht auf Englisch hinzufügen. Solche plötzlichen englischen (oder anderssprachigen) Ausdruckssetzungen macht er gelegentlich, suddenly. Sie sind kecke Zeichen globaler Netzweltläufigkeit - gegen den Verdacht von Sprachschamanismus -, aber auch klang- und rhythmustechnisch ein Gewinn. In Handkes Text ist schließlich Musik drin.

Peter Handke: Zwiegespräch. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 72 Seiten, 18 Euro. (Foto: N/A)

Reprisen gehören dazu. Die Variation früherer Themen und Motive. Anspielungen aufs eigene Werk. Gerne auch mal selbstironisch: "Habe ich dir das schon erzählt?" Die Antwort: "Zweimal, wenn nicht dreimal." Darauf der erste wieder: "Ja, so ist es wohl mit dem Erzählen im Älterwerden." Schrullig sind sie ja schon, die beiden Freunde mit ihrer "Wortklaubkrankheit". Ihre Wechselrede hat neben Verstiegenheiten auch Schmunzelpotenzial. Wenn etwa der eine über das Gewimmel und Gezischel in den Straßen der Stadt herzieht, mit all den "Jungen und Jungspielern" dort, den "Vergruppten", zwischen denen er sich als einziger "wahrhaft Gehender" hilflos vorkommt, dann endet er seinen Bericht mit dem Satz: "Dabei stand doch in meinem Horoskop: ,Sie sind heute unwiderstehlich'." Lacher im Publikum.

Von Anfang an schielt dieser Prosadialog aufs Theater, diesen "speziellen Narrenkasten", die angestammte Domäne der Schauspieler Otto Sander und Bruno Ganz. "Genug jetzt ins Leere geschaut", heißt es gleich zu Beginn, als spräche ein erwartungsfroher Zuschauer aus dem Parkett. Der eine Dialogpartner ist denn auch ganz Theatermensch. Er erzählt von einer Aufführung, die er einst als Kind in der Schule sah, mit einem Haus auf der Bühne als Teil des Dekors. Es ist dieses "Traumhaus", dieses "Kindertheaterhaus", das seitdem stellvertretend für all seine Erwartungen an das Theater steht. Verbunden damit diese Urhoffnung, ein Mensch möge heraustreten, "und zwar ein einmaliger, noch keinmal mir vor Augen gekommener". Diese Erwartung, dass "sämtliche Türen und Fenster aufspringen und - und - und -", da bricht er ab und der andere ergänzt: "- dass es ernst wird?" Ja, sagt der Theaterfreund dann, "endlich ernst", aber auch spielerisch ernst: "Kein ernsterer Ernst als im ernsten Spiel."

Die Töne, die er hier anschlägt, klingen altersmilde - oder: altersweise - selbsteinsichtig

Schon klar, dass er in dieser Hoffnung, wie vom Theater überhaupt, enttäuscht wurde. Denn die "heiligen Zeiten", in denen im Theater das Leben "erschienen" sei (jawohl: erschienen), es im Theater noch Sprache gab und Stille und den "heiligen Schreck dieser Stille", die seien vorbei. Das Theater habe "seinen Moment verloren", konstatiert der Kunstsinnige, aber auch "die Schwesternkunst Film" habe in der Folge "ihren Moment verloren". Es ist eine Aussage ohne Bitternis. Ein Befund. Doch die Sehnsucht ist geblieben, und auf seinen Spaziergängen stößt er immer wieder auf das Urbild seines Schultheaterhäuschens, sei es in Gestalt einer alten Feldscheune oder eines Friedhofshauses mit Giebel ("nichts Feierabendlicheres als so ein Giebel!"), und in Gedanken inszeniert er da schon mal ein flüsterndes Liebespaar hinein.

Der andere, der Freund, der sich für Tragödien nie zuständig gefühlt hat, geht in seiner Erinnerung andere Pfade, nämlich zurück zu seinem Großvater, dem einst so verehrten, idealisierten, der als junger Mann in den Isonzoschlachten im Ersten Weltkrieg (im heutigen Slowenien) dabei war und dem Enkel später seine Lügengeschichten auftischte. Ein Großvater, der in der Ostmark offenbar auch ein Begeisterter des Dritten Reiches und dessen "Fälschersprache" war, hinterher als "Verführter" sich aufspielend. Auf seine Weise auch er: ein Spieler. Und ein Sadist, ein Tierquäler. Die Schilderungen, wie er eine Schlange mit dem Rechen aufspießt und ein Hornissennest im hohlen Baum zumörtelt, gehen tief.

Bevor Handke in die Abrechnung mit dem "Großvatertum" einsteigt, warnt er: "Politisches, es droht." Inwieweit er hier auf seinen eigenen Urahn rekurriert und auf seine eigene politische Verblendung und Verklärung ("heillos - heillos - heillos"), sei dahingestellt, das mögen die Kenner oder mag ein jeder für sich entscheiden, die Töne jedenfalls, die er hier anschlägt, klingen altersmilde - oder: altersweise - selbsteinsichtig. Ohnehin ist dieses platonische "Zwiegespräch" über das Werden, Gehen und Vergehen ein Alterswerk im besten Sinne. Auch insofern, als es einen Bogen vom Schulkind zu den Alten und Uralten schlägt und sogar in Kinderwagen hineinlugt, um in einer zuversichtlich-trotzigen Ruhelosigkeit zu enden, einer "ewig jungen".

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