Handke in Stockholm:Im Schatten des Nichtgesagten

Peter Handke: ´Der ewige Friede ist möglich"

Peter Handke spricht auf einer Pressekonferenz in der Schwedischen Akademie.

(Foto: dpa)

In seiner Rede zum Literaturnobelpreis richtet Peter Handke nicht einen einzigen Satz direkt an seine Kritiker. Er sucht vielmehr Zuflucht beim eigenen Werk - und verteidigt es in Zitaten.

Von Lothar Müller

Dieselbe Statue im Rücken, verschiedene Sprachen, Stimmen am Pult, erst ein ruhig dahinfließendes Polnisch, dann ein gelegentlich stockendes Deutsch. Und am Ende ein verirrtes Schwedisch. Es gehört zu den unvermeidlichen Effekten der Doppelvergabe der Literaturnobelpreise für die Jahre 2018 und 2019, dass die aufeinander folgenden Reden der Preisträger im Vergleich - oder auch Kontrast - wahrgenommen werden mussten. Peter Handke, wie seine Vorrednerin mit freundlichem Beifall des Publikums begrüßt, begann mit einem Selbstzitat: "Spiele das Spiel. Sei nicht die Hauptperson. Such die Gegenüberstellung. Aber sei absichtslos. Vermeide die Hintergedanken. Verschweige nichts. Sei weich und stark. Lass dich ein und verachte den Sieg. Beobachte nicht, prüfe nicht, sondern bleib geistesgegenwärtig bereit für die Zeichen. Sei erschütterbar. . . ."

Mit nicht sehr sicherer Stimme trug Handke eine Figurenrede vor, Sätze der "Nova" aus dem dramatischen Gedicht "Über die Dörfer". Das musste er vor Wochen entschieden haben, früh verlangt die Akademie die Nobelpreisreden, auch wegen der Übersetzungen, außer von Bob Dylan. Das Selbstzitat konnte aber an diesem Dezembersamstag in Stockholm nicht nur Zitat sein, es war unweigerlich zugleich eine Geste. Seit der Bekanntgabe der Preisentscheidungen Anfang Oktober hatten von seinem Werk nahezu ausschließlich die Schriften im Mittelpunkt gestanden, in denen er sich in den Neunzigerjahren, während der Zerfallskriege Jugoslawiens, in eine trotzige Verkennung des serbischen Nationalismus verrannt hatte.

Schwedisch in Originalsprache: nur ein Ungeschick oder eine Hommage an Bob Dylan?

Noch in der Pressekonferenz am Vortag war er dazu befragt worden, unwirsch, abweisend hatte er seit Oktober auf solche Fragen reagiert. Nun, am Pult, im Festsaal der Akademie, verschwand er fast hinter den langen Zitatpassagen, in denen Nova, die Figur aus einem 1980/81 entstandenen Text, Schreckensbilder des zwanzigsten Jahrhunderts entwarf, um ihnen - "aus mir spricht der Geist eines neuen Zeitalters" - Visionen der Entwaffnung durch das Bündnis von Natur und Kunst entgegenzusetzen. Zuflucht beim eigenen Werk suchen, dieses Werk im Zitat verteidigen, das war der leicht erkennbare Sinn der Geste. Und ihr Preis war, dass der Redner dabei unweigerlich im Schatten des Nichtgesagten stand, da er ja nicht einen einzigen Satz direkt an seine Kritiker richtete. Er konnte sich den Echoraum, in dem er sprach, nicht aussuchen, etwa wenn seine Nova sagt: "Ja, bleibt für immer fern von der als Macht auftretenden Macht."

An die Stelle des Nichtgesagten trat die Herkunftsgeschichte der Autorschaft des Redners, und auch hier war die Mutter die Anstifterin zum Erzählen: "keine Geschichten, sondern kurze, und doch, wenigstens für meine Ohren, unerhörte Begebenheiten". Anders, als sie in den Roman "Der kurze Brief zum langen Abschied" einging, erzählte Handke die von der Mutter gehörte Geschichte vom Kind der Vergewaltigten, das, seiner Mutter weggenommen, sich beim Spielen in einem Drahtzaun verfängt, noch einmal. Und auch die Geschichte eines Onkels, der aus dem "Marianum", dem Internat für Priesterstudenten in Klagenfurt, entweicht, nach Hause zurückkehrt und dort, weil es Samstag ist, den Hof kehrt. Auch dies anders erzählt als in dem Buch "Wunschloses Unglück" von 1972, dem Epitaph für die Mutter, die sich das Leben genommen hatte, geschrieben wenige Wochen nach ihrem Tod.

Zur Geste, Zuflucht beim eigenen Werk zu suchen, gehörten Erinnerungen an die Bilder und Filme, die dabei Pate standen, an die Western von John Ford und die Filme von Ozu, an die Lieder von Johnny Cash, Leonard Cohen oder Bob Marley. Das blieben Anspielungen, verglichen mit der Intensität, mit der Handke das Slowenische - im Wortsinn eine Muttersprache - in die Akademie holte, vom Ortsnamen "Stara Vas" ("Altes Dorf") bis zu den slowenisch-slawischen Litaneien, den "Himmelstonleitern und Kadenzen", die der Redner aus der Lauretanischen Litanei zitierte ("Prozi za nas" "Bitte für uns!") und, anders als im Text auf der Website des Nobelkomitees, mit Übersetzungen versah, wenn vom Himmelstor oder Morgenstern die Rede war. "Die romanischen Bögen der Kirche nahe dem Geburtsort Stara Vas" führten dann an zwei Anekdoten über Begegnungen mit unbekannten Poeten zum verunglückten Schluss der Rede, dem gründlich gescheiterten Versuch, das Gedicht "Romanische Bögen" des schwedischen Nobelpreisträgers Tomas Tranströmer in Originalsprache vorzutragen. Ein Ungeschick. Oder eine Hommage an Dylan, den Virtuosen des Texte-Zersingens.

Schwerer wog, dass Handke, indem er sich in weiten Passagen der Rede in die Ergriffenheit vom eigenen Werk zurückzog, aus dem Schatten des (in eigener Sprache, in eigenen Worten) Nichtgesagten nicht heraustreten konnte.

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