Peter Gabriel, David Byrne und Jeff Beck:Im Mäandertal

Rockmusiker liebäugeln gerne mit Orchestermusik. Die Frage ist, warum niemand sie von diesen Projekten abbringt.

Andrian Kreye

In deutschen Drogeriemärkten und Raststätten findet man Peter Gabriels neues Album "Scratch My Back" (Realworld) derzeit in den Regalen für Impulskäufe. Eine solch prominente Platzierung ist eine Sensation. Weniger weil Gabriel Coverversionen mehr oder minder hipper Indierocker wie Bon Iver, Regina Spektor und Arcade Fire singt, sondern weil er das ohne Schlagzeug und Gitarre zu konsequent minimalistischen Orchester- und Kammermusikarrangements tut.

Befreit vom akademischen Dogma

John Metcalfe schrieb ihm die Arrangements ohne Gitarren, Schlagzeug oder Elektronik. Mit Gabriels jüngstem Erfolg ist das Klangbild einer Avantgarde in der gesellschaftlichen Mitte angekommen, zu der der Minimalismus von Steve Reich und Philip Glass genauso gehört wie die reduzierten Harmonien von Arvo Pärt und John Adams.

Mit den Hitparadenplätzen von "Scratch My Back" manifestiert sich der Triumph von Plattenlabeln wie ECM und Nonesuch, die die ernste Musik von einem akademische Dogma befreiten, das auf dem überholten Avantgardebegriff der Abstraktion beharrte.

Peter Gabriel ist nicht der erste, der die flirrenden Ostinati und melancholischen Harmoniekonstruktionen der Minimalisten für die Popkultur entdeckt. Godfrey Reggios zivilisationskritische Bildmontage "Koyaanisqatsi" avancierte schon 1982 mit der Musik von Philip Glass zum Filmkunsthit. Den Nimbus der Avantgarde wurde die Minimal Music allerdings nie los.

Selbst als die Kreditkartenfirma American Express vor einigen Jahren Philip Glass engagierte, Musik für ihre Werbespots zu komponieren, wollte der Konzern letztlich eine Assoziationskette anstoßen, die eine amerikanische Bildungselite beschwört, für die Hochkultur, linksliberale Ansichten und Konsum kein Widerspruch, sondern gleichwertige Elemente eines beneidenswerten Lebensstiles sind.

Gestus aus einem feudalen Kulturzeitalter

Was Peter Gabriels Album von solchen ersten Annäherungen an den Minimalismus unterscheidet ist, dass er mit jedem Song, mit jedem Takt eine musikalische Entscheidung trifft. Das steht im klaren Gegensatz zu Film und Werbung, die in der Musik ausschließlich ästhetische Entscheidungen treffen.

Das unterscheidet "Scratch My Back" aber auch von so vielen Bemühungen der Rockmusik, sich an symphonischen Musikformen zu versuchen. Man kann das ganz aktuell vergleichen. Nach Peter Gabriel werden in den nächsten Wochen der einstige Kopf der Talking Heads David Byrne gemeinsam mit dem Big-Beat-Produzenten Fatboy Slim und der E-Gitarrenpionier Jeff Beck Alben mit Orchesterwerken veröffentlichen.

Rockmusiker liebäugelten schon immer mit symphonischer Musik. Oft, weil sie sich von ihr erhofften, was ihnen eigentlich nicht zustand: eine Aura der Unsterblichkeit, eine musikalische Ernsthaftigkeit, vor allem aber einen Gestus, der in einem feudalen Kulturzeitalter wurzelt, in dem Musik in Auftrag gegeben wurde, um von der Größe Gottes oder eines Regenten zu zeugen. Selten waren solche Orchesterarrangments mehr als ein Statussymbol, mit dem sich die Stars ähnlich wie mit ihren Privatjets und englischen Landschlössern in eine Elitenwelt zurückzogen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, an welchen Problemen schon der Progrock scheiterte.

In der musikalischen Sackgasse

Peter Gabriel beschäftigte sich als Kopf der britischen Progrock-Gruppe Genesis schon früh mit symphonischer Musik, allerdings weniger mit den Klangbildern, als mit den Kompositionsformen. Er wurde in jener kurzen Ära groß, in der die europäische Rockmusik nach ihren eigenen Wurzeln suchte und zwangsläufig bei der europäischen Klassik landete. Der Impetus dürfte ein amerikanischer gewesen sein.

Ende der sechziger Jahre suchten kalifornische Bands wie die Byrds, Grateful Dead oder Canned Heat in den musikalischen Anfängen des Rock nach einem amerikanischen Ideal. Doch wo die amerikanische Sinnsuche aus Country und Blues Kraft schöpfen konnte, verzettelte sich der europäische Progressive Rock in den komplexen Strukturen der Barockmusik oder der symphonischen Klassik, bemühte er Minnesang und keltische Folklore. Nie wurde deutlicher, dass Rock in Europa ein exotischer Kulturimport war, als im verkrampften Versuch der europäischen Rockmusik, zu sich selbst zu finden.

Das Lamento der enttäuschten Ex-Diktatorin

Eine ganz ähnliche Hybris prägt auch die Doppel-CD "Here Lies Love" (Warner) von David Byrne und Norman "Fatboy Slim" Cook, die sich zwar nicht an der Klassik, aber mit dem Musical doch an einer Form versuchen, gegen die nicht erst die Rockmusik, sondern schon die Hipster des Bebop rebellierten.

Byrne und Cook wollten hier ein Meisterwerk des "Camp" schaffen, jene ironische Feier des Kitsch. Dafür rekrutierten sie Sängerinnen wie Florence Welch, Martha Wainwright, Róisín Murphy und Sharon Jones, die zu einer Melange aus Musical-arrangements, Dance-Beats und Pop-Refrains die Lebensgeschichte der philippinischen Diktatorengattin Imelda Marcos besingen. Doch die Überplanung eines solchen Albums führt in genau jene musikalische Sackgasse, an der schon der Progrock scheiterte.

Das Projekt erinnert an Rick Wakemans Konzeptalben über die Ritter der Tafelrunde und die Frauen von Henry VIII., an die Versuche des Deep-Purple-Organisten Jon Lord, Bachsuiten zu interpretieren, an die Projekte bei denen der Pink-Floyd-Tontechniker Alan Parsons Werke von Isaac Asimov, Edgar Allan Poe und Sigmund Freud vertonte.

Es soll natürlich furchtbar komisch wirken, wenn Sharon Jones zu einem Funkbeat vom Luxusleben singt und im Finale Tori Amos und Cyndi Lauper das Lamento der enttäuschten Ex-Diktatorin intonieren, die bis heute nicht versteht, warum sie eine so verhasste Figur ist. Im orchestralen Klangbett überdrehen Ironie und Camp hier ganz ähnlich wie der prätentiöse Kulturgestus des Progrock. Mit ähnlichem Ergebnis. Nichts passt zusammen, die programmierten Beats hämmern ungelenk unter den überkandidelten Streichern, über denen der zusammenhangslos der gekünstelte Gesang in der belanglosen Melodieführung des Musiktheaters mäandert.

Angesteckt von der Massenhysterie

Immer wieder stellt sich bei solchen orchestralen Versuchen die Frage, ob es denn im Leben der Stars niemanden mehr gibt, der sie von Projekten dieser Art abbringt. Jeff Beck zum Beispiel, der als einer der besten Rockgitarristen aller Zeiten gilt, auch wenn das in erster Linie Rockgitarristen wissen. Er hat sich von der Massenhysterie anstecken lassen, die die Fernsehsendung "Britain's Got Talent" (die Vorlage für "Deutschland sucht den Superstar") erst mit Paul Potts Opernarien und dann mit Susan Boyles Musicaldarbietungen auslöste.

Beck hat ein ganzes Orchester engagiert, um Instrumentalversionen von Paul Potts Turandot-Arie "Nessun Dorma" und dem "Zauberer von Oz"-Song "Somewhere Over The Rainbow" einzuspielen. So reduziert er auf "Emotion & Commotion" (Warner) sein Gitarrenspiel zum banalen Melodieträger. Da ist es eigentlich egal, ob Jeff Beck Gitarre spielt, Vanessa Mae die Geige oder eben Petruta Küpper die Panflöte.

Wenn Peter Gabriel nun Songs wie Bowies "Heroes" oder "The Book Of Love" von den Magnetic Fields vollkommen neu interpretiert, dann funktioniert das eben genau deswegen, weil er sich nicht an Klangbildern versucht, sondern einen musikalischen Kern sucht, den er in den meisten Songs auch findet. Will man Gabriels "Scratch My Back" vergleichen, landet man nicht beim Progrock, sondern eher beim Kronos Quartett. Das kalifornische Streichquartett öffnete die virtuose Kammermusik für ein stilistisches Spektrum, das vom Pop bis zu fernöstlichen Musiktraditionen reicht.

Kronos liefert immer wieder Musterbeispiele, wie man musikalisch abwegige Entscheidungen trifft, ohne sich in Ästhetizismen zu verrennen. Dieser Ansatz erklärte auch die phänomenalen Erfolge der minimalistischen Alben, die Rick Rubin für Johnny Cash produziert hat. Solche Alben befriedigen das Bedürfnis, aus einer Rockgeschichte auszubrechen, die ihr Erbe seit rund 40 Jahren mit einem Ballast aus modischen Klängen und Manierismen überfrachtet hat. Denn genau die setzen den Rock einer Kurzlebigkeit aus, die eigentlich in den Pop gehört.

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