Süddeutsche Zeitung

Favoriten der Woche:Mit Hugh Hefner zurück ins Büro

Wie wir elegant zurück in den Arbeitsalltag könnten, zeigt der neue Bildband "Office of good intentions". Diese und weitere Empfehlungen der Woche aus der SZ-Kulturredaktion.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Bildband: "The Office of Good Intentions"

Der Komiker Groucho Marx scherzte noch darüber: "Alles, was man nicht im Bett tun kann, braucht man erst gar nicht anzufangen." Aber Hugh Hefner, Erfinder des Playboy-Imperiums und ebenfalls Komiker, machte ernst damit. In den Sechzigerjahren baute er sein berühmtes Bett um - nein, nicht zur endgültigen Sexbühne, sondern zu einer Pioniertat moderner Büroarchitektur: ausgestattet mit allerlei Medien und übersät mit Arbeitsutensilien. Heute ist es endlich so weit: Der Büro-Insasse der Gegenwart ist im Home-Office zur einen Hälfte Marx, zur anderen Hälfte Hefner geworden. So begegnet man natürlich beiden Akteuren in dem formidablen Buch "The Office of Good Intentions - Human(s) Work" (taschen.com), in dem die Architekten Florian Idenburg und LeeAnn Suen zusammen mit dem Fotografen Iwan Baan der Geschichte der modernen Arbeitsplatz-Architektur auf knapp 600 Seiten nachspüren. Versammelt, bebildert, verortet und anregend diskutiert werden alle wesentlichen Strömungen in der Beziehung von Raum, Mensch und Arbeit. Es ist, bedenkt man die pandemische Hybrid-Realität, das Buch der Stunde. Gerhard Matzig

Hörbuch: "Anleitung, ein anderer zu werden"

Patrick Güldenbergs Lesung des Romans "Anleitung, ein anderer zu werden" von Édouard Louis gehört zu den nicht so häufigen Glücksfällen, bei denen ein Hörbuch dem geschriebenen Text eine ganze Dimension hinzufügt. Aus der strengen, syntaktisch zuweilen sogar einförmig, fast hämmernd wirkenden Vorlage macht Güldenberg einen veritablen Theatermonolog von enormer stimmlicher Amplitude. Diese reicht vom flüsternden, zweifelnden Selbstgespräch bis zur wilden, lauten Anklage, schließt Dialoge mit Abwesenden - dem Vater, der besten Freundin - ein, brilliert aber auch in kalter, soziologischer Analyse. Die inneren Spannungen des werdenden Ichs, die Louis darstellt, werden geradezu physisch erfahrbar.

Die "Anleitung" ist eine Aufstiegsgeschichte, die von dramatischer Armut an der Grenze zur Verwahrlosung bis in die höchsten Höhen von Reichtum und raffinierter Lebensart führt; aus einem nordfranzösischen Dorf in Pariser Luxuswohnungen; aus der Unwissenheit in die Eliteschule "École normale supérieure". Die in Klassen, ja Kasten gegliederte französische Gesellschaft wird dabei vollständig durchquert. Der Ich-Erzähler muss dafür eine Selbstveränderung vornehmen, die von der Kleidung und der Nahrungsaufnahme bis zum Sprechen und der Körperlichkeit alle psychophysischen Aspekte der Existenz erfasst, einschließlich aufwendiger Zahnreparatur. Aus Eddy wird Édouard, aus dem sprechenden Nachnamen Bellegueule (hübsche Fresse) wird der vornehm-neutrale "Louis". Vieles davon war aus den früheren Erzählungen Louis', die methodisch den Ich-Geschichten von Annie Ernaux und Didier Eribon folgen, schon bekannt. Das neue Buch ist die Summe, der Abschluss einer Selbstrettung, die aus dem verachteten schwulen Hilfsarbeiterkind einen Literaturstar machte.

Völlig unsentimental, auch die menschlichen Kosten nicht verschweigend, erzählt Louis das in einer Verbindung von fast selbstverletzender rousseauistischer Aufrichtigkeit und einer an Pierre Bourdieu geschulten Analyse der Regeln des gesellschaftlichen Habitus, oder, ein deutscher Vergleich: als bittere Felix-Krull-Geschichte. Hochstapelei als Notwehr gegen die Gewalt der Klassengesellschaft. Das ist lehrreich und krass unterhaltsam. Gustav Seibt

Dokumentarfilm: "Black Far West - nicht alle Cowboys waren weiß"

"Im Jahr 1845 war jeder vierte Cowboy schwarz", erklärt die Dokumentation "Black Far West - nicht alle Cowboys waren weiß", abrufbar in der Arte-Mediathek. Sie entromantisiert die amerikanische Siedlungsgeschichte, entlarvt sie als Hollywood-Produkt europäischer Siedler und ihrer Nachkommen. Teil des Märchens vom Wilden Westen ist auch, so erläutert der Film, die Reduktion der Afroamerikaner auf ihre Rolle als Sklaven in der offiziellen Geschichtsschreibung, womit ihre Geschichte gewissermaßen mit dem Sezessionskrieg endet. Dabei haben sie als Sheriffs, Trapper oder Postkutschenfahrerinnen die Besiedelung des amerikanischen Westens vorangetrieben. Die Doku stellt reale Helden und Heldinnen vor und zeigt an ihren Geschichten, wie perfide die europäischen Siedler die afroamerikanische gegen die indigene Bevölkerung ausspielten. Sehr sehenswert und aufschlussreich. Lilly Brosowsky

Klassik-Album: Igor Levits "Tristan"

Wenn die Musik in die Fänge der Nacht gerät, verliert sie Konsistenz, Form und den Willen zum Wollen und zum Vollenden. All das wird von einem berühmten Akkord eingefangen, er steht zu Beginn von Richard Wagners Nacht- und Liebesparabel "Tristan und Isolde". Das ist ein schon bei Ludwig van Beethoven verwendeter Moll-Akkord mit einem Zusatzton im Bass, der die Atmosphäre von lastender Sehnsucht erzeugt, von Bewegungslosigkeit, Dunkel, Brüchigem. Dieser Tristan-Akkord hat viele Musiker fasziniert, auch den Wagner-skeptischen Hans Werner Henze, der vor 50 Jahren aus dem Akkord und seiner nachtdunklen Versehrtheit ein 50-minütiges, sechssätziges Meditieren und Brüten für Klavier, Tonband und Orchester entwickelt hat, das nur selten gespielt wird.

Der grandiose 35-jährige Pianist Igor Levit, politisch grün-links aktiv bekannt, ist weltberühmt und hat schon früh eine Gesamtaufnahme der Beethoven-Sonaten vorgelegt. Den Ruhm nutzt er, um sein Mainstream-Plattenlabel Sony immer wieder zu Risiken zu verleiten. Levit hat, das unterscheidet ihn wohltuend von all seinen weltberühmten Kollegen, immer wieder Monströses aus der Nische geholt, hat Frederic Rzewskis einstündig halsbrecherische Variationen "The People United Will Never Be Defeated!" aufgenommen, auch die 90-minütige "Passacaglia on DSCH" von Ronald Stevenson. Das sind musikalische Sternstunden.

Zu denen fügt Levit jetzt sein Hardcorealbum "Tristan" hinzu, das mit Franz Liszt eröffnet wie schließt und das Henze-Konzert mit dem "Tristan"-Vorspiel und einer Klavierfassung des langsamen Satzes der Unvollendeten von Gustav Mahler zusammenspannt. Überall zeigt sich das gleiche Suchen, ohne dass klar würde, wonach. Da sind offenbar Komponisten in ihren gefährdetsten Stunden am Werk, in denen sie austesten, wie viel Wollen Musik benötigt, um nicht völlig auseinanderzufallen. Igor Levit lässt sich mit diesem streng gebauten Konzeptalbum auf diese Experimente ein, sein Ton ist hart gemeißelt und verweigert jedes Anbiedern. Umso untergründiger wirkt der Sog dieser nächtlichen Klänge, die fern aller Esoterik ein Nachdenken sind über die Gefährdungen von Leben wie Kunst. Reinhard J. Brembeck

Neue Single von Peter Fox: "Zukunft Pink"

Peter Fox ist zurück und womöglich ist er jetzt sogar Feminist. Das wäre ein bisschen überraschend, weil er mit seiner Hauptband, Seeed, bislang eher unterleibssatte und - im bitte wirklich allerschönsten Sinne in Nuancen prollige - Dancehall- und Reggae-Musik gemacht hat. Solo war alles etwas orchester-getragener und eine Spur nachdenklicher. Und jetzt eben: "Zukunft Pink", seine neue Single, und da erst mal ein Mord ("Hab meinen Avatar gekillt / Weil ich selber auf die Party will") und dann kurzes Empowerment ("Frauen rulen die Welt / seh' die Zukunft pink"). Sehr angenehmer Groove auch, feines Club-Schwofen, federndes Pluckern von den Synthies, schmeichelnde Bassakzente. Fox verrät leider noch nicht, ob es ein Album geben wird. Aber er spielt 2023 ein paar große Festivals. Das könnte ein Indiz sein. Jakob Biazza

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5679223
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/cag
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.