Péter Esterházy:Der Stimmen-Arrangeur

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Er hatte seine Krankheit selbst öffentlich gemacht und auch literarisch verarbeitet. Zu Péter Esterházys Tod folgen weitere Berichte in der SZ. (Foto: imago)
  • Der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy ist gestorben.
  • Die Geschichten des Autors behandelten die Geschichte Europas, insbesondere seiner eigenen verarmten Familie.
  • Sein Werk besticht durch die Vielstimmigkeit, die er zu mehreren komplexen Handlungssträngen verwebt.

Nachruf von Thomas Steinfeld

Man lasse sich nicht täuschen von der heiteren, freundlichen Miene, die Péter Esterházy gerne trug, von den Volten einer Ironie, die auch im Gespräch jedes Wort danach abtastete, welcher Widersinn ihm abzugewinnen sei, vom Kampfgeist eines berufenen Fußballspielers, der die langen Pässe geliebt hätte, wenn das Dribbeln nicht so viel unterhaltsamer gewesen wäre und im Abseits nichts so viel Schönheit gelegen hätte: Péter Esterházy war einer der wenigen großen Schriftsteller, die es in der Gegenwart noch gibt, einer wie Peter Handke, wie Colm Tóibín, einer, der wirklich der Sprache hingegeben war, weil sie, als einziges Medium der Verständigung, einer Wahrheit mächtig ist.

Péter Esterházys Stoff war die Geschichte, die Geschichte Europas, die Geschichte Ungarns, die Geschichte seiner eigenen Familie, einer Seitenlinie ("verarmt", wie er immer wieder erklärte) des berühmten Geschlechts der Esterházy. Diesen Geschichten galt nicht nur das wichtigste und bekannteste seiner Bücher, der Roman "Harmonia Caelestis" aus dem Jahr 2000, sondern sein gesamtes Werk, von den Geschichten in "Fancsiskó und Pinta" (einer ungarischen Kindheitsgeschichte, im Original 1976), bis hin zu seinem letzten Buch "Die Markus-Version" (2016), in dem er, an Krebs erkrankt, nicht nur über seine im kommunistischen Ungarn in die Provinz verbannte Familie nachdenkt, sondern auch auf Gottes Leidensgeschichte reflektiert, so wie sie das Markus-Evangelium überliefert.

Stimmen von Mutter, Vater, einem Soldaten aus dem 17. Jahrhundert

Nie erzählte Esterházy einfach, immer lösten sich seine Geschichten auf in ein Ein- und Widerreden der Stimmen und Ansichten. Nein, immer erzählte Esterházy einfach, und die meisten der Stimmen, die er zusammentrug (oder besser: die dringend mitreden wollten), taten es auch: die Stimme des Vaters, die Stimme der Mutter, die Stimme eines Soldaten aus dem 17. Jahrhundert, eine Figur aus einem Roman eines anderen Schriftstellers. Schwierig wurden die Dinge dadurch, dass sie alle redeten, mit dem gleichen Anspruch auf Wahrhaftigkeit, mit Empfindlichkeit, mit Eigensinn, so eben, wie wirkliche Menschen das auch tun - mitsamt der prinzipiellen Unzuverlässigkeit, die solchen Stimmen zu eigen ist (der Roman der Unzuverlässigkeit ist das 2013 auf Deutsch erschienene Buch "Esti").

Weil Péter Esterházy nun aber der Aufmerksamste, Empfindlichste und Gebildetste aller Empfänger war, die diese Geschichten hätten haben können, hat diese universale Erzählerei zwei, wenn nicht drei Folgen. Deren erste ist die Einsamkeit: Denn wie soll man sich einen Menschen vorstellen, auf den all diese Stimmen zudringen und der eine Ordnung in sie zu bringen versucht, wenn nicht als ganz auf sich gestelltes, bis in den tiefsten Grund seines Herzens skeptisches Wesen? Die zweite Konsequenz ist das Gegenteil des Postmodernen, das man Esterházy nachsagte, weil das In- und Miteinander der Motive, Handlungsstränge und Figuren, die in seinen Büchern auftraten, einem radikalen Historismus zuzugehören schienen.

Erzählen, ein Akt der Selbstbehauptung

Aber das Gegenteil ist wahr: Bisweilen, nein oft, mögen bizarre Gestalten dabei entstanden sein. Aber ihr Empfänger, der empfindliche, aufmerksame Zuhörer und Nachschreiber, war ein überaus ernster Mensch, entschlossen, dieser Vielfalt eine Vernunft abzugewinnen. Dass diese Aufgabe übergroß war, angesichts eines bewusst erlebten kommunistischen Regimes (der 1950 geborene Esterházy war Mathematiker und Organisator eines staatlichen Unternehmens, bevor er sich 1976 ganz der Literatur zuwandte), eingedenk einer übergroßen Familiengeschichte, im Angesicht eines Vaters, der, wie sich spät herausstellte, für den Geheimdienst gearbeitet hatte - diese Überwältigung spiegelte sich in den Büchern. Literarisch gewannen sie dadurch. Aber der Zweifel muss existenziell gewesen sein.

Die dritte Folge ist ein Akt der Selbstbehauptung. Denn es war der Schriftsteller, der diese Stimmen nicht nur vernahm, sondern auch arrangierte. Es war seine Berufung, sie alle auftreten und verschwinden zu lassen. Und es war seine Größe, sie kenntlich zu machen und zu ertragen. Péter Esterházy starb am Donnerstag im Alter von nur 66 Jahren. Sein Tod ist ein immenser Verlust.

© SZ vom 15.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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