Australische Literatur:Einmal rund um Australien

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Peter Carey: Das schnellste Rennen ihres Lebens. Roman. Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 464 Seiten, 24 Euro. (Foto: N/A)

"Das schnellste Rennen ihres Lebens": Peter Carey erzählt in seinem neuen Roman von der Diskriminierung der Aborigines und einer Reise zu den Ursprüngen.

Von Christoph Schröder

Das Redex Reliability Trial war ein 1953 erstmals durchgeführtes Autorennen der besonderen Art. Start und Ziel der Rallye war ab 1954 Sydney, dazwischen lag die Umrundung des australischen Kontinents die Ostküste hinauf bis Darwin und von dort aus wieder nach Süden bis Adelaide: Mehr als 15 000 knochenharte Kilometer, die Mensch und Material an den Rand ihrer Belastbarkeit oder darüber hinaus brachten. Der australische Schriftsteller Peter Carey hat ein Faible für abenteuerliche und waghalsige Reisen. In seinem Roman "Oscar und Lucinda" wird Mitte des 19. Jahrhunderts eine gläserne Kapelle durch Australien transportiert; "Parrot und Olivier" ist eine fiktionalisierte Nacherzählung von Alexis de Tocquevilles Amerikareise im Jahr 1831.

Doch stets ging es Carey, der einen vokabel- und wendungsreichen Stil pflegt, um mehr als um den bloßen Reiz des Unterwegsseins und das Spiel mit fiktionalen Metaebenen. Hinter seinem Witz verbirgt sich ein historisch-politischer Anspruch; seine Heiterkeit ist oft eine ironisch gewendete Melancholie.

So verhält es sich auch in seinem neuen Roman, der den Originaltitel "A Long Way from Home" trägt. Die Ambivalenz dieses Titels trifft die deutsche Übertragung "Das schnellste Rennen ihres Lebens" nicht annähernd. In der rasant fortschreitenden Geschichte unternimmt Carey eine literarische Annäherung an die Diskriminierung der Aborigines und an auch im 20. Jahrhundert noch immer gegenwärtige rassistische Strukturen in Australien. Alles nimmt seinen Anfang in Bacchus Marsh, einer etwa 50 Kilometer nordwestlich von Melbourne gelegenen Kleinstadt. Dort lassen sich Titch Bobs und seine Frau Irene, eine der beiden Ich-Erzählstimmen des Romans, mit ihren zwei kleinen Kindern nieder. Titch, ein Autonarr, hat es sich in den Kopf gesetzt, aus den Fußstapfen seines so übermächtigen wie übergriffigen Vaters herauszutreten und plant, in Bacchus Marsh eine Ford-Vertretung zu eröffnen. Peter Carey wurde selbst in eben dieser Kleinstadt geboren und wuchs dort als Sohn eines Autohändlers auf.

Er wird erkannt, stigmatisiert und wider Willen mit seiner Lebensgeschichte konfrontiert

Die zweite Erzählstimme gehört dem neuen Nachbarn der Familie Bobs: Willie Bachhuber ist Mitte zwanzig, von Beruf Lehrer und, wie er selbst glaubt, der Sohn eines deutschstämmigen Pfarrers. Bachhuber ist ein verschrobener Kauz, der vom Schuldienst suspendiert wurde, weil er einen Schüler an den Füßen aus dem Fenster hat baumeln lassen. Um die Zeit zu überbrücken, hat er sich als Dauergast in einer Quizshow engagieren lassen. Zudem rücken ihm die Behörden auf die Pelle, weil er sich weigert, die Alimente für seinen Sohn zu bezahlen, den er nicht anerkennt. Dieser Sohn, das ist ein entscheidendes Detail, ist schwarz, weswegen Bachhuber die Mutter aufgrund deren vermeintlicher Untreue verlassen hat.

Mit der geplanten Ford-Vertretung will es nicht so recht vorangehen. Titch fehlen die finanziellen Mittel; zudem mischt sein Vater sich in die Verhandlungen ein, sodass Irene sich schließlich von Titch überreden lässt, am Redex-Rennen teilzunehmen. Davon erhofft er sich Publicity und Geldgeber. Weil das intensive Studium von Landkarten ein Hobby des Nachbarn Bachhuber ist, engagieren die Bobs ihn als Navigator, lassen die Kinder in der Obhut von Irenes uneingeladen aufgetauchter Schwester und brechen auf ins Abenteuer.

"Das schnellste Rennen ihres Lebens" ist ein asymmetrisch konzipierter Roman. Carey nimmt sich rund 200 Seiten Raum, um seine Figuren in epischer Breite einzuführen, bevor er sie dann auf einen Trip schickt, bei dem die Ereignisse sich zuspitzen. Bachhuber ist die eigentliche Hauptfigur des Romans. Je weiter das Redex-Rennen in Richtung Norden vordringt, umso offensichtlicher wird es, dass Bachhuber beileibe nicht der Sohn eines deutschen Einwanderers, sondern in Wahrheit ein halber Aborigine ist. Er wird erkannt, er wird stigmatisiert. In einem Lokal verlangt man von ihm die für Aborigines erforderliche Bescheinigung, Alkohol erwerben zu dürfen. An Bachhubers Lebensgeschichte, mit der er wider Willen konfrontiert wird, verdeutlicht Carey, ohne dabei seine erzählerische Eleganz zu verlieren, die Ungeheuerlichkeiten und die behördliche Willkür, denen die Aborigines ausgeliefert waren. Bachhuber ist in Wahrheit der Sohn einer Aborigine-Mutter und eines weißen Farmverwalters. Kurz nach seiner Geburt haben die Behörden der Mutter das Kind weggenommen und zur Adoption freigegeben.

Carey gelingt die Balance zwischen tiefem Ernst und situativer Komik. Lange hat er, der im angelsächsischen Sprachraum ein Star ist, gezögert, das Thema aufzugreifen, weil er befürchtete, mit dem Vorwurf der kulturellen Aneignung des brisanten Stoffes konfrontiert zu werden. Hinter der Bachhuber-Figur scheinen Jahrhunderte von Identitätsraub und Erniedrigung auf. Es ist in der Tat ein langer Weg bis nach Hause. Wo immer das in diesem Fall auch sein mag.

© SZ vom 30.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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