Perspektive Deutsches Kino:Immer schön nach vorne

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Einst waren sie die Könige der Autobahn - jetzt werden die Deutschen abgedrängt und, zumindest auf der Leinwand, zu Verlierern der Landstraße. Die "Perspektive Deutsches Kino" zeigt Roadmovies der anderen Art.

Anke Sterneborg

Ruhelose, Nomaden, Suchende, Searchers . . . Das jüngste deutsche Kino ist in unaufhörlicher Bewegung, die jungen Filmemacher versuchen sich am liebsten an Straßen- und Autobahnfilmen. Zum sechsten Mal wird in der Reihe "Perspektive Deutsches Kino", unter Führung von Alfred Holighaus, dem Nachwuchs unseres Kinos ein Forum geboten.

Und es sieht nicht gut aus. Das Land ist bevölkert mit Gefährdeten und Chancenlosen, Schulabbrechern und Wendeverlierern, überall Menschen, die ihre Hoffnungen verloren haben, irgendwann die Suche abbrechen werden. Die Jungs aus dem "Gheddo" zum Beispiel, dem Hamburger Stadtteil "Osdorf", nach dem Maja Classen ihren Film benannt hat - alle schon mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen.

Die letzten Reste der Karriere

Oder die Mädchen aus Kreuzberg in "Prinzessinnenbad" (Regie: Bettina Blümner), sie können sich zwischen lautem Mackergehabe und nachdenklicher Besinnung gerade noch rechtzeitig fangen, und die locations zwischen Sommerbad, Bowlingbahn und Dönerbude geben ein wenig spielerische Offenheit in Richtung Zukunft.

Einen ganz geduldigen Blick gönnen die jungen Regisseurinnen - die Frauen sind in diesem Jahrgang besonders stark vertreten - dieser wenig trostreichen Welt, forschend, neugierig, und vor allem ohne Herablassung.

Dieses dokumentarische Gespür ist auch in den Spielfilmen allgegenwärtig, die nicht mit Geschichten auf die Schauplätze kommen, sondern Figuren, Beziehungen, Perspektiven aus den Orten entwickeln, die in den Gesichtern lesen.

In "Autopiloten" hat Bastian Günthers die Straßen und Autobahnen zu einer Endlosschleife werden lasen, auf der die Helden sich so monoton bewegen wie die Hamster im Laufrad: ein Vertreter für Badewannenlifte auf der verzweifelt aussichtslosen Jagd nach Kunden, ein Reporter auf der Jagd nach der nächsten belanglosen Provinzsensation, der abgehalfterte Schlagerstar Chris Kaiser (Manfred Zapatka), der auf Jubiläen und Supermarkteröffnungen die letzten Reste seiner Chanson-d'amour-Karriere verbraucht, und der müde Fußballtrainer (Walter Kreye), dem die Kraft fehlt, noch gegen die feindselige Berichterstattung anzukämpfen - und das im Sommermärchen-Jahr.

Programmierte Katastrophe

Virtuos sind die vier Lebensgeschichten miteinander verwoben, mit sicherem Gefühl für Rhythmus und Timing und für die Nuancen des Spiels. Die Zähigkeit, mit der sie alle gegen den Wind ankämpfen, der ihnen kalt und beißend entgegenschlägt, schmerzt und fordert zugleich Bewunderung.

Etwas Besseres findet man on the road allemal als die Heimat, die Familie. Die sind Trümmerfelder, mit abwesenden Vätern, vernachlässigten Kindern und überforderten Müttern. An ihrer Stelle formieren sich fragile Ersatzfamilien aus flüchtigen Zufallsbekanntschaften, wie in "Was am Ende zählt" von Julia von Heinz.

Da treffen sich die Gestrandeten Berlins im Bauch eines stillgelegten Schiffes, um es zum Restaurant umzubauen. Nur die Sehnsüchte scheinen die alten zu sein - wenn ein Mädchen dem anderen anbietet, ihr ungewolltes Kind nach der Geburt zu übernehmen, dann ist diese programmierte Katastrophe vor allem ein Ausdruck unerfüllter Sehnsucht nach einer Familie, einem Nest.

Das Schiff am Ufer, die nicht von der Startbahn kommenden Flugzeuge . . . In "Blindflug" von Ben von Grafenstein bleiben die Reisenden auf dem Flughafen und in ihrem Beziehungskuddelmuddel hängen, in "Hotel Very Welcome" von Sonja Heiss verpassen zwei von fünf sinnsuchenden Asienreisenden ihre Flieger.

Trotziger Einfallsreichtum

Schön erdverbunden dagegen, wenn in "Allealle" der Kleinlaster eines Gerüstbauers mitten auf der nächtlichen Straße stehen bleibt. Kein Aufbau, nirgends, aber es formieren sich widerspenstige Allianzen, zwischen einer auf Bewährung entlassenen Mörderin, einem geistig Behinderten und einem Alkoholiker, den Milan Peschel mit derselben Mischung aus zähem Überlebenswillen, trotzigem Einfallsreichtum und beklemmender Ernüchterung spielt wie vor zwei Jahren seinen Wendeverlierer in Robert Thalheims "Netto".

Das deutsche Kino wird fürs Erste, so erscheint es, ein Roadmovie-Kino bleiben. Vielleicht sind die Innenräume deutscher Bürgerlichkeit einfach zu unheimlich, zu spukhaft. Das war wohl schon in den Sechzigern und Siebzigern so, als Wim Wenders aufbrach und sich dem Rhythmus der Straßen anvertraute und ihren Geschichten. Marcel Wehn hat Wim Wenders ein sehr intimes und berührendes Porträt gewidmet, "Von einem der auszog". Der sich entschloss, das Fürchten zu verlernen. Und sich eines Tages sogar aufs Eis traute.

© SZ vom 13.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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