Performance:Taylor Macs Feier der Heterogenität

A 24-Decade History of Popular Music

A 24-Decade History of Popular Music Taylor Mac

(Foto: Teddy Wolff)

Von Anna Fastabend

Schon mal blind im Theater gesessen? Mit Schlafmaske über den Augen - eine ganze Stunde lang? Vermutlich kaum. Es sei denn, man war im ersten Teil von"A 24-Decade History of Popular Music" von Taylor Mac, einer insgesamt 24-stündigen queeren Performance der Superlative, die in der Programmreihe "Immersion" im Haus der Berliner Festspiele gezeigt wird. Die Show, eine Mischung aus Musical, Drag-Auftritt, Kabarett, Burlesque und Happening, hat sich nichts Geringeres als die Neuschreibung der US-amerikanischen Geschichte auf die Fahnen geschrieben. Von der Amerikanischen Revolution bis zur Gegenwart beleuchtet sie alle 60 Minuten ein neues Jahrzehnt. Nicht aus dem Blickwinkel der White Supremacy, sondern aus dem der Außenseiter und Marginalisierten. Das Grundgerüst: 246 Songs, die in ihrer jeweiligen Dekade echte Superhits waren. Sie werden in modernen Interpretationen auf die Bühne gebracht, die der musikalische Leiter des Abends Matt Ray komponiert hat.

Der renommierte Theatermacher Taylor Mac, als schillernde Dragqueen Judy zu erleben, ist der beste Entertainer, den man sich vorstellen kann. Beeindruckend, wie er ganze sechs Stunden lang im Mittelpunkt steht, ohne dass seine ausdrucksstarke Stimme an Kraft einbüßt. Die von Machine Dazzle entworfenen Outfits sind spektakulär: Sie reichen von der Lamettaversion einer Soldatenuniform bis zu einem extravaganten Kostüm aus ploppenden Sektkorken. Derart gekleidet ist Mac der Lenker eines zutiefst menschlichen Universums, das aus einem fabelhaften Live-Orchester besteht, einem deutschen Übersetzer, der bei der englischsprachigen Show nur das Nötigste übersetzt und ansonsten Kartoffeln schält, und einem Publikum, das eine ungewöhnlich tragende Rolle spielt. Mal sind die Zuschauer Statisten eines heteronormativen Liebestrauerspiels, mal eine lustige Trinkgesellschaft, die sich erst mit Dosenbier vergnügt, das von Macs leder-, latex- und ringelsockenkostümierten Gehilfen verteilt wird, um sich dann mit Pingpongbällen gegen einen Sittenwächter-Chor zur Wehr zu setzen. Diese Show ist eine intelligente Hommage an die Heterogenität und Komplexität des Lebens. Drei weitere Folgen gibt es noch. Wer nicht hingeht, verpasst etwas.

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